USA 2024 · 104 min. · FSK: ab 6 Regie: Robert Zemeckis Drehbuch: Eric Roth, Robert Zemeckis Kamera: Don Burgess Darsteller: Tom Hanks, Robin Wright, Paul Bettany, Kelly Reilly, Michelle Dockery u.a. |
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Leben als Film, Film als Momentum | ||
(Foto: DCM) |
»If you stop to think about this, the ›now‹ becomes heightened,« he says. We are so rarely »in the moment,« we spend most of our time thinking of the past or worrying about the future. The »now« is the only thing that really exists. – Richard McGuire in einem Interview mit »The Atlantic«
Wer sich an Jenny Erpenbecks 2008 erschienenen Roman Heimsuchung erinnert (der ab diesem Schuljahr an deutschen Gymnasien Goethes »Faust« als Oberstufenlektüre ablöst), in dem Erpenbeck die Geschichte eines Hauses an einem märkischen See über fast ein ganzes Jahrhundert erzählt und fünfzehn Lebensläufe von den 1920er Jahren bis in die erzählerische Gegenwart und den Abriss des Gebäudes einbindet, also Weimar, NS-Zeit, Zweiter Weltkrieg, Kriegsende, DDR und die Wendejahre 1989/90, der dürfte bei Robert Zemeckis neuem Film sofort ein tiefgreifendes Wiedererkennen verspüren, denn so wie Erpenbeck erzählt auch Robert Zemeckis in seinem neuen Film von einem spezifischen Ort im Fluss der Zeit.
Doch greift Zemeckis dabei weiter aus und nimmt sich gleichzeitig stärker zurück, was natürlich an der Vorlage liegt, die nicht der Roman Jenny Erpenbecks ist, sondern der bahnbrechende, namensgleiche Comic von Richard McGuire, der zuerst als 6-seitige Comic-Kurzgeschichte 1989 und schließlich 2014 als 304-seitige Graphic Novel erschien. Beide Formate gelten als Meilenstein des modernen Comics, weil sie sowohl stilistisch als auch inhaltlich Neuland betreten haben.
Von diesem Neuland spürt man auch in Zemeckis’ Umsetzung schnell sehr viel. Denn anders als bei Erpenbeck ist der immer wieder gleiche Ort nicht ein Haus, sondern nur das Wohnzimmer eines Hauses, und manchmal auch nur der geografische Ort, führt Zemeckis in der korrekten Auslegung der literarischen Vorlage den Zuschauer auch in die prä-historische Zeit der Dinosaurier und geht historisch zumindest in Ansätzen in die Zeit zurück, als der »Ort« nur von Indigenen besucht wurde. Diese Ausflüge sind kurz, auch jene in die Zeit von William Franklin, Benjamin Franklins Sohn Mitte des 18. Jahrhunderts, stattdessen konzentriert sich Zemeckis – so wie Erpenbeck – auf das 20. Jahrhundert und neben einem kleinen erratischen Abstecher fokussiert Zemeckis auf die Familie Young, die nach dem Zweiten Weltkrieg in das Haus einzieht. Anders als Erpenbeck interessiert Zemeckis die Politik grundsätzlich nicht. Sehr realistisch macht er stattdessen deutlich, dass ein normales Leben ein apolitisches Leben ist, das von der Politik und ihren Implikationen allenfalls durch die Gefahr, den Job zu verlieren, berührt wird. Diese Sichtweise, Zemeckis’ zärtlicher Blick auf die Normalität des Menschen, schließt nahtlos an Zemeckis’ große Erfolge wie Back to the Future oder Forrest Gump an, die alle von der Zeit und ihrer unvorhersehbaren Unwucht erzählten.
Wegen Forrest Gump sieht sich Here ein wenig wie eine Fortsetzung von Forrest Gump, denn so wie in Forrest Gump sind auch in Here die zentralen Schauspieler Tom Hanks und Robin Wright und wie in Forrest Gump spielen sie ein Paar mit ähnlichen Defiziten bzw. Defiziten, die am Ende dann doch eine neue Betrachtungsweise über neurodiverse und neurotypische Lebenslinien eröffnen, ohne dabei auf den Stammtischkalauer »Die Zeit heilt alle Wunden« zurückgreifen zu müssen.
Vielmehr machen Zemeckis und einer der faszinierendsten Drehbuchautoren Hollywoods, Eric Roth, deutlich, wie groß der Abgrund zwischen unserer individuellen Lebensperspektive und dem kosmischen Komplex unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist. Es ist ein Abgrund, den wir gemeinhin verdrängen, weil er so wie der Tod einen Alltagsschwindel hinterlässt, der sich ohne religiöses oder philosophisches Zubrot kaum meistern lässt. Genau dieser Schwindel ist es auch, der Zemeckis’ Film sehenswert macht, weil die Austauschbarkeit von Leben so bizarr wie banal skizziert und konsequent wie ein Kammerspiel inszeniert wird. Fragt man sich im ersten Moment noch, was diese seltsame und völlige erratische Aneinanderreihung von Lebens- und Liebeslinien soll, gelingt es Here dann vor allem im Abgang zu punkten. Wie der Comic ist es ein Film, der wachsen kann, der beunruhigt und verunsichert und mit einem Blick auf alte, gewachsene Liebe endet, der zärtlicher nicht sein könnte.
Doch gleichzeitig wird in diesem Nachdenken auch deutlich, dass die Verunsicherung nicht nur dem ungewöhnlichen Konzept geschuldet ist, das mit der nur einen »Leinwand«, die hier zur Verfügung steht, dem Wohnzimmer, fast schon experimentell ist. Nein, die Verunsicherung wird auch durch die technische Inszenierung erzeugt. Das Morphing des Personals, also die computergenerierten Spezialeffekte, die Hanks und Robin Wright durch die Zeit taumeln lassen, wirken immer wieder unausgereift und so bleiern wie die Mimik nach schlecht dosierten Botox-Spritzen und beißen sich vor allem mit den – anders als im Comic – bizarren Dinosaurier- und »Indianer«-Einlagen, die eine Oberflächlichkeit projizieren, die mit den Alltagsdetails der späteren Zeiten schlichtweg nicht in Einklang zu bringen sind.
Und trotz aller Detailfreude – auch in der Ausstattung der jeweiligen Zeiten – gelingt es Zemeckis eigentlich nur am Ende, wirkliche Emotionalität und Empathie mit seinem Personal zu generieren, eine Entwicklung, die vor allem im Vergleich mit dem früheren Werk von Zemeckis auffällig ist, in dem jede Person einen regelrechten Orchestergraben an Gefühlen ausgelöst hat. Aber dann ist Here natürlich ein thetischer Film, der nicht nur Gefühle evozieren will, sondern die Zeit selbst in den Mittelpunkt stellt – und was sie mit unseren dann doch so kleinen Gefühlen macht. Das wiederum gelingt Zemeckis hervorragend.