Norwegen 2011 · 101 min. · FSK: ab 16 Regie: Morten Tyldum Drehbuch: Ulf Ryberg, Lars Gudmestad Kamera: John Andreas Andersen Darsteller: Aksel Hennie, Nikolaj Coster-Waldau, Synnøve Macody Lund, Julie Ølgaard, Eivind Sander u.a. |
![]() |
|
Brutale Symbiose der Stille |
»Thus, though some communities on the Upper Fly River practiced cannibalism in conjunction with head-hunting, this was generally not the case with the hunters along the Southern coast. In the interior communities hunt each other without discrimination; in the South and East custom prohibits the hunting of friendly neighbors. Some groups sanction their head-hunting practices by religious beliefs, while others – particularly the Obadu in the East – do
not.«
(Justus M. van der Kroef: Some Head-Hunting Traditions of Southers New Guinea. American Anthropologist, New Series, Vol. 54, No. 2 (Apr. – Jun., 1952), S. 221)
+ + +
Der schmächtige, kleinwüchsige Roger Brown (Aksel Hennie) leidet sichtlich unter seinem Napoleon-Komplex: er ist erfolgreicher Headhunter mit einer auserlesenen Klientel erfolgreichster Geschäftsleute in Führungspositionen, lebt in einem zu großen Haus und ist mit einer zu großen Model-Schönheit verheiratet. Aber nicht nur privat, auch beruflich bedient Diana (Synnøve Macody Lund) die Statussymbole von Rogers geschäftlichem Umfeld; Diana ist Galeristin, benötigt aber Rogers finanzielle Unterstützung. Um ihre hohen Lebensansprüche mit seinem im Vergleich dazu mittelmäßigen Headhuntergehalt dennoch zu erfüllen, bedient sich Roger seiner eigenen, durchaus ironischen Interpretation der Umverteilung von Reichtum; er führt ein Doppelleben als Kunsträuber. Ohne dass Diana von seinem zweiten Leben weiß, berät sie ihn in Kunstfragen zu den Bildern, die er bei seinen Klienten hängen sieht. Über den Lebenswandel seiner Kunden bestens informiert ist der Raub ein Leichtes. Dass allerdings innerhalb Norwegens noch andere Formen des Headhunting existieren, erfährt Roger, als er eines Tages den Falschen bestiehlt, ein offensichtlich männliches Alter Ego seiner eigenen Frau. Clas Greve (Nikolaj Coster-Waldau), wohlhabend, groß gewachsen, muskulös und charmant will im Gegenzug denn auch beides: Rogers Frau und Rogers tatsächlichen Kopf.
Mit leichten – leicht zu erklärenden – Eingriffen folgt der norwegische Regisseur Morten Tyldum auch in der Folge der aseptisch, kühlen Romanvorlage von Jo Nesbø, der die norwegische Gesellschaft mit chirurgischem Blick kaltblütig seziert. Tyldum erweitert die „Versuchsanordnung“ von Nesbø dabei um wohltuend groteske Elemente und überraschende Schwerpunktverlagerungen, die bereits in Tyldums früheren Filmen Buddy und Der Wolf – Gefallene Engel als eigenwillige, immer wieder Genre-übergreifende Handschrift verankert sind. Tyldum weicht damit nicht nur dem auf der Hand liegenden Label »skandinavischer Thriller à la Wallander und Millenium-Trilogie« aus – auch wenn die Produktionsgesellschaft von Headhunters diese Verfilmungen mitproduziert hat und dementsprechend dämlich damit wirbt. Ihm gelingt mit den überraschenden Genreüberschreitungen, den ungewöhnlichen, manchmal unterkühlt und bizarren schauspielerischen Leistungen viel mehr als nur packende, knallharte Action um ein zentrales, unfreiwilliges Bad in menschlicher Scheiße: Sondern auch ein Statement von subtiler Zärtlichkeit in Zeiten der Gewalt. Oder um es noch etwas anders zu formulieren: die fotografierten Gesichter von Tätern und Opfern korrelieren mit der dargestellten Ästhetik der Gewalt auf eine unheimliche, seltsam vertraute Weise und gehen mit der sich immer wieder in den Blick drängenden norwegischen (Leer-) Landschaft eine nahezu brutale Symbiose der Stille ein.
Headhunters ist damit durchaus auch so etwas wie ein perplexes Gedankenspiel um die symbolische und faktische Bedeutung und Sanktionierung der gegenwärtigen »Kopfjagd« nicht nur in Norwegen. Also um Macht, Status, Eifersucht, Konkurrenz, Kannibalismus und bizarren Opfer-Täter-Mutationen; kurz: Kapitalismus at his best – und erstaunlicherweise nur ein kleiner Schritt in der Zeitgeschichte entfernt von der »Kopfjagd« uns so scheinbar fremder Ethnien wie der Obadu auf Neuginea.