D/USA/I/F 2001 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Tom Tykwer Drehbuch: Krzysztof Kieslowski, Krzysztof Piesiewicz Kamera: Frank Griebe Darsteller: Cate Blanchett, Giovanni Ribisi, Remo Girone, Stefania Rocca, Alessandro Sperduti u.a. |
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Filippo und Philippa auf der Flucht |
Tom Tykwer ist bekannt für seine Traktate über die Liebe. Die Liebe, die den Menschen stets aus seiner verzweifelten Schicksalsergebenheit befreien kann. Die Liebe, die den Menschen stark macht für die großen Schritte in die Freiheit. Die über den Tod hinwegführt, hinein in ein besseres Leben. Der große Sekundant, der der Liebe beiseite steht und gegen das Schicksal antritt, ist bei Tykwer das Zufällige, die Verkettung von Ereignissen. Die Liebe wiederum ist in dem Labyrinth der Zufallsbegegnungen der Ariadnefaden, der zum großen Tor der Erlösung führt.
Der als Selbstmord gedachte Sprung aus dem Fenster wird für die Tödliche Maria zum glücklichen Sturz in die Arme ihrer neuen Liebe. Der Krieger rettet die Kaiserin aus der kindheitstraumatisch besetzten Irrenanstalt, die Kaiserin holt den Krieger aus dem Inferno, in dem ihn seine Erinnerung an die getötete Liebe gefangen hält. Lola rennt gegen ein schicksalhaftes Ende der Liebe immer wieder aufs neue an. Die Geschichte der Liebenden wird hier durchexerziert als nur eine mögliche Variation von gegebenen Zufälligkeiten. Finale Schicksalhaftigkeit scheidet aus.
Bei diesem Ausspielen des Schicksals gegen den Zufall setzt Tykwer auf eine ausgeprägte Stilistik, die das Thema filmisch spürbar macht. Die Offenheit von Lola rennt, in der drei mögliche Schlüsse gegeneinander und miteinander bestehen, bedeutet nicht nur die Absage an eine höhere Weltenordnung, sondern macht aus dem Geschichtenerzählen selbst ein Spiel. Schon der jeweilige Auftakt der Variationen um Lola, die als Comicfigur die Treppe hinuntereilt, ist der unbedingte Verweis darauf, daß sich der Film von Beginn an in einer Sphäre des Spielerischen und Künstlichen befindet. Was den schonungslosen Umgang mit der erzählten Geschichte in einer Versuchsanordnung erlaubt, die immer wieder neu, in minutiöser Zeitverschiebung angesetzt werden kann.
Das war Tykwer bislang. Auch sein neuer Film Heaven, der erstmals nicht nach eigenem Drehbuch entstand, sondern einen Nachlaß von Kieslowski verfilmt, knüpft an an die große Thematik von der Liebe, die alles erlösen kann. Eine junge Frau, Philippa, begeht ein Attentat auf einen Drogenboss, den sie für den Tod ihres Mannes, der durch eine Überdosis starb, verantwortlich macht. Das Attentat wird durch eine zufallshafte Verkettung vereitelt: eine Putzfrau leert den Papierkorb, in dem Philippa die Bombe versteckt hatte. Nimmt den Sprengsatz in ihrem fahrbaren Vehikel mit. Auf dem Weg detoniert die Bombe in einem Aufzug und tötet dabei die Putzfrau und einen Vater mit seinen zwei Töchtern. Der Aufzug ist bei Tykwer ein Außenaufzug, und die Detonation führt geradezu in den freien Himmel. Ein Stück Heaven ist hier passiert, und vielleicht hätte der Film an dieser Stelle anhalten sollen. Denn vielversprechend wird bis dahin das von Tykwer Bekannte mit einem neuen Vorzeichen versehen, was der Rest des Films jedoch nicht einhalten kann.
Die neue, abwesende Rolle der Liebe: Sie scheidet als Motiv der gerechten Absicht Philippas, den Drogenboss zu töten, aus. Die Attentäterin befand sich, als ihr Mann starb, in Scheidung von ihm. Folglich kann die Schuld, in die Philippa durch das mißlingende Attentat gerät, nicht einem schicksalhaften Liebestrauma zugesprochen werden, von dem sie erlöst werden muß. Die Erlösung, die einsetzt, ist die Wiedergutmachung eines dummen Zufalls, was die bekannte Bewertung des Zufälligen bei Tykwer ganz und gar umkehrt. Hier führt der Zufall der Ereignisse nicht zu Liebe und Erlösung der Menschen, sondern zur tragischen Schuld der Attentäterin. Daraus müßte dann, bei Verkehrung der Tykwerschen Philosophie, das Schicksalhafte als Rettung aus der schuldhaften Not erscheinen, als notwendige Wiedergutmachung der bösen' Tat. Die Liebe könnte so auch wieder den Part der Erlöserin spielen, diesmal als schicksalhafte Liebe, gewissermaßen von Gott gesandt, um wieder Gerechtigkeit herzustellen.
Gegen diese mögliche, Kieslowkische bzw. theologische Erneuerung der Filme Tykwers, die bislang nur den Zufall als metaphysische Größe anerkannten, stemmt sich jedoch die Tykwersche Lesart Kieslowskis, der »in das Drehbuch eintauchte, als sei es meins« (Zitat X-Filme). Das Spiel von Liebe und Zufall, dem sich Tykwer in seinen früheren Filmen gestellt hat, und das jetzt durch Kieslowski neu angeordnet wird, reduziert sich im weiteren Verlauf des Films zu einer bloßen Liebesbehauptung, die nicht nachvollzogen werden kann.
Denn wenn sonst die Antagonisten Zufall und Schicksal das Spiel der Liebe in Gang bringen, so kann das Spiel in Heaven nicht wirklich beginnen. Weder macht der Film glaubhaft, daß der Polizist Filippo und die Attentäterin Philippa schicksalhaft füreinander bestimmt sind (außer auf einer konstruktiven Ebene: Assymmetrie, wenn der Outlaw Philippa bei Filippo auf eine Instanz von Law-and-Order trifft; und Tykwer klopft bei Paul und Paula an), noch treibt sie der Zufall einander in die Arme. Die Liebe des Polizisten zur Attentäterin ist nur denkbar als moralisch motivierte Liebe, weil sie durch den Mord am Drogenboss unschuldige Kinder vor dem Drogentod bewahrt. Kann aber Leidenschaft sich moralisch begründen? Mit der Liebe Philippas zu Filippo steht es nicht besser: sie kann nicht aus dem kurzen Moment der Berührung durch den Polizisten entstanden sein, als die Attentäterin im Verhör ohnmächtig am Boden liegt. Zwar untermauert Tykwer mit seinen Bildern suggestiv das Lieben, Filippo und Philippa werden immer wieder aus Vogelperspektive gezeigt, Kopf an Kopf zusammenliegend, eine fortwährende Wiederholung der bei Tykwer bekannten Liebeseinstellungen. Die Bildzitate allein aber können das Verliebtsein nicht glaubhaft machen. Als Philippa gefragt wird, ob sie Filippo liebt und sich ein kurzer Moment des Verneinens abzeichnet, erscheint das durchaus plausibel und erhebt die Spannung, was werden könnte aus dem Liebespaar ohne Liebe. Der Film aber läßt Philippa mit 'Ja' antworten. Und läßt sich damit die zentrale Wendung nicht nur des Plots, sondern der gesamten Tykwerschen Liebesphilosophie entgehen.
Verabschiedet wird der Film mit quasi-biblischen Zitaten. Filippo und Philippa scheren sich das Haupt und erscheinen wie zwei Engel, die sich für das Gute, die Beseitigung des Drogenbosses, außerhalb der menschlichen, aber nicht der moralischen Gesetze gestellt haben. Sie handeln für eine höhere Gerechtigkeit. Die Liebe von Filippo und Philippa wird gezeigt in ihrer körperlichen Erfüllung, beide nackt unter einem alleinstehenden Baum, gegen den Himmel gefilmt: androgyne Sihlouetten vor feurigem Sonnenuntergang. Die erneute Verführung Adams durch Eva? Die jetzt aber nicht mehr zur Vertreibung aus dem Paradies, sondern schlußendlich in den Heaven führt.
Die anklingende Gratwanderung zwischen Anerkennung und Verabschiedung einer christlichen Überhöhung der Figuren bleibt bei Tykwer oberflächlich. Sie ergießt sich, allzu malerisch photographiert, in einen leerbleibenden Katholikenkitsch. Tykwer hätte sich mit Heaven aus dem Immergleich seiner Thematik erlösen können, in der er gefangen ist. Er hätte dem existentialistischen Zufall das göttlich gewollte Schicksal beiseite stellen können. Hätte der heilbringenden Liebe eine Absage erteilen, mit ihr ein Stück Realismus in seine Filme einbringen können. Was Tykwer aber verweigert. Das Drehbuch von Kieslowski zerfällt unter der Tykwerschen Liebesphilosophie. Und sein Filmen unter dem Kieslowskischen Drehbuch.