MEX/NL/D/F 2013 · 104 min. · FSK: ab 16 Regie: Amat Escalante Drehbuch: Gabriel Reyes, Amat Escalante Kamera: Lorenzo Hagerman Darsteller: Armando Espitia, Andrea Vergara, Linda González, Juan Eduardo Palacios, Reina Torres u.a. |
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Realistisch und stilisiert zugleich |
Das erste Bild zeigt ein Gesicht. Es liegt im Fond eines fahrenden weißen Wagens. Über den Mund ist ein Klebeband geklebt, auf die Wange drückt ein Herren-Stiefel an dem Blut klebt, dessen Träger nicht zu sehen ist. Der Körper des jungen Mannes ist gefesselt. Neben ihm liegt ein anderer junger Mann, der noch übler zugerichtet ist – die Kamera zeigt dieses Schreckensbild in einer einzigen langsamen, das Bild öffnenden Drehung. Kurz darauf hängt der zweite Junge tot an einer Straßenbrücke. Der andere überlebt. Es ist, das erfährt man bald, Heli, die Titelfigur des Films.
Dieser Auftakt sagt schon fast alles über die Welt in der Heli spielt: Willkür, Gewalt und Bedrohung sind hier permanent und unbegrenzt.
Dann geht der Film zeitlich einige Tage zurück. Innenansichten einer armen Familie auf dem Land, später erfahren wir, dass es sich um den mexikanischen Bundesstaat Guanajuato handelt. Heli ist, obschon erst 17 bereits verheiratet und Vater eines Söhnchens. Er arbeitet in einer Autofabrik. Gemeinsam mit der
Familie leben auch sein Vater und seine Schwester Estela. Die zwölfjährige Estela hat einen Freund, Beto. Der ist bereits 17, und plant, gemeinsam mit Estela in eine bessere Zukunft zu fliehen. Beto ist Kadett in der lokalen Polizeikaserne.
Der mexikanische Regisseur des Films, Amat Escalante (Los Bandidos) entfaltet dieses Panorama in ruhig und präzis erzählen Momentaufnahmen, die zugleich entspannt sind und dabei überaus dicht viele Informationen transportieren, deren Bedeutung sich oft erst rückblickend erschließt. Zugleich erfährt man viel über Land und Gesellschaft. Etwa wenn wir das Polizei-Training beobachten, in dem Demütigungen alltäglich sind, und das von einem US-amerikanischen Coach angeleitet wird. Oder wenn Betos Vorgesetzte zunächst zu einer langen, pathetischen Rede medienwirksam vor Journalisten einen Haufen Drogen verbrennen, und dann dieses später zynisch kommentieren.
Um seine Flucht zu finanzieren, lässt sich Beto auf einen Deal mit dem Drogenkartell ein, der bald die Hölle auf Erden entfesselt: Unglückliche Zufälle, Ungeschick und Dummheit führen dazu, dass Heli, der für Estela eine Art Ersatzvater ist, die versteckten Drogen findet, sie zerstört, und ihr karges Haus bald darauf von einer Polizeieinheit gestürmt wird, die wiederum mit einem Mafiakartell im Bund ist. Schnell eskaliert alles, der Vater wird getötet, Heli, Estela und Beto gefangen genommen.
In diesem zweiten Film-Drittel zeigt Escalante brutalen Folterszenen. Es zeigt sie allerdings ohne jeden Anhauch von Exploitation, aus dem Blick der Folternden und ihrer am Ort des Geschehens anwesenden Kinder. Erkennbar geht es dem Regisseur um ein Panorama der Wirklichkeit und eine Anklage ihrer Schrecken. Auch zeigt Escalante bezeichnenderweise mit keinem Bild, was der kleinen Estela widerfährt. Alles mündet in die Szenen des Anfangs: Beto baumelt ermordet an der Brücke, Heli wird freigelassen. Estela später auch.
Das letzte Drittel schildert die Folgen des Geschehens für Beto und seine Familie, ihre Angst vor der Wahrheit und den staatlichen Institutionen, und Betos Rache. So vervollständigt der Film seine Passionsgeschichte um den Verlust der Unschuld, um moralische Korruption, und Angst vor der Wahrheit. Sie ist gleichzeitig vollkommen zeitlos wie brennend aktuell. Denn natürlich schreibt Escalante seine Handlung auf die Verhältnisse der mexikanischen Gegenwart zu; auf eine Gesellschaft, in der die Männer nach wie vor den Ton angeben, in der das Selbstbild dieser Männer aber vor allem durch verübte wie erfahrene Gewalt bestimmt wird, und zugleich Ohnmachtserfahrungen an der Tagesordnung sind.
Lorenzo Hagermans Kamera ist bestechend. Wie der Film auch sonst verbinden seine Bilder Originalität mit Engagement, Stilisierung und Formbewusstsein. Escalantes Blick auf die Welt ist beobachtend und mit großer Präzision und Rationalität inszeniert. Das Ergebnis ist reiner Nihilismus. Allerdings weder moralischer noch ästhetischer, er ist einfach das Ergebnis einer Bestandsaufnahme. »Heli« ist ein hartes, auch ästhetisch gewagtes, sperriges Drama. Es überzeugt durch Konsequenz, aber auch als Sinnbild der gesellschaftlichen Katastrophe, die sich im vom Drogenkrieg geplagten Mexiko gerade ereignet. Und es bekräftigt, wie stark das mexikanische Kino gerade ist. In Cannes bekam Escalante 2013 die Silberne Palme für die »Beste Regie« – völlig verdient.
Das Schlussbild zeigt die Familie noch einmal im Haus. Heli, seine Frau und Estela erleben Erleichterungen und so etwas wie Glück. Sonnenschein. Der Wind streicht durchs Haus, Frieden.
Zwei Männer mit blutigen Gesichtern liegen halbtot auf dem Boden eines Kleintransporters. Nach längerer Fahrt hält der Wagen bei einer Fußgängerbrücke an. Die beiden Männer werden ausgeladen und der eine an der Brücke aufgehängt. Seine heruntergelassene Hose gibt den Blick auf die weiße Unterhose frei. Die Szene ist brutal. Aber viel mehr noch ist das sich darbietende Bild schlicht und ergreifend erbärmlich.
Dies ist der Beginn von Amant Escalantes Spielfilm Heli, für welchen der Mexikaner 2013 in Cannes den Preis für die beste Regie erhielt. Wie es zu der obigen Szene kam, erfährt man erst in der Mitte des Films. Aber der Tonfall für das noch Folgende ist mit dieser Einführung bereits gesetzt. Heli spielt in Zentralmexiko, genauer gesagt in der durch Drogenkriege besonders gebeutelten Region Guanajato, aus welcher auch Amant Escalante stammt. Dass die mexikanischen Drogenkartelle auf äußerst zynische und nihilistische Weise vorgehen, hatte selbst in Hollywood bereits Ridley Scott mit The Counselor gezeigt. Dort erscheinen die Söldner der Drogenkartelle zwar als abgrundtief böse. Zugleich sind sie in ihrer Kompromisslosigkeit inzwischen so stark stilisiert, dass ihre zynischen Handlungen innerhalb eines Genrefilms bereits fast wieder cool wirken.
In Heli ist hingegen nichts und niemand cool. Hier gibt es nichts als Schmutz, Elend, Hässlichkeit, Verrohung, Korruption, Folter, Vergewaltigung, Mord und allgemeiner menschlicher Degeneration. Auch der titelgebende Heli (Armando Espitia) ist alles andere als cool. Aber immerhin versucht der jungenhafte Familienvater die Dinge am Laufen und die Seinen beisammen zu halten. Heli lebt mit seiner Familie in einer kleinen Hütte, welche nicht viel mehr, als eine bessere Baracke ist. Dort wohnt Heli mit seiner Frau Sabrina (Linda González) und ihrem kleinen Baby, Helis 12-jähriger Schwester Estela (Andrea Vergara) und Helis Vater. Heli und sein Vater arbeiten beide in einer Autofabrik, der Vater bei Tage, der Sohn in der Nachtschicht. Ist der Vater zuhause, sitzt er vorm Fernseher und trinkt Bier. Es ist Heli, der auf seine kleine Schwester achtgibt.
Eines Tages lernt Estela den 17-jährigen Beto (Juan Eduardo Palacios) kennen, der in einer Sondereinheit der Polizei ausgebildet wird. Dort bekommt Beto mit, wie einige seiner Kollegen zwei zur öffentlichen Verbrennung bestimmte Säcke mit Kokain unterschlagen. Er klaut das Kokain und deponiert die Säcke in einem Wassertank auf dem Haus, in dem Estela mit ihrer Familie wohnt. Die beiden planen, zu heiraten und wollen mit dem Geld aus dem Verkauf des weißen Pulvers aus der trostlosen Gegend wegziehen. Doch weder der Diebstahl noch das Versteck der Säcke bleiben lange unentdeckt...
Amant Escalante hat Heli auf äußerst realistische und zugleich sehr stilisierte Weise inszeniert. Auf die trostlosen Innenansichten des Hauses, in dem Heli mit seiner Familie wohnt, folgen sorgfältig komponierte Panoramen der umgebenden weiten Landschaft. Lange erscheint der Film wie eine ruhige Sozialstudie über Menschen, die trotz einfachster Verhältnisse versuchen ein Leben in Würde zu führen. Immerhin gibt es in Helis Familie noch etwas Zärtlichkeit, während der Rest der Gesellschaft völlig verroht erscheint.
Diese Nähe zur Groteske findet sich überall im Film. Da ist die gleichfalls potthässliche Polizistin mit der üppigen Oberweite. Als die in einer offiziellen Angelegenheit gekommene Dame sich vor Heli entblößt, vergräbt der sein Gesicht in ihrem Busen. Als er jedoch nicht weitermachen will, fragt diese Polizistin Heli, ob er schwul sei. Da ist auch die in ihrem banalen Realismus erschreckende Folterszene, bei welcher die kleinen Geschwister des Folterers ihr Spiel an der Videokonsole unterbrechen, um ein wenig mitfoltern zu können. Anschließend fragt der eine, den anderen, was der Gefolterte eigentlich verbrochen habe. Die Frage wird mit einem Achselzucken abgetan. Ist ja auch egal.
Diese Nähe zur Groteske findet sich überall im Film. Da ist die gleichfalls potthässliche Polizistin mit der üppigen Oberweite. Als die in einer offiziellen Angelegenheit gekommene Dame sich vor Heli entblößt, vergräbt der sein Gesicht in ihrem Busen. Als er jedoch nicht weitermachen will, fragt diese Polizistin Heli, ob er schwul sei. Da ist auch die in ihrem banalen Realismus erschreckende Folterszene, bei welcher die kleinen Geschwister des Folterers ihr Spiel an der Videokonsole unterbrechen, um ein wenig mitfoltern zu können. Anschließend fragt der eine, den anderen, was der Gefolterte eigentlich verbrochen habe. Die Frage wird mit einem Achselzucken abgetan. Ist ja auch egal.
Heli zeigt eine Welt, in welcher jede Rechtsstaatlichkeit bereits lange ausgehebelt ist. Der Ausnahmezustand ist hier längst zur neuen Normalität geworden. Die letzte Einstellung zeigt einen bei Sonnenschein sanft im Wind wogenden Vorhang. Dieses Bild erscheint wie ein leiser Hoffnungsschimmer. Aber darf man inmitten solch einer Realität überhaupt noch ernsthaft hoffen? In jedem Fall muss man weitermachen.