Deutschland/B 2013 · 117 min. · FSK: ab 6 Regie: Marc Rothemund Drehbuch: Katharina Eyssen Kamera: Martin Langer Darsteller: Lisa Tomaschewsky, Karoline Teska, David Rott, Peter Prager, Maike Bollow u.a. |
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…und heute mal rot. Wie die Haarfarbe wechselt, so auch die Identität. |
»Dass Sophie ihre Krankheit besiegen wird, ist aufgrund der autobiografischen Buchvorlage bekannt – der Zuschauer fiebert trotzdem bis zur finalen Untersuchung mit ihr mit.« (»SZ-extra« über Heute bin ich blond)
Nur mal nachgefragt: Ist das denn eigentlich notwendig was Gutes, wenn der Zuschauer mitfiebert? Naja, es gibt andererseits wichtigere Fragen.
Es ist jedenfalls ein ziemlich gutes, ziemlich kraftvolles Buch, das Sophie van der Stap da geschrieben hat. Es zieht einen sofort hinein, auch wenn man das Genre der Krebs- und Krankheitsbücher doof, überflüssig und eher für eine Charakterschwäche der Menschheit hält.
Lesen würde ich sowas eigentlich nicht, hab ich aber dann doch, weil man sich eben sofort fest liest und nicht mehr weglegen will,, weil Sophie, Autorin und Hauptfigur nicht nur mit ihren Chemotherapie-bedingt streichholzkurzen Haaren auf dem Cover hübsch aussieht, sondern weil ihr Buch insgesamt eben auch sympathisch ist, unkonventionell, energiegeladen, kämpferisch und irgendwie.. nun ja: sexy.
Sexyness, das geht mit Krebs allerdings nur sehr begrenzt zusammen. Und um Krebs geht es in der Vorlage für diesen Film, und da fängt das Problem schon an. Am Anfang ist erstmal Sylvester und sie reißt sich einen Typen auf, hat Neujahrssex, und dann hüstelt sie, und dann nochmal, und dann wissen wir natürlich schon, was jetzt losgeht.
Sophie van der Stap wurde zur Schriftstellerin, weil sie Lungenkrebs bekam, und über den Krebs schrieb. Zuvor studierte sie Politologe, doch als die Krankheit da war, schrieb sie sich in einem Blog Todesangst und Alltagssorgen, Furcht und Hoffnung, die Langeweile während der Therapie und die vielen ablenkenden Gedanken von der Seele. Der Titel kommt daher, dass sich Sophie, als ihr während der Chemotherapie die Haare ausfielen, immer neue Perücken zulegte, die sie dann je nach Stimmungslage aufsetzte. Mal war sie die schwarzhaarige Lydia, mal die rotgesträhnte Sue, dann wieder die blondgelockte Daisy. Die Wahrheit ist das vielleicht, ein guter Einfall in jedem Fall.
Von dieser ganzen Kraft und Qualität bleibt aber bei Marc Rothemunds Verfilmung des Buches nur noch die Sexyness und sonst nicht viel übrig, vorausgesetzt man steht auf diesen Typ des langhaarigen sauberen Mädchens aus gutem Haus, das vermutlich in München Kunstgeschichte studiert, vielleicht auch Jura oder Medizin. Muss es ja geben, sowas. Aber nicht im Kino.
Rothemund ist einfach kein guter Regisseur. Er ist solide, er macht handwerklich nichts falsch, das schon. Aber alles, was er macht, ist abgrundtief konventionell. Unentschlossen. Langweilig. Es verärgert nicht mal. Keine Spur vom existentiellen Ernst des Stoffes, dafür Bedeutungshuberei, Täuschung.
Rothemund traut sich nicht, das zentrale Motiv des Buches, die Rollenspiele mit den Perücken und die Stimmungsschwankungen, um die es da eigentlich geht, ins Zentrum des Films zu rücken. Dass ein Ex-Model, turned actress, die Haupotrolle spielt, das auch mit Augenringen noch gut aussieht, macht es auch nicht besser.
So verdrängen auch die konventionellen Seiten des Stoffes die anderen. Der Krebs wird zum Lehrer, der plötzlich sein Gutes hat: Mit dem Krebs kann man auch reden: »Du bist ein Teil von mir. Ich habe so viel durch dich gelernt.« Und schimpfen: »Du Krebs, du hast mir gezeigt, im Jetzt zu leben. Gib mir doch bitte das Morgen wieder.«
Den Leuten von den Zeitungen fallen auch nur Klischees ein. Aber auch wirklich nur: »Ode an das Leben« – das passt immer. »Lebensmut« kann man auch zu jedem Krebsfilm schreiben. »Humor macht stark in schwierigen Momenten.« Jaja.
Ist trotzdem alles nur Ideologie: Man soll nicht leiden, nicht verzweifeln, sondern stark sein und nach der Chemo noch ein bisserl Party machen. Dann ist man ein guter Krebskranker. Aber immer noch nicht gut genug: Es muss schon eine hübsche 21-jährge
Autorin her, um den Krebsbestseller zu garantieren und ein Model gecastet werden, damit der Krebs auch nie zu hässlich aussieht.
Und in der Vermarktung des Films soll das K-Wort nicht vorkommen: »Die 21-jährige Sophie (Lisa Tomaschewsky) freut sich unbändig auf ihr Studium und ein partyreiches WG-Leben. Doch plötzlich wird sie krank und Behandlungen sollen ihr Leben bestimmen, Aber Sophie rebelliert gegen den tristen Krankenhausalltag: Sie will ihr junges Leben genießen, ihre Träume leben, feiern, lachen, flirten, Sex – einfach auf nichts verzichten. Perücken werden dabei zu ihrem neuen Lebenselixier: Mal trotzig selbstbewusst, mal romantisch verspielt oder kühl erotisch – je nach Haarfarbe und Frisur kommt ein anderes Stück Sophie zum Vorschein. Sie tanzt die Nächte durch mit ihrer langjährigen Freundin Annabel (Karoline Teska), verliebt sich in ihren besten Freund Rob (David Rott) und macht ihre ersten Schritte als Schriftstellerin mit ihrem Blog im Internet. Mit der Unterstützung ihrer Familie und viel Humor, Mut und Zuversicht streckt Sophie der Krankheit den Mittelfinger entgegen ...«
Klingt schon echt cool oder?
»Mit viel Humor, Mut und Zuversicht streckt Sophie der Krankheit den Mittelfinger entgegen« heißt es in der Pressenotiz. Folgerichtig kann sie den Kampf gegen den Krebs nicht anders als »frech, unbekümmert und erfrischend ehrlich« aufnehmen. Heute bin ich blond, das ist die Verfilmung des gleichnamigen autobiografischen Bestsellers von Sophie van der Stap, die ihre Krebstherapie zunächst in einem Internettagebuch verarbeitet hat. Darin geht es vor allem um Frisuren. Als die Chemotherapie ihre Nebenwirkungen zeitigt und Sophie ihre Haare verliert, kommt sie nämlich auf die Idee, sich eine ganze Kollektion an Perücken zuzulegen um damit in verschiedene Identitäten zu schlüpfen: mit kinnlangen, hellbraunen Haaren und Seitenscheitel wird sie zu Stella, dem netten Mädchen von nebenan; mit einem brünetten Pony verwandelt sie sich in die selbstbewußte Lydia; und mit ihren vielen blonden Perücken ist sie wahlweise tough, cool, sportlich oder gleich »Königin der Nacht«.
Heute bin ich blond ist also »ein Stoff mit ernstem Thema und ebenfalls vorhandenen hohem Unterhaltungsanteil«. Die Produzenten suchten dafür einen Macher, der in beiden Bereichen versiert ist und einigten sich auf Marc Rothemund. Marc Rothemund, Sohn des Universalfilmers Sigi Rothemund aka Siggi Götz (Griechische Feigen, Donna Leon), ist vielleicht noch keine eigene Marke, aber ein verläßlicher Auftragsregisseur. Und wenn man die Mehrzahl seiner vorangegangen Filme paradieren lässt, als da sind: Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit, Harte Jungs, Pornorama, Groupies bleiben nicht zum Frühstück, Mann tut was Mann kann, dann müßte er eigentlich schon seinen Ruf weg haben, als Fachmann für pubertäre Lustsamkeiten – gäbe es da nicht noch seinen ewigen Referenzfilm Sophie Scholl – Die letzten Tage, der es mit der berechnend schulfunktauglichen Umsetzung der Sophie-Scholl-Verhörprotokolle sogar bis zur Oscar-Nominierung gebracht hat und sein Rest-Œuvre bis heute in den Schatten stellt.
Die Unterhaltungsanteile der Vorlage herausarbeiten und gleichzeitig den Respekt vor der Ernsthaftigkeit des Stoffes nicht verlieren, dieser Anforderung mußten sich Rothemund und seine Drehbuchautorin Katharina Eyssen mit Heute bin ich blond also stellen. Nun gut, die Gradwanderung ist in gewisser Weise geglückt, man hat als Zuschauer keineswegs das Gefühl, vom Elend der Situation stimmungsmäßig oder gar dramaturgisch übervorteilt zu werden. Zur dramaturgischen Disziplinierung trägt wohl bei, dass die Handlung weitgehend in den Thearapieplan eingebettet ist und zwischen zwei Silvesterfeiern zum Happy-End geführt werden kann. Dadurch fehlt aber auch der Raum für Irritationen. Die angehende Studentin Sophie, fraglos sehr trefflich besetzt mit der jungen, temperamentvollen Lisa Tomaschewsky, wird voll und ganz von ihrer Familie, ihrem Freundeskreis und dem Krankenhauspersonal (als Privatpatientin) aufgefangen und mit Floskeln, wie »Wir schaffen das«, »Du wirst gesund!« oder »Wir kriegen das schon hin« bisweilen etwas zu penetrant bei Laune gehalten. Und wenn Sophie eines Tages ihr Spiel mit den Perücken und den dazugehörigen Identitäten bis zur Neige auskostet und nach einem nächtlichen Exzess zusammenbricht, also doch mal den Bogen überspannt hat, läuft das eben nicht auf einen Plot Point hinaus. Es hat im Grunde keinerlei Konsequenzen: sie besinnt sich ganz schnell des Besseren und führt ihre Therapie diszipliniert zu Ende. Daneben liefert sich Sophie noch ein sanftes Beziehungs-Hickhack mit ihrem besten Freund, bis sich auch das irgendwie in ein unbestimmtes Wohlgefallen auflöst. Und auch sonst bekommt man von familiären Unstimmigkeiten vielleicht mal eine Ahnung, die aber schnell überspielt wird.
So bleibt Heute bin ich blond, trotz der annoncierten erfrischenden Ehrlichkeit, bemerkenswert konfliktscheu. Allein, es handelt sich um eine wahre Geschichte und nach einer glücklich überstandenen Therapie dieses Kalibers wird man im Rückblick vieles im sanfteren Licht sehen, und deswegen dürfte das Filmteam wohl doch alles richtig gemacht haben.
Der Autor ist Herausgeber der Filmzeitschrift Sigi-Götz-Entertainment. Im Internet: SigiGötz Entertainment – Der Blog