Hell or High Water

USA 2016 · 102 min. · FSK: ab 12
Regie: David Mackenzie
Drehbuch:
Kamera: Giles Nuttgens
Darsteller: Jeff Bridges, Chris Pine, Ben Foster, Gil Birmingham, Katy Mixon u.a.
Die Seele eines verwundeten Landes

Komme was wolle

Film ist immer auch »eine Art von Mikro­kosmos«, in dem sich »das Bild einer Kultur wieder­finden lässt, und zwar derje­nigen selbst, deren Produkt er ist.« So hat es der Soziologe Alphons Silber­mann 1980 betont und in diesen Tagen gibt es viel­leicht keinen Film, der dieser Prämisse besser entspre­chen würde als David Macken­zies Hell or High Water. Ein Film, der nicht nur den Sprung weg von der 2012er Blacklist der besten unver­filmten Dreh­bücher geschafft hat, sondern dem nach einem uner­wartet erfolg­rei­chen Arthouse-Film-Start in den USA ein landes­weiter Kinostart vergönnt war und der dort zu einem der erfolg­reichsten Inde­pen­dent-Filme des Jahres 2016 avan­cierte.

Macken­zies Mikro­kosmos ist das westliche Texas, dessen offi­zi­elle, mediale Leitwerte immer noch für das stehen, was Amerika groß gemacht hat – Weite, Freiheit, Pferde, die Familie, Erdöl und die Chance, es zu etwas zu bringen, egal, was man macht. Wie weit es darum tatsäch­lich bestellt ist, sehen wir gleich in der ersten Einstel­lung von Hell or High Water, einer gran­diosen Kame­ra­fahrt im vollen 360°-Winkel, die über einen fast lyrischen Kern die ganze Geschichte vorweg­nimmt: eine tote Klein­stadt voll verwaister Läden und einer Kirche, die lebloser nicht wirken kann. Das einzige, was noch zu funk­tio­nieren scheint, ist eine Filiale der »Texas Midlands Bank«. Die schon im nächsten Moment von den Brüdern Toby (Chris Pine) und Tanner Howard (Ben Foster) über­fallen wird. Und einen Moment später, auf ihrer Flucht, sehen wir, dass es auf dem Land auch nicht viel besser aussieht als in der Stadt. Groß­pla­ka­tige Anzeigen offe­rieren Schnell­kre­dite, die wenigen noch exis­tie­renden Farmen wirken verlassen, ab und an sehen wir die Drill-Pumpe einer Erdöl­för­der­an­lage. Das sind Bilder, die der Wucht und Tristesse von Andrea Arnolds American Honey kaum nach­stehen. Bemer­kens­wert­weise ist wie Arnold auch Mackenzie Engländer und mit einem »exotis­ti­schen« Blick ausge­stattet, der ebenso gnadenlos ist wie Wim Wenders Blick auf sein Texas in Paris, Texas vor 32 Jahren noch düster-roman­tisch war. Doch Macken­zies Blick inter­es­siert sich weniger für die von Arnold skiz­zierten prag­ma­ti­schen Träume einer verlo­renen Jugend als für die letzte Losung, die bleibt, wenn man seit Gene­ra­tionen alles versucht hat, um einen Weg aus der Armut zu finden, wenn es sich schlichtweg ausge­träumt hat.

Diese Losung heißt temporäre, konzen­trierte und intel­li­gente »Gewalt«. Um schließ­lich das von der Bank zurück­zu­er­halten, was noch zählt. Das verschul­dete Grund­s­tück, auf dem inzwi­schen Öl gefunden wurde. Dieser klas­si­sche »Western«-Stoff wird noch einmal mehr zum Neon-Western, als sich ein Sheriff (Jeff Bridges) mit seinem Kollegen (Gil Birmingham) auf die Suche nach den beiden Bankräu­bern macht. Doch unter dieser Genre-Ober­fläche versteht es Mackenzie, über präzise Dialoge und gnadenlos poetisch foto­gra­fierte Szenen, immer tiefer in die Seele eines verwun­deten Landes zu blicken. Und mit fast jeder Begegnung, jeder Einstel­lung führt uns Mackenzie auch an Trumps erge­benste Wähler heran, deren Befinden Arlie Russell in ihrer Reportage so treffend charak­te­ri­sierte: »The deep story reflects pain; you've done ever­y­thing right and you're still slipping back.«

Wie tief dieser Schmerz reicht, zeigt Hell or High Water vor allem über die Fragi­lität der fami­liären Bindungen. Miss­brauch, erschos­sene Väter und entfrem­dete Kinder. Traumata, die von einer Gene­ra­tion auf die nächste weiter­ge­reicht wurden und werden. Und ähnlich wie in Vince Gilligans Breaking Bad bleibt auch in Hell or High Water letztlich nur Gewalt, um sich von den nicht mehr thera­pier­baren, faulen Teilen der eigenen Misere und Gesell­schaft zu trennen. Auch wenn das bedeutet, sich dabei ins eigene (familiäre) Fleisch zu schneiden.

Handelt Breaking Bad jedoch primär vom Nieder­gang der ameri­ka­ni­schen Mittel­klasse und im beson­deren der ameri­ka­ni­schen Mittel­kas­se­fa­milie, wirft Hell or High Water auch einen Blick darauf, wie es um den Zusam­men­halt der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft und ihrer Klassen bestellt ist, wie tief der Graben zwischen Mittel­klasse und dem, was von der Arbei­ter­klasse übrig geblieben, inzwi­schen ist. Vor allem eine Szene dieses aufre­genden, wunder­schönen und grausamen Films könnte den Zustand des Landes nicht besser beschreiben: Als die beiden Brüder nach einem Banküber­fall in ihrem rampo­nierten Billig-Pickup davon­rasen, werden sie von einer Kolonne glän­zender Mittel­klasse-SUVs verfolgt, dessen Fahrer – allesamt bewaffnet – sich diese Chance auf Lynch­justiz nicht entgehen lassen wollen. Dass es dann doch anders kommt, ist nur eine der vielen subtilen Über­ra­schungen, die Hell or High Water so wertvoll machen.

Die guten Bankräuber

»Der frühe Vogel fängt den Wurm« sagt der eine Bruder zum anderen. Und dann geht es los. Die zwei Brüder sind zwei Bankräuber bei der Arbeit, sie ziehen von Stadt zu Stadt, sammeln trick­reich mehr und mehr Geld, bevor sie das Geld dann bei der gleichen Bank wieder einzahlen. Ein auf den ersten Blick absurdes, auf den zweiten ganz logisches Unter­fangen.

»Hear about these bank robberys? You might get some fun, before they send you off to the rocking chair yet.« – zwei Poli­zisten sind ihnen dabei immer dicht auf den Fersen. Sie stehen kurz vor der Rente, und die Jagd auf die trick­rei­chen Räuber ist auch für sie eine zwie­späl­tige Ange­le­gen­heit: Auf der einen Seite eine Frage der Ehre und des Ehrgeiz – ande­rer­seits: Warum soll man sich wenn man 35 Jahre als Sherrif überlebt hat, auf die letzten Tage noch mal in Lebens­ge­fahr begeben?

Hell or High Water heißt der Film des Briten David Mackenzie, und es ist ausge­rechnet dieser europäi­sche Film, der ein inter­es­san­teres Amerika-Bild zeichnet, als fast alle Filme, die im letzten Jahr von ameri­ka­ni­schen Regis­seuren zu sehen waren.

Mackenzie hat seine persön­liche Variation der »Americana« gedreht, sein Bild jener urame­ri­ka­ni­schen Mythen, von Gottes eigenem Land, von Freiheit und Abenteuer. Er erzählt von Armut, von der Unge­rech­tig­keit der Verhält­nisse, und von zwei Brüdern. Der eine ist eine Figur, die die Welt hasst und den Tod sucht, der andere liebt das Leben, will das Geld für seine Kinder, um aus der ewigen Armuts­spi­rale heraus­zu­kommen.
Die zwei Brüder sehen aus Verzweif­lung keinen anderen Weg als das Verbre­chen, nein: Als Banküber­fälle, die moralisch kein wirk­li­ches Verbre­chen sind, um die Schulden ihrer Familie zu beglei­chen, und die seit Gene­ra­tionen der Familie gehörende Farm vor den Gerichts­voll­zie­hern zu retten.

Es sind Verbre­cher aus verlo­rener Ehre; Verwandte des rigorosen Gerech­tig­keits­kämp­fers Michael Kohlhaas; Menschen, die wissen, dass Recht und Moral oft Gegen­sätze sind, jeden­falls nicht das selbe von uns verlangen. Der Film hat Sympathie für diese Bankräuber, aber er hat auch Sympathie für die, die sie jagen, die Poli­zisten.
Macken­zies Figuren – auch die Poli­zisten – scheitern, aber nur relativ; ihnen allen zusammen, und jedem einzelnen von ihnen gönnt der Regisseur einen Augen­blick der Selbst­ver­wirk­li­chung, des Glücks, der Freiheit. Und viel­leicht kommen sie ihrer Freiheit gerade dann am nächsten, wenn sie deren Grenzen erkennen.

Hell or High Water ist span­nendes, ja philo­so­phi­sches Gangs­ter­kino; dies ist ein liebe­voller Film, der vier großar­tige ausge­zeichnet gespielte Figuren ins Zentrum stellt, und manchmal sehr witzig ist, vor allem wenn der von Hollywood-Star Jeff Bridges gespielte alternde Sherrif mit seinem Partner, der india­ni­sche Wurzeln hat, über ameri­ka­ni­sche Geschichte streitet.

Dies ist also nicht einfach ein weiterer Gangs­ter­film, sondern dies ist ein großar­tiger Kinowerk, das mit exzel­lenter Kamera und klug ausge­wählter Musik grund­sätz­liche Fragen über den Sinn des Lebens stellt, und das das univer­sale Genre des Westerns zurück auf die Leinwand bringt: Auf Pferden wird nicht mehr geritten, dafür auf Gelän­de­wagen und SUVs.

Western, das ist ameri­ka­ni­scher Heimat­film. Western bedeutet seit John Fords Zeiten die pathe­ti­sche Verklä­rung einer pracht­vollen, kaum besie­delten Land­schaft, die größer und dauer­hafter ist, als die Menschen auf ihr, außerdem die Feier dieser Natur als des letzten Ortes, in dem jenseits von Stadt und Zivi­li­sa­tion indi­vi­du­elle Freiheit noch möglich ist – und zugleich bedeutet es die Ahnung, dass in diesem Gedanken ein Trug­schluss steckt.