Deutschland/N 2017 · 86 min. · FSK: ab 0 Regie: Thomas Arslan Drehbuch: Thomas Arslan Kamera: Reinhold Vorschneider Darsteller: Georg Friedrich, Tristan Göbel, Marie Leuenberger, Hanna Karlberg u.a. |
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Fast ein Buddy-Movie |
Norwegen. Die Umrisse des Landes erinnern an eine E-Gitarre, sein Nationalsound ist Black Metal. Im Land der dunklen Nadelwälder mit den einsamen Seen und Blockhäusern wird es im Sommer nicht dunkel. Die hellen Nächte sind das norwegische Lebensgefühl.
Sie hat Thomas Arslan zum Titel seines neuen Films gemacht, der größtenteils in Norwegen spielt und sich wie ein Echo ausnimmt zu zwei seiner früheren Filme: Immer wieder erinnert man sich an Gold, seinen Western, und Ferien, dem Familiendrama aus der Uckermark. Beide Filme, so unterschiedlich sie sind, lassen die Natur herein und lassen zu, dass diese die Erzählung übernimmt, dass die Handlung verstummt. Wenn in Ferien der Wind durch die Bäume streift, sind die Streitgespräche der Erwachsenen beendet. Der Trost liegt in der Natur. Thomas Arslan ist ein Romantiker.
Die Fahrt, die der Vater und sein Teenager-Sohn in Helle Nächte in den immer einsamer werdenden Norden Norwegens unternehmen, nimmt sich vor diesem Hintergrund aus wie eine nordische Western-Variante. In der Kargheit der Natur verlieren sich die Figuren wie die ersten Siedler, finden sich aber auch, sich und ihre Identität. Der Vater offenbart sich dem Sohn, der aber will davon nichts wissen, läuft davon; dennoch hat er es gehört. Das Licht, die Nadelwälder, die Seen, die einsame Landstraße geben die Grundstimmung des Roadmovies, das auf ein Buddy-Movie hinauslaufen könnte. Wenn nur Vater und Sohn miteinander reden könnten, und wenn der Vater nichts gegen das Angeln hätte.
Helle Nächte macht den Auftakt zu einem wunderbaren deutschen Kinoherbst, in dem auch noch Valeska Grisebach mit einem bulgarischen Western eine zärtliche Männergeschichte erzählen wird. Cowboys, Männer und Teenager haben eines gemeinsam: Sie sind wortkarg, brüten etwas aus, aber wissen oft selbst nicht, was genau das ist.
Der Vater in Helle Nächte, der Berliner Bauingenieur Michael, will das ändern. Seinen eigenen Vater hat er soeben beerdigt, ohne dass es eine Versöhnung gab, zu seinem Sohn hat er den Kontakt verloren, seitdem ihn die Mutter wegen Untreue rausgeschmissen hat. Michael wird vom Österreicher Georg Friedrich gespielt, der gerne im Kino der Berliner Schule besetzt wird. Zu diesem Kino der Reduktion, das sich – auf eine Minimalformel gebracht – durch eine oft unnatürliche Sprache, ein angespanntes Figurenverhältnis und lange Kameraeinstellungen auszeichnet, gehört auch Thomas Arslan. Hier akzentuiert sich durch die Besetzung mit Georg Friedrich das Fremdsein seiner Figur auch dort, wo diese eigentlich zu Hause sein sollte: Michael lebt in Berlin in einer Beziehung, die sich in jedem Moment falsch anfühlt, sein Sohn versteht ihn nicht, obwohl er sich bemüht, möglichst ohne österreichischen Akzent zu sprechen.
Dennoch – gerade die Kontaktaufnahme ist, worum es Michael geht. Man könnte auch sagen: Er lernt gerade das Sprechen. Sucht immer wieder nach Sätzen, setzt immer wieder zu Erklärungen an, ist dabei oft unangemessen direkt. Sohn Luis, von Tristan Göbel mit aller jugendlichen Verve verkörpert, sitzt neben ihm, fährt mit ihm durch Norwegen, ohne zu wissen, warum oder wohin. Meist hat er die Ohren mit seinem i-Pod verkabelt. Wenn er antwortet, dann einsilbig. Wer Teenager kennt, oder gerade selbst welche zu Hause hat, weiß, wie genau hier Thomas Arslan hingesehen hat, die Dialoge, die schief laufen, die ganze pubertierende Patzigkeit, befreien den Film auch von dem Ernst, der ihm anhaftet. »Nach der Beerdigung fahren wir noch aufs Land.« – »Mann, ich wohn' auf eh schon auf 'nem Dorf, was will ich auf dem Land?«
Das Versagen der Sprache offenbart eine grundlegende Ehrlichkeit; die norwegische Landschaft mit ihrem weißen Himmel ist die Entsprechung der angestrebten Reinheit, die hellen Nächte sind der Spiegel für den schlaflosen Seelenzustand der Figuren. Man kann den Film auch insgesamt als Seeleninnenlandschaft begreifen. Norwegen ist der Inbegriff für den Gemütszustand, um den es hier geht. Außen hell, innen dark. Das trifft für den Vater zu, der nach Erklärungen und um seinen Sohn ringt, und für den Sohn, der identitätskrisengeplagt die Pubertät durchläuft. Die Landschaft spiegelt die Erzählung, die Musik wird zu deren schwebendem Zustand – geschaffen vom norwegischen Soundtrack-Komponisten Ola Fløttum, der auch für Ruben Östlunds Turist und Joachim Triers Louder Than Bombs komponiert hat. Die langen, soghaften Kamerafahrten von Reinhold Vorschneider wiederum sind das Vehikel für den Zuschauer, sich direkt in den Film hineinzubegeben.
Dessen Epizentrum ist zugleich topographischer Höhe- und Wendepunkt der Fahrt. Sie führt in die Berge des norwegischen Nordens, wo sich die Vater-Sohn-Beziehung ändern wird. In einer langen Einstellung, die nur den Blick auf die Straße zeigt, gerät das Auto allmählich in einen Nebel, der immer dichter wird: das Bild taucht komplett ein ins Weiß. Farbentsättigt und unbeschrieben durchläuft es einen kurzen Nullpunkt des Erzählens, bevor sich das Vater-Sohn-Drama klären wird – eine atemberaubende Hommage an Michelangelo Antonionis Nebelfahrt in Identifikation einer Frau.
Einmal machen Vater und Sohn Station in der Einsamkeit. Das Benzin ist ausgegangen, sie finden sich an einem Waldsee wieder, wo vereinzelt Ferienhäuser stehen. Luis durchstreift die Gegend zusammen mit einer norwegischen Jugendlichen, die es im Wald ebenso öde findet wie er. Es sind kleine Eskapaden aus der Welt der Erwachsenen, die ihnen unendlich kompliziert erscheint. Fluchtlinien ergeben sich durch das Smartphone und einem Black-Metal-Clip, der den Film aufbricht und noch mal eine weitere Dimension des Gemüts offenbart: Die der rauen Teenager-Existenz.
Thomas Arslans Helle Nächte kann auch als Studie gesehen werden, die zeigt, wie die Natur die Menschen aus ihrem Korsett der gesellschaftlichen Verkorksung befreien kann – der Film entfaltet eine nahezu therapeutische Magie. Er atmet in jedem seiner Bilder, ist Antidot gegen die Beschleunigung. Und er ist ein Plädoyer für das Erzählen mit allem, was dem Kino in seiner Essenz zur Verfügung steht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.