Deutschland/Ö 2024 · 99 min. · FSK: ab 6 Regie: Georg Maas Drehbuchvorlage: Michael Kumpfmüller Drehbuch: Georg Maas, Michael Gutmann Kamera: Judith Kaufmann Darsteller: Sabin Tambrea, Henriette Confurius, Manuel Rubey, Daniela Golpashin, Alma Hasun u.a. |
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Kafka barfuß am Strand | ||
(Foto: Majestic) |
»Am größten ist das Glück, wenn es ganz klein ist.
Deshalb würde ich, wenn ich mein Leben aufschreiben müsste,
nur Kleinigkeiten notieren.
Wie froh es mich macht,
zu sehen, wie Du Dein Weinglas hältst.
Oder wie Du Deine Schuhe bindest.
Oder einfach nur zu spüren,
wie Du mir mit der Hand durchs Haar fährst.
Ich glaube, dass die Herrlichkeit des Lebens
immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt.
Aber verhängt, in der Tiefe unsichtbar.
Ruft man sie beim richtigen Namen,
dann kommt sie.«
Das Zitat stammt aus Kafkas Tagebüchern. Man hört es beim Abspann als Off-Kommentar. In Michael Kumpfmüllers Roman »Die Herrlichkeit des Lebens« steht es auch, der Film entstand auf der Basis des Romans.
Als er im Jahr 2011 erschien, stieß er auf Neugier und Skepsis. Kafka galt als tragischer Charakter, der unter seinem autoritären Vater litt und sich zeitlebens nicht von seiner Familie emanzipieren konnte. Er hatte weder eine stabile, glückliche Beziehung noch einen Beruf, der ihn erfüllte. Wegen einer unheilbaren Lungentuberkulose wurde er mit 39 Jahren pensioniert. Kafkas einzige Leidenschaft war die Literatur. Doch auch das Schreiben fiel ihm schwer. Selten war er mit den Texten, die er fertigstellte, zufrieden. Auf dem Sterbebett bat er seinen besten Freund Max Brod, alle zu verbrennen.
Kann man das letzte Lebensjahr eines todkranken neurotischen Schriftstellers, der für seine Schilderungen von Absurdität, Ausweglosigkeit und übermächtiger Bürokratie bekannt geworden ist, glaubwürdig als glückliche Liebesgeschichte erzählen?
Ja, man kann, und zwar mit einem großartigen Ergebnis! Michael Kumpfmüller hat das in seinem Roman eindrucksvoll bewiesen. Der klare, nüchterne Stil erzeugt Faszination, Identifikation und einen magischen Sog. Der Roman beschreibt präzise positive als auch negative Ereignisse und Eindrücke. Abwechselnd aus Franz' und Doras Perspektive. Sowie eine Überfülle von Details, also sinnliche Kleinigkeiten, ähnlich wie Kafka es in dem Zitat formuliert hat.
Wenn der Roman beginnt, balanciert Franz schon auf der Schippe des Todes. Dora bleibt nichts anderes übrig, als ihm auf dieser Schippe Gesellschaft zu leisten. Trotzdem wird ihr gemeinsames Jahr geprägt durch die Liebe, die sich zwischen ihnen entwickelt. Aber auch durch innere Zweifel, wirtschaftliche und gesundheitliche Probleme, sowie starre gesellschaftliche Konventionen und Vorurteile: Ihr Altersunterschied von 15 Jahren. Beide waren nicht ganz »frei«, sondern »mehr oder weniger« liiert. Dora hatte keinen leichten Zugang zu Kafkas Werk. Kafkas jüdische, assimilierte Familie lehnte gläubige, jüdische »mittellose Flüchtlinge aus dem Osten« ab. Dora stammte aus einer religiösen, verarmten polnisch-jüdischen Familie. Ihr Vater wiederum verweigerte Franz die Erlaubnis, Dora zu heiraten, da er kein gläubiger Jude war. Ohne diese Erlaubnis war er – wie bei seinen bisherigen drei Verlobungen – nicht bereit, Dora zu heiraten. Dazu kam Kafkas sich stetig verschlechternder Gesundheitszustand. Die Geldgier von Ärzten, die ihm nicht helfen konnten. Die Inflation und der auflodernde Antisemitismus im Berlin der Weimarer Republik. Doras Enttäuschung, weil Franz bei seiner Familie nicht zu ihr stand. Während sie bereit war, alles für ihre Beziehung zu geben. Diese Liste ließe sich fortsetzen oder man kann sie zusammenfassen mit: So ist das Leben.
Dem Roman gelingt das Kunststück, diese Realität wie auch die wundervolle Liebe zwischen diesen beiden komplexen Figuren klar, genau und wertfrei zu erzählen. Glück und Unglück sind ausbalanciert. Eine vielversprechende Voraussetzung für eine Adaption.
Was haben die Drehbuchautoren (Michael Gutmann und Georg Maas, auch Regie) aus dieser Liebe unter Widrigkeiten gemacht? Welche filmischen Lösungen haben sie für die Liebe gewählt und welche für die Widrigkeiten? Welche Motive haben sie gestrichen, welche gekürzt, welchen geben sie Raum?
Auffallend ist, dass sehr Vieles, das negativ, problematisch oder ambivalent ist, rausgekickt, gekürzt oder anekdotenhaft verniedlicht wurde.
Die folgenreichste Veränderung besteht darin, aus zwei außergewöhnlichen Charakteren zwei gewöhnliche Menschen zu machen. Dementsprechend werden ihre Begegnung, ihr Kennenlernen und ihre Nähe mit Standardszenen erzählt wie aus dem Ratgeber »Romantik für Dummies«: Dora und Franz machen Fadenspiele auf einer Bank mit Meerblick. Sie spazieren barfuß am Strand. Kleine Wellen umspülen ihre Füße. Franz folgt Doras Idee, sich in Unterwäsche ins Meer zu stürzen (trotz Tuberkulose!?). Franz holt Dora mit einem brausenden Motorrad zum Date ab. Über allem scheint die liebe Sonne. Dora bringt Franz Tanzschritte bei. Franz kauft Dora von einem Verlagsvorschuss einen Blumenstrauß.
Hat Kafka seine Manuskripte wirklich ostentativ vor Doras Augen in den Ofen geworfen? Sodass sie fragen muss: Was machst du da? Die Wunschvorstellung jedes Kafka-Fans ist, dass er weniger theatralisch war, also dass er sie heimlich verbrannt hat.
Die Kinder aus armen jüdischen Familien, die Dora in einem Kurheim an der Ostsee betreut, sind allesamt niedlich und brav. Eigentlich schon streberhaft. Kein Wunder, dass kein Kind eine natürliche Reaktion zeigt, nachdem Kafka seine Fabel von der chancenlosen Maus erzählt hat, die von der Katze gefressen wird. Interessant wäre es gewesen, der Realität eine winzige Chance zu geben. Also wenn wenigstens ein Kind gesagt hätte: Verstehe ich nicht. Oder: Katzen sind doof. Stattdessen: Der Tod der Maus macht alle Kinder zu Kafka-Fangirls und -Fanboys. Apropos Kinder. Warum sehen die in Filmen immer aus wie gecastet? Natürlich weil sie gecastet sind. Aber könnte man einer Casting-Agentur zur Abwechslung nicht mal sagen: Wir wollen Kinder, die aussehen wie echte Kinder. Nicht wie aus dem Model-Katalog entsprungen. Das erledigen die Casting-Agenturen sicher gerne.
Max Brod ist hier kein Schriftsteller, hedonistischer Schürzenjäger, Ehebrecher und Strippenzieher wie in der Realität und wie in Michael Kumpfmüllers Roman. Stattdessen eine schlichte Frohnatur mit festgetackertem Lächeln. Er spendet Trost und verbreitet gute Laune. Wie schafft er das? Er schenkt Champagner aus und klimpert flotte Melodien auf dem Klavier.
Diese Liste von Szenen aus dem Mindset »Das Leben ist schön« – für alle, die an den Storch glauben, ließe sich fortsetzen, das Prinzip ist klar. Solche naiven Vorstellungen von Glück und Realität erinnern an kitschige Lovestorys, Feelgood-Filme.
Scheinbar ist die Aussage des Regie-Duos Georg Maas und Judith Kaufmann: Lebensglück besteht darin, Negatives so gut es geht auszublenden. Gemäß den glatten Bildern ihres Films bedeutet ein herrliches Leben: Ein Leben wie in einem endlosen Werbeblock mit entsprechender Ästhetik. Das Meer ist schön. Der Himmel blau. Die Kinder süß. Draußen scheint die Sonne. Drinnen kommt alles aus dem Manufactum-Katalog. Das hieße, wir sollten uns von persönlichen Ecken und Kanten verabschieden. Stattdessen zufrieden konsumieren und daten wie Lieschen Müller und Max Mustermann. Dann klappt’s nicht nur mit dem Liebesglück, sondern auch mit der Herrlichkeit des Lebens.
Solche Filme gibt es mehr als genug. Ständig werden neue produziert. Kafkas letztes bittersüßes Lebensjahr nachzusüßen, schönzufärben und neu zu verquirlen, ist fast überflüssig. Warum nur fast? Weil einige Elemente trotz aller Kritikpunkte erstaunlich gut gelungen sind.
Sabin Tambrea spielt Franz Kafka sehr überzeugend. Es scheint, als schwebe er mit seiner rätselhaften Aura über den trivialen Szenen des Drehbuchs. Ganz besonders, wenn er nicht die fiktiven Dialoge, sondern Originalzitate spricht. Henriette Confurius harmoniert mit ihm als Dora Diamant. Schade, dass das Drehbuch ihre Figur fast bis zur Charakterlosigkeit zurechtgestutzt hat.
Die besten Stellen sind, wenn man Kafkas Texte hört. Der Film kann ihren feinen Humor und ihre Relevanz nicht mindern, im Gegenteil: Das seichte Setting bringt ihre Wucht erst recht zur Geltung. Sehr wahrscheinlich kann man Kafka gar nicht schrumpfen. Nach diesem Film wirkt sein Werk noch größer und beeindruckender, als es vorher schon war.
»Ich räume Franz nicht weniger Raum ein als Christus.« Dora Diamant
Es ist eine ganz normale, fast schon banale Geschichte: Boy meets girl. Genauer gesagt: eigentlich trifft hier eher die junge Frau den jungen Mann, und läuft ihm am Anfang regelrecht nach – auch das nichts Ungewöhnliches in den schon emanzipierten, bildungsbürgerlichen, urbanen Kreisen der Zwanzigerjahre des frühen 20. Jahrhunderts.
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All das wäre, wie gesagt, nicht weiter der Rede wert, handelte es sich nicht bei dem jungen Mann um den Jahrhundertschriftsteller Franz Kafka (1883-1924), weltberühmt für seine einzigartigen, surrealen, manche sagen »kafkaesken« Erzählungen und einen vollkommen neuen Blick auf die Welt. Aber eben auch um einen jungen Mann, der auf merkwürdige Weise besonders Jugendliche anspricht und so zu Identifikationen einlädt: auch als »poète maudit«, als ein früh Gestorbener, Unvollendeter, ewig Zweifelnder. Und damit eben auch als eine »Weltmarke würdigen Scheiterns«, so Harald Jähner, der 2011 in der »Berliner Zeitung« auch schrieb: »Kafka wurde zum Maskottchen unseres Missvergnügens.«
Vor allem für Heranwachsende. Zwar ist Kafka anders als Karl May oder der notorische Hermann Hesse kein Autor einer »Phase«, die man mit der Zeit dann ein für allemal – oder nie! – hinter sich lässt. Aber er geht eben mit seinem Leben und Charakter und seinen Schwächen »all in«: Kafka ist nicht zuletzt ein junger Mensch mit krassem Vaterkonflikt, mit überbordendem Sexualtrieb, der, wie es sich in der »Welt von Gestern« gehörte, regelmäßig im Bordell befriedigt wurde, während die Liebe ebenso regelmäßig in grotesk missglückten Versuchen endete, aufgelösten Verlobungen, missverstandenen Briefpassagen. Aber gerade in der Unvollendung ein großer Liebender, dessen Briefe an Felice und Milena Generationen von Schülern und jungen Erwachsenen nach wie vor in den Bann ziehen. Über die Person Kafka können wir sehr, sehr viel wissen, seinem Leben in voluminösen Büchern »von Tag zu Tag« nachspüren, und darum gibt es auch über ihn viel zu entdecken.
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Und dann haben wir sie: Dora Diamant, die dritte große Liebe Franz Kafkas, der durchaus nicht wenige Frauen in seinem kurzen Leben gekannt und wie man damals sagte »erkannt« hat.
Sie ist die große Unbekannte unter Kafkas Frauen. Für die einen »Kafkas kitschverdächtige Komplizin«, für die anderen die einzige echte selbstlose Gefährtin des labilen Autors, der allzuoft erleben musste, dass ihn andere vereinnahmen und über ihn bestimmen wollten. Tatsächlich sind auch ihre eigenen Manuskripte über Kafka, aber vor allem, die ihr persönlich nach seinem Tod von ihm selbst überlassenen Notizen ein ungehobener Schatz, von dem alle Kafka-Forscher wissen, ohne dass sie ihn bisher erschließen konnten.
Bei der Forschung ist sie nicht sonderlich beliebt. Denn, so Meike Fessmann, »bis heute ist unklar, ob sie die an sie gerichteten Briefe Kafkas und die Notizbücher dieser Zeit tatsächlich mit ihm gemeinsam verbrannte, oder einfach nicht wollte, dass fremde Menschen Einblick in Aufzeichnungen erhielten, von denen sie glaubte, sie gehörten nur ihr und dem Geliebten.«
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Der Film fängt an fast wie bei Murakami: Kafka am Strand; nämlich am Ostseebad Müritz. Dort lernt der 40-Jährige Franz Kafka im Juli 1923 die 25-jährige, aus Polen stammende Kindererzieherin Dora Diamant kennen. Ganz zu Beginn sehen wir, wie Kafka, in betont nicht strandgerechter Kleidung, mit Hut und Krawatte in einem Strandkorb sitzt, und – fast wie Pan Tau – einer Gruppe von Kindern seine »Kleine Fabel« erzählt, über die Maus und die Katze: »'Du musst nur die Laufrichtung ändern', sagte die Katze und fraß sie.«
Kafka ändert seine Laufrichtung trotzdem radikal. Nachdem er Dora Diamant, die in einem jüdischen Kinderferienheim arbeitete, kennengelernt hatte, begann eine leidenschaftliche Liebesgeschichte. Und binnen weniger Tage entschied er sich, etwas zu versuchen, was er noch nie zuvor ernsthaft versucht hatte: Er machte sich von Prag und seiner Familie frei und zog mit einer Frau zusammen. In Berlin suchten Dora und Franz fast ohne Geld eine gemeinsame Wohnung, lebten im armen
Steglitz und im spießigen Zehlendorf in wilder Ehe, hungerten, froren, liebten. Die armseligen Lebensumstände verschlimmern allerdings Kafkas körperlichen Zustand rapide. Er verlor ständig an Gewicht. Anfang April 1924 musste er in den Wienerwald ins Sanatorium. Sterbenskrank. Dora Diamant blieb auch dort an seiner Seite. Am 3. Juni starb er.
Kafkas Familie, mit der Franz zeitlebens haderte, war mit der Beziehung zuerst nicht zufrieden, änderte aber mit der Zeit ihre Haltung,
und akzeptierte Dora als De-facto-Witwe des Sohnes.
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Dies ist kein Film, der unserem Kafka-Bild irgendetwas Neues hinzufügen möchte. Eher ist dies ein Werk fürs breite Publikum, das unterhalten will und der dies gebildet und geschmackvoll auch tut. Und dann an ein paar Dinge anknüpft, die wir von Kafka wissen oder zu wissen glauben.
Diese Verfilmung des gleichnamigen Romanbestsellers von Michael Kumpfmüller über Franz Kafkas letzte Liebe ist doppelt interessant: Ihr Titel lässt die Tragik der Geschichte kaum erahnen. Denn dieser Film handelt vom Sterben und dem letzten Glück, vom letzten Lebensjahr von Franz Kafka. Das Drehbuch schrieb Georg Maas zusammen mit Michael Gutmann auf Basis des Romans. Maas führte auch Regie, zusammen mit Judith Kaufmann.
Und mit Sabin Tambrea und Henriette Confurius bringt diese
Verfilmung zwei der aufregendsten deutschen Gegenwartsschauspieler in einer überzeugenden Konstellation auf die Leinwand.
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Kafka wird in diesem Film von Sabin Tambrea verkörpert, der Kafka zurückhaltend spielt und dem oft als menschenscheu, seltsam und irgendwie »schräg« verschrienen Autor eine angenehme Normalität gibt.
Da, wo Joel Basman in der in wenigen Tagen startenden ARD-Serie von David Schalko den Kafka extrovertiert, exaltiert
und betont außergewöhnlich erscheinen lässt, als »Genie«, da ist Tambrea das angenehme Gegenteil: Sanft und zögernd, manchmal fast schüchtern, dann wieder verschmitzt witzig und jedenfalls warmherzig. Zugleich ist der Mann, wir wissen es, und man sieht es auch, ein Todgeweihter.
Das eigentliche emotionale Zentrum des Films ist darum aber Henriette Confurius als Dora Diamant. Sie verkörpert das Leben und ermöglicht mit ihrer selbstlosen Zuneigung dem großen Autor einen sanften Tod.
Sie ist – ein Diamant. Und wir dürfen uns den Mann, der es doch noch geschafft hat, seine Laufrichtung zu ändern, dürfen uns den sterbenden Kafka als einen glücklichen Menschen vorstellen.