Südkorea 2010 · 107 min. · FSK: ab 16 Regie: Im Sang-soo Drehbuch: Im Sang-soo, Kim Ki-young Kamera: Lee Hyung-deok Darsteller: Jeon Do-yeon, Lee Jung-jae, Seo Woo, Ahn Seo-hyun, Yun Yeo-jong u.a. |
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Neuinterpretation eines Klassikers |
Die ersten Bilder zeigen, und das ist Programm, bereits alle Kontraste der koreanischen Gesellschaft: Eine Straße im bunten Farbenspiel frühabendlicher Neonwerbung, Menschen die in modischen Klamotten ausgehen, eine Party voller offenbar ein wenig gelangweilter Yuppie-Menschen. Unmittelbar daneben die Welt der kleinen Leute, die aus körperlicher Schwerstarbeit, Garküchen auf der Straße und anderen billigen Vergnügungen besteht. Eine junge Frau, die anscheinend auf einem Balkon an einem Geländer, blickt kurz auf das Treiben, dann stürzt sie sich hinab – ein Augenblick des Schreckens, eine Erschütterung, die gleich wieder vom Alltagsleben verschluckt wird. Die symbolische Bedeutung dieser Szene wird sich erst ganz am Ende des Films erschließen, sie bettet seine Geschichte sozusagen ein.
Vergleichbares kennt The Housemaid, im Original Hanyeo, aus dem Jahr 1960 noch nicht. Der dürfte zu den international bekanntesten Filmen Südkoreas vor der »Korean New Wave« gehören. Auch in seiner Heimat hatte Kim Ki-youngs Film unmittelbaren Erfolg bei Kritik und Publikum und avancierte schnell zum modernen Klassiker – auf Augenhöhe mit dem Melodram des späten Hollywood, dessen Einflüsse das koreanische Kino bis in die achtziger Jahre hinein dominierten, aber auch beeinflusst vom Neorealismus und dem Autorenkino im Europa um 1960. Weit besser gemacht, als die meisten koreanischen Filme dieser Jahre lange vor dem Boom der frühen 70er und den künstlerischen Höhepunkten der »Korean New Wave«, die Koreas Kino seit gut 20 Jahren zu einem der besten der Welt macht, ist dieser Film ein Kammerspiel, das kaum je das Interieur des einfachen Hauses verlässt, das in jenen Tagen, nur ein paar Jahre nach den Verwüstungen des koreanischen Bürgerkrieges, von einem gewissem Wohlstand zeugte.
Hanyeo erzählt die Geschichte eines Hausmädchens aus einfachen Verhältnissen, das den verheirateten Arbeitgeber verführt, bald mehr will, schwanger wird, abtreiben muss und spätestens jetzt der Familie das Leben zur Hölle macht. Kim Ki-youngs Film ist kühle Darstellung der koreanischen Gesellschaft, wie hitziges Melo über Liebeswahn, das sich ganz auf die Seite des verheirateten Mannes stellt, der im Film zwar zunächst Schuld auf sich lädt, mehr und mehr aber doch zum Opfer wird – während das Verhalten des Hausmädchens allenfalls durch ihren »Wahn«, also durch Krankheit entschuldigt wird. Im Kern ist dies daher eine konservative Verteidigung der Ehe und traditioneller Familienwerte, sowie die indirekte Aufforderung an die Betrogenen dieser Welt, zu verzeihen – immerhin zeigt Kim Ki-young Klassenverhältnisse, Ausbeutung der Unterschichten und realistisch den Alltag einer normalen Ehe. Ästhetisch ist Hanyeo überaus progressiv in seiner freizügigen Darstellung von Sexualität, und integriert Film Elemente des Horrorfilms, wie explizite, sadistisch eingefärbte Gewalt und das Motiv bedrohlicher Eindringlinge, in das gesellschaftlich konforme Genre des Melodram. Anstand, Moral und Bürgerlichkeit sind nach diesem Film nicht mehr, als was sie zuvor zu sein schienen. Zugleich bringt der Film mit seltener Deutlichkeit verborgene soziale Ängste auf den Punkt: Die zunehmende Furcht der Aufsteiger vor der zurückbleibenden Unterschicht spiegelte sich in der Gestalt eines Hausmädchens.
Ein direktes Remake dieses Klassikers erscheint keineswegs naheliegend, ist dies doch ähnlich belastet, als wolle man in Europa ein Remake von À bout de souffle oder La dolce vita versuchen. Regisseur Im Sang-soo (The Presidents Last Bang) gelingt dieses Wagnis in seinem sechsten Spielfilm durchaus passabel. Deutlich setzt er andere Akzente. Während es auf den ersten Blick plausibel erscheint, die Handlung weniger auf die Atmosphäre des – 1960 recht kleinen – Hauses der Familie zu beschränken, der Geschichte ihren Kammerspielcharakter zu nehmen, opfert der Regisseur damit zugleich das wichtige Element der permanenten Klaustrophobie. Im Sang-soo Version ist offener, die Erzählweise breiter angelegt.
Die wichtigste Entscheidung, die den Gesamteindruck neben der Ersetzung des Schwarzweiß durch die Farbe am stärksten verändert, ist die, das Hausmädchen mit einer Schauspielerin zu besetzen, die Ende 30 ist und damit älter wirkt als die Ehefrau. Trotzdem ist sie ein passives Wesen, dass die Dinge mehr naiv geschehen lässt, denn vorantreibt, das verführt wird, keine destruktive Verführerin. Zugleich wird die Familie ihrer Arbeitgeber nicht als »typische« Mittelschichtfamilie charakterisiert, sondern sie gehört den Superreichen Koreas an, der Oligarchie des Landes. Man lebt in einem palastartigen, labyrinthischen Haus, in maßlosem Luxus und ist politisch mächtig. Zudem ergänzt der Regisseur das im Vorläufer sparsame Figurenpersonal durch zwei Figuren: Die »starke«, skrupellose Mutter der Hausherrin, und eine alte langjährige Dienerin, die zwiespältigste und beste Figur des Films. Denn sie verteidigt resolut ihre Stellung im Haus gegen alle Neuankömmlinge unter dem Personal, versteht es aber andererseits ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren.
So erscheint der Klassiker in deutlich verändertem Gewand: Die Geschichte ist zwar nicht mehr boshaft frauenfeindlich, erhält aber unter ihren umgekehrten Vorzeichen etwas offenkundig Moralisierendes. Erst in seinen zwei zentralen Schlussszenen bekommt der Film eine sehr wohltuende Ambivalenz. Das Finale ist furios und verstörend, davor gelingt Ims Remake als Portrait zeitgenössischer Dekadenz, mit der die geschmackvollen Hochglanzbilder des Films korrespondieren. Die elegante, sehr formbewusste Inszenierung des Films spiegelt den Grundton der Dekadenz, der dieses Gesellschaftsportrait durchzieht.