USA 2007 · 117 min. · FSK: ab 16 Regie: James Gray Drehbuch: James Gray Kamera: Joaquín Baca-Asay Darsteller: Joaquin Phoenix, Eva Mendes, Mark Wahlberg, Robert Duvall u.a. |
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Ende der Ambivalenz |
New York, 1988. Bobby, der Sproß einer Polizistenfamilie, leitet einen angesagten, allerdings der Russenmafia verbundenen Nachtclub in Brooklyn. Als die Mafia Bobbys Vater und Bruder ins Visier nimmt, opfert der verlorene Sohn Bobby sein bisheriges Leben, kehrt heim und wird ein V-Mann der Polizei – um einen hohen Preis. James Grays We Own The Night betreibt die symbolische Hinrichtung der hedonistisch-individualistischen Werte der 80er Jahre. Ein tendenziöses Mafiamärchen, das weder filmisch, noch in seiner Aussage überzeugt, darüber hinaus ein erzreaktionäres Weltbild propagiert. Will die Wiesbadener Filmbewertungsstelle sich nicht selbst in absehbarer Zeit abschaffen, sollte sie solchen Filmen nicht das »Prädikat Wertvoll« verleihen.
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Ein Auftakt der alles verspricht: Lasziv räkelt sich Eva Mendes auf einem Sofa, eine Einladung zum Sex, die ebenso dem Zuschauer gilt, wie Bobby Green (Joaquin Phoenix), dem Mann, der gerade mit ihr allein im Zimmer ist. Wir sind im Jahr 1988, Heart of Glass wird aus dem Off gespielt – schon der erste Fehler, denn wollte 1988 überhaupt noch irgend jemand Blondie hören? – dann taucht man ganz und gar ein in diese Welt aus Versuchung und Verführung, Genuss und Gefahr, aus reiner Ambivalenz: Sex, Drogen, Musik, ein Hedonismus des Hier und Jetzt. Aber leider hält der Film dieses Versprechen, je länger er dauert, um so weniger.
Diese kleinen Zeichen, die schon am Anfang falsch gesetzt sind – eine Disco in Brooklyn, eine Werbung aus den späten 70ern – kümmern zwar jüngere oder ahnungslosere Zuschauer gar nicht – was sind schon zehn Jahre? – aber sie sind ein guter Hinweis darauf, dass der Autor dieses Films selbst mindestens oberflächlich und ahnungslos, wenn nicht überhaupt gleichgültig seinem Film gegenüber ist. Gute Regisseure machen sich gerade über Details Gedanken, und ohne Kontrollfreaks zu sein, sind Zeichen dort, wo sie falsch gesetzt sind – sehr bewusst falsch gesetzt: Etwa das berühmte Schuhmann-Stück in Kubricks Barry Lyndon, das kein Fehler ist, sondern romantisches Zeichen, ein Vorgriff auf die bevorstehende Epochenwende. Hat Blondie’s Heart of Glass einen ähnlichen Sinn?
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Green ist ein moralisch nicht weiter besorgter Nachtclubmanager, wie er in einem Buch über russische Halbwelt steht, und zugleich das Schwarze Schaf einer Polizistenfamilie in New York. Ganz kann dieser verlorene Sohn sich aber, das ist schnell zu merken, vom »Terrorzusammenhang Familie« (Alexander Kluge) nicht befreien und trägt schwer an der Last seiner Herkunft – zumal ihn seine Familie je nach Temperament als Verräter oder zumindest als Enttäuschung behandelt.
Etwa
zu schnell entfaltet Regisseur James Gray dieses Milieu aus starken Vätern und halbstarken Söhnen, Gehorsam und Religion, Tradition und Gewalt. We Own The Night, der Originaltitel, ist dabei das Motto der Polizeieinheit.
Russen in Amerika sind bei Gray schon in Little Odessa und The Yards, das, was für Martin Scorsese die Italiener sind. Phoenix und Mark Wahlberg spielen zwei ungleiche Brüder aus dem russo-amerikanischem Milieu von Queens, Robert Duvall den Vater. Viel weniger als unlängst in David Cronenbergs Eastern Promises ist das hier von der Lust am grellen Klischee, an der comic-haften Übertreibung geprägt. Gray zeigt nicht Blut und Borscht, sondern Pflicht und Neigung.
Bis zur Mitte ungefähr funktioniert das ganz gut – wenn auch etwas zu sehr von Posen bestimmt, und etwas zu sehr aus zweiter Hand, Coppola für Arme. Aber eben mit einzelnen großartigen Szenen, wie einer Auto-Verfolgungsjagd durch peitschenden Regen, die in ihrer Schönheit und Originalität mit den größten Vorbilder The French Connection und Bullitt mithalten
könnte, wäre sie nicht dann wieder derart gnadenlos übertrieben, und suchte sich Ausflüchte in Unsichtbarkeit: Man kann kaum erkennen, was eigentlich passiert, und man muss überdies fürchten, dass Gray das alles am Ende metaphorisch meint: Wasser ist gleich Sintflut und Taufe. Dann könnte er seinen Helden allerdings auch durch eine Autowaschanlage fahren lassen.
Und doch bleibt We Own The Night so lange interessant, wie er seine Doppelbödigkeit behält,
den Nachtclub mit seinen Drogengeschäften und Mafiagästen, die erotische Versuchung von Eva Mendes im Blick behält, und letztlich auf der Seite des Grenzüberschreiters Bobby steht. Zu stehen scheint.
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Denn dann, viel zu unvermittelt wechselt der doch die Seiten, tritt – in New York geht das mit den richtigen Vätern offenbar an einem Tag –, in den Polizeidienst ein, und aus dem Film wird ein nach einer Überdosis Testosteron triefendes Plädoyer für Selbstjustiz. Männer sagen »Motherfocker« und antworten »Fuck you!«, wenn sie zueinander nett sein wollen, und versichern, sie würden nicht mehr in die Hosen machen. Frauen wird im richtigen Moment immer gesagt, sie sollten doch bitte mal das Zimmer verlassen. Diese unreflektierte Feier des Männerbündischen und seiner patriarchalischen Werte, der Unterwerfung des Einzelnen und Persönlichen unter die Autoritäten Vater und Gemeinschaft, ist notdürftig maskiert als Noir-Großstadtmärchen, das aber auch als Film nichts mehr richtig macht. Unglaublich inkohärent wird die Handlung noch im Kleinsten, unstimmig die Psychologie und man hat den Eindruck, dem Regisseur ginge es wirklich allein um ein ideologisches Pamphlet: Das Ende der 80er, das Ende der Ambivalenz. Hauptfigur Bobby muss jedenfalls das Nachtclubleben sein lassen und zurück in den Schoß der Familie, zurück zur Stammesmoral. Ein notwendiges und akzeptables Opfer, behauptet der Film unverblümt. Selbst dafür, das World Trade Center bei einem Gespräch des Bruderpaares durchs Fenster schimmern zu lassen, ist sich der Regisseur nicht zu schade, und auch wenn man sagen könnte, dass das Gebäude 1988 eben noch stand, hat so ein dick ausgestelltes Bild natürlich ganz andere, viel weitertragende Bedeutung. Rache und Selbstjustiz sind gerechtfertigt im Schatten der Opfer und angesichts der Täter, mit denen man es hier zu tun hat – so lautet die Botschaft: »Better to be judged by twelve, than carried by six«, »besser vor Gericht als tot« sagt Bobby, so einfach ist das, wenn man es sich so machen will. James Grays spätpubertäres Weltbild zeichnet die Welt in archaischen Metaphern und schwarzglänzendem Fatalismus als Schlachtfeld der Ehre.
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Visuell bleibt das bis zum Ende so plump wie die Moral: Phoenix erlegt den Oberschurken in den letzten Minuten wie der Jäger das Wild im Gebüsch – in New York, in das er selbst zurückgeht, nachdem er es zuvor hat anzünden lassen – eigentlich um den Bösewicht herauszutreiben und festzunehmen. Aber dann hätte er ja nicht erschossen werden können.
Ein reaktionäres Märchen also, dem es um nichts anderes geht, als darum, Heterogenität wieder uniform zu machen, den
verlorenen Sohn nach Hause zu bringen. Um jeden Preis. Dafür opfert Bobby dann sogar einen Vater, seine Freiheit und eine Liebe.