Heaven

D/USA/I/F 2001 · 96 min. · FSK: ab 12
Regie: Tom Tykwer
Drehbuch: ,
Kamera: Frank Griebe
Darsteller: Cate Blanchett, Giovanni Ribisi, Remo Girone, Stefania Rocca, Alessandro Sperduti u.a.
Filippo und Philippa auf der Flucht

Himmlische Liebe, bodenlos

Warum Tykwer in seinem neuen Film Heaven aus dem Tritt gerät

Tom Tykwer ist bekannt für seine Traktate über die Liebe. Die Liebe, die den Menschen stets aus seiner verzwei­felten Schick­sals­er­ge­ben­heit befreien kann. Die Liebe, die den Menschen stark macht für die großen Schritte in die Freiheit. Die über den Tod hinweg­führt, hinein in ein besseres Leben. Der große Sekundant, der der Liebe beiseite steht und gegen das Schicksal antritt, ist bei Tykwer das Zufällige, die Verket­tung von Ereig­nissen. Die Liebe wiederum ist in dem Labyrinth der Zufalls­be­geg­nungen der Ariad­nefaden, der zum großen Tor der Erlösung führt.

Der als Selbst­mord gedachte Sprung aus dem Fenster wird für die Tödliche Maria zum glück­li­chen Sturz in die Arme ihrer neuen Liebe. Der Krieger rettet die Kaiserin aus der kind­heits­trau­ma­tisch besetzten Irren­an­stalt, die Kaiserin holt den Krieger aus dem Inferno, in dem ihn seine Erin­ne­rung an die getötete Liebe gefangen hält. Lola rennt gegen ein schick­sal­haftes Ende der Liebe immer wieder aufs neue an. Die Geschichte der Liebenden wird hier durch­ex­er­ziert als nur eine mögliche Variation von gegebenen Zufäl­lig­keiten. Finale Schick­sal­haf­tig­keit scheidet aus.

Bei diesem Ausspielen des Schick­sals gegen den Zufall setzt Tykwer auf eine ausge­prägte Stilistik, die das Thema filmisch spürbar macht. Die Offenheit von Lola rennt, in der drei mögliche Schlüsse gegen­ein­ander und mitein­ander bestehen, bedeutet nicht nur die Absage an eine höhere Welten­ord­nung, sondern macht aus dem Geschich­ten­er­zählen selbst ein Spiel. Schon der jeweilige Auftakt der Varia­tionen um Lola, die als Comic­figur die Treppe hinun­te­reilt, ist der unbe­dingte Verweis darauf, daß sich der Film von Beginn an in einer Sphäre des Spie­le­ri­schen und Künst­li­chen befindet. Was den scho­nungs­losen Umgang mit der erzählten Geschichte in einer Versuchs­an­ord­nung erlaubt, die immer wieder neu, in minu­tiöser Zeit­ver­schie­bung angesetzt werden kann.

Das war Tykwer bislang. Auch sein neuer Film Heaven, der erstmals nicht nach eigenem Drehbuch entstand, sondern einen Nachlaß von Kies­lowski verfilmt, knüpft an an die große Thematik von der Liebe, die alles erlösen kann. Eine junge Frau, Philippa, begeht ein Attentat auf einen Drogen­boss, den sie für den Tod ihres Mannes, der durch eine Überdosis starb, verant­wort­lich macht. Das Attentat wird durch eine zufalls­hafte Verket­tung vereitelt: eine Putzfrau leert den Papier­korb, in dem Philippa die Bombe versteckt hatte. Nimmt den Spreng­satz in ihrem fahrbaren Vehikel mit. Auf dem Weg detoniert die Bombe in einem Aufzug und tötet dabei die Putzfrau und einen Vater mit seinen zwei Töchtern. Der Aufzug ist bei Tykwer ein Außen­aufzug, und die Deto­na­tion führt geradezu in den freien Himmel. Ein Stück Heaven ist hier passiert, und viel­leicht hätte der Film an dieser Stelle anhalten sollen. Denn viel­ver­spre­chend wird bis dahin das von Tykwer Bekannte mit einem neuen Vorzei­chen versehen, was der Rest des Films jedoch nicht einhalten kann.

Die neue, abwesende Rolle der Liebe: Sie scheidet als Motiv der gerechten Absicht Philippas, den Drogen­boss zu töten, aus. Die Atten­tä­terin befand sich, als ihr Mann starb, in Scheidung von ihm. Folglich kann die Schuld, in die Philippa durch das mißlin­gende Attentat gerät, nicht einem schick­sal­haften Liebest­rauma zuge­spro­chen werden, von dem sie erlöst werden muß. Die Erlösung, die einsetzt, ist die Wieder­gut­ma­chung eines dummen Zufalls, was die bekannte Bewertung des Zufäl­ligen bei Tykwer ganz und gar umkehrt. Hier führt der Zufall der Ereig­nisse nicht zu Liebe und Erlösung der Menschen, sondern zur tragi­schen Schuld der Atten­tä­terin. Daraus müßte dann, bei Verkeh­rung der Tykwer­schen Philo­so­phie, das Schick­sal­hafte als Rettung aus der schuld­haften Not erscheinen, als notwen­dige Wieder­gut­ma­chung der bösen' Tat. Die Liebe könnte so auch wieder den Part der Erlöserin spielen, diesmal als schick­sal­hafte Liebe, gewis­ser­maßen von Gott gesandt, um wieder Gerech­tig­keit herzu­stellen.

Gegen diese mögliche, Kies­low­ki­sche bzw. theo­lo­gi­sche Erneue­rung der Filme Tykwers, die bislang nur den Zufall als meta­phy­si­sche Größe aner­kannten, stemmt sich jedoch die Tykwer­sche Lesart Kies­low­skis, der »in das Drehbuch eintauchte, als sei es meins« (Zitat X-Filme). Das Spiel von Liebe und Zufall, dem sich Tykwer in seinen früheren Filmen gestellt hat, und das jetzt durch Kies­lowski neu ange­ordnet wird, reduziert sich im weiteren Verlauf des Films zu einer bloßen Liebes­be­haup­tung, die nicht nach­voll­zogen werden kann.

Denn wenn sonst die Antago­nisten Zufall und Schicksal das Spiel der Liebe in Gang bringen, so kann das Spiel in Heaven nicht wirklich beginnen. Weder macht der Film glaubhaft, daß der Polizist Filippo und die Atten­tä­terin Philippa schick­sal­haft fürein­ander bestimmt sind (außer auf einer konstruk­tiven Ebene: Assym­me­trie, wenn der Outlaw Philippa bei Filippo auf eine Instanz von Law-and-Order trifft; und Tykwer klopft bei Paul und Paula an), noch treibt sie der Zufall einander in die Arme. Die Liebe des Poli­zisten zur Atten­tä­terin ist nur denkbar als moralisch moti­vierte Liebe, weil sie durch den Mord am Drogen­boss unschul­dige Kinder vor dem Drogentod bewahrt. Kann aber Leiden­schaft sich moralisch begründen? Mit der Liebe Philippas zu Filippo steht es nicht besser: sie kann nicht aus dem kurzen Moment der Berührung durch den Poli­zisten entstanden sein, als die Atten­tä­terin im Verhör ohnmächtig am Boden liegt. Zwar unter­mauert Tykwer mit seinen Bildern suggestiv das Lieben, Filippo und Philippa werden immer wieder aus Vogel­per­spek­tive gezeigt, Kopf an Kopf zusam­men­lie­gend, eine fort­wäh­rende Wieder­ho­lung der bei Tykwer bekannten Liebes­ein­stel­lungen. Die Bild­zi­tate allein aber können das Verliebt­sein nicht glaubhaft machen. Als Philippa gefragt wird, ob sie Filippo liebt und sich ein kurzer Moment des Vernei­nens abzeichnet, erscheint das durchaus plausibel und erhebt die Spannung, was werden könnte aus dem Liebes­paar ohne Liebe. Der Film aber läßt Philippa mit 'Ja' antworten. Und läßt sich damit die zentrale Wendung nicht nur des Plots, sondern der gesamten Tykwer­schen Liebes­phi­lo­so­phie entgehen.

Verab­schiedet wird der Film mit quasi-bibli­schen Zitaten. Filippo und Philippa scheren sich das Haupt und erscheinen wie zwei Engel, die sich für das Gute, die Besei­ti­gung des Drogen­bosses, außerhalb der mensch­li­chen, aber nicht der mora­li­schen Gesetze gestellt haben. Sie handeln für eine höhere Gerech­tig­keit. Die Liebe von Filippo und Philippa wird gezeigt in ihrer körper­li­chen Erfüllung, beide nackt unter einem allein­ste­henden Baum, gegen den Himmel gefilmt: androgyne Sihlou­etten vor feurigem Sonnen­un­ter­gang. Die erneute Verfüh­rung Adams durch Eva? Die jetzt aber nicht mehr zur Vertrei­bung aus dem Paradies, sondern schlußend­lich in den Heaven führt.

Die anklin­gende Grat­wan­de­rung zwischen Aner­ken­nung und Verab­schie­dung einer christ­li­chen Über­höhung der Figuren bleibt bei Tykwer ober­fläch­lich. Sie ergießt sich, allzu malerisch photo­gra­phiert, in einen leer­blei­benden Katho­li­ken­kitsch. Tykwer hätte sich mit Heaven aus dem Immer­gleich seiner Thematik erlösen können, in der er gefangen ist. Er hätte dem exis­ten­tia­lis­ti­schen Zufall das göttlich gewollte Schicksal beiseite stellen können. Hätte der heil­brin­genden Liebe eine Absage erteilen, mit ihr ein Stück Realismus in seine Filme einbringen können. Was Tykwer aber verwei­gert. Das Drehbuch von Kies­lowski zerfällt unter der Tykwer­schen Liebes­phi­lo­so­phie. Und sein Filmen unter dem Kies­low­ski­schen Drehbuch.