Hitlers Hollywood

Deutschland 2016 · 105 min. · FSK: ab 0
Regie: Rüdiger Suchsland
Drehbuch:
Kamera: Harald Schmuck, Frank Reimann
Schnitt: Ursula Pürrer
Kino der Verführung, Kino des Unbewussten? (Foto: Zwei in Der Grossen Stadt)

Den Teufel durch Beelzebub austreiben?

»Was die Massen überzeugt, sind keine Fakten, noch nicht einmal erfundene Fakten, sondern die Konsis­tenz der Illusion.« – Hannah Arendt

»Jeder Film kann Propa­ganda sein. Unmerk­bare und doch wirkungs­volle Propa­ganda. In dem Augen­blick, da eine Propa­ganda bewusst wird, ist sie unwirksam.« – Joseph Goebbels

Sind Kritiker kriti­scher, wenn es um den Film eines Kollegen geht? Ich glaube nicht. Eher ängst­li­cher, durch die persön­liche Beziehung um den kriti­schen Verstand gebracht zu werden. Nicht die ganze Wahrheit sagen zu können mit all ihren Folgen, obwohl es doch so wichtig wäre – so wie es in einem der letzten und nicht voll­endeten Filme des Dritten Reiches, dem Lustspiel Sag die Wahrheit thema­ti­siert wurde. Womit wir auch schon beim Thema wären. Denn nach seinem Film-Essay über das Kino der 1920er Jahre – Von Caligari zu Hitler – widmet sich »artechock«-Kollege Rüdiger Suchsland in seinem neuen filmi­schen Essay dem Kino nach den 1920ern, der Zeit des NS-Films zwischen 1933 und 1945.

Wie wichtig die Gesamt­be­trach­tung dieses Zeitraums ist, sollte nicht nur durch die Tatsache gerecht­fer­tigt sein, dass mit dem Sterben der letzten Zeit­zeugen aus Mangel an Alter­na­tiven der Film in all seinen Facetten die Rolle des Zeit­zeugen über­nehmen muss, um dem Gespenst des Popu­lismus und den Gespens­tern, die darauf folgen werden, noch Einhalt bieten zu können. Nein, wichtig ist eine Gesamt­be­trach­tung auch, weil es sie bislang noch nicht gab. Es gibt zwar einzelne Studien wie Felix von Moellers Doku­men­ta­tion über Veit Harlan, Harlan – Im Schatten von Jud Süß, oder Ray Müllers Filme über Leni Riefen­stahl, Die Macht der Bilder und Ihr Traum von Afrika. Oder Erwin Leisers über 50 Jahre alter Film über das NS-Propa­gan­da­kino Deutsch­land erwache!. Aber viel­leicht hilft es auf paradoxe Art und Weise auch, dass die letzten Zeit­zeugen und damit ihr »Rezep­ti­ons­schatten« verschwindet, zumindest wenn es um einen »neuen« Blick auf das »alte« Kino des Dritten Reichs geht. Denn der gelingt Suchsland über­zeu­gend.

So über­zeu­gend, dass ich Suchsland nach Sichtung des Films sofort atemlos und begeis­tert anrufen musste, um ihm zu diesem filmi­schen Parforce­ritt durch den NS-Film zu gratu­lieren. Das Destillat, das Suchs­lands Hitlers Hollywood aus rund 1000 Filmen, die im Dritten Reich produ­ziert wurden, zieht, ist so verfüh­re­risch, wie die Filme es selbst waren. Etliche der gezeigten Film­aus­schnitte stammen aus soge­nannten, inde­xierten Vorbe­halts-Filmen, die nicht im Fernsehen oder Kino der Nach­kriegs­zeit gezeigt werden durften, sondern nur mit Zustim­mung und unter den Bedin­gungen der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, die in jedem Fall eine histo­ri­sche Einfüh­rung und eine Diskus­sion mit fach­kun­digem Leiter verlangte, so wie es dann auch in den dementspre­chenden Reihen im Film­mu­seum München umgesetzt wurde. Doch auch etliche der als »unbe­denk­lich« einge­stuften Rühmann- und Albers-Filme finden sich in der Auswahl und zeigen, wie trüge­risch fließend die Übergänge sind, wie sehr vom Blick des Betrach­ters abhängig.

Kracauers Erbe

Suchsland rekur­riert in »seinem« Blick wie schon in Von Caligari zu Hitler stark auf die Ideen des Film­theo­re­ti­kers- und Histo­ri­kers Siegfried Kracauer (1889-1966), der in seiner unver­öf­fent­lichten Studie »Tota­litäre Propa­ganda« den Propa­gan­da­film als eine »Hülle ohne Tiefe« beschrieb, mit der jedoch eine Wirk­lich­keit des »reinen Scheins« »auf Dauer gestellt werden« könne. Mit einem auch schon in seinem ersten Film unter­legten Off-Kommentar versieht Suchsland die Propa­ganda-„Hülle“ der zitierten Filme mit Kracauers Prämisse, dass Kino immer auch ein Seis­mo­graph seiner Entste­hungs­zeit ist, ein Indikator für das kultu­relle Unbe­wusste seiner Epoche, das Filme also »etwas wissen«, dass die Menschen ihrer Zeit selbst nicht wissen.

Bei all der großen Emotio­na­lität und tech­ni­scher Perfek­tion des NS-Kinos, das sich durchaus als Alter­na­tive zu Hollywood sah und von einer Art deutscher Traum­fa­brik träumte, enthüllt Suchsland mit Kracauers Augen aber zuerst einmal die Brüche, die auf der Ober­fläche des Unter­be­wussten liegen. Wie etwa die paradoxe Betonung des Deutschen, obwohl einige der größten Stars gerade nicht Deutsche waren. Um dann die Tiefen des kultu­rellen Unbe­wussten auszu­loten: Wie die mal direkte, dann wieder subver­sive Betonung von Opfer und Martyrium, von Trauer im Glück, die unfass­bare Leicht­sin­nig­keit der jugend­li­chen »Denn sie wissen nicht, was sie tun«-Attitüde, die den 70 Jahre entfernten Betrachter in einen melan­cho­li­schen Rausch­zu­stand versetzt, der noch einmal durch die immanente Wirkung der Film­zi­tate selbst verstärkt wird.

Brücken zum Kino nach dem Krieg

Und Suchsland weiß zu über­ra­schen. Es gibt Spiel­film­pas­sagen, in denen offen­sicht­lich ein positiver Grund­kon­sens zum Gedanken der Eutha­nasie vorbe­reitet wird, in denen Ingrid Bergmann auftaucht und mit drei Freun­dinnen sich beruflich zu eman­zi­pieren versucht, in denen immer wieder das alte, noch unzer­störte Berlin einen unver­dor­benen poeti­schen Atem haucht, und eine der schönsten Szenen aus Käutners Unter den Brücken ist auch mit dabei. Und in fast jedem filmi­schen Zitat verbirgt sich fast immer auch eine kleine Brücke in das Kino nach dem Krieg. Mal ist es ein Regisseur, dann wieder Schau­spieler, die – wie auch immer invol­viert in die propa­gan­dis­ti­sche Seite – nach dem Krieg ihr Kino unbeirrt weiter verfolgten.

Nein, mehr noch als die Unbe­re­chen­bar­keit der Tiefen der Vergan­gen­heit wird in Hitlers Hollywood deutlich, wie schwer die eigene Gegenwart zu dechif­frieren ist, wenn wir schon von der Vergang­an­heit derart umgarnt werden können. Und wie Goebbels und Arendt auf jeweils andere Weise sagen, funk­tio­niert gute Propa­ganda gerade dadurch, dass sie die Rezi­pi­enten nicht als Propa­ganda verstehen, dass die Illu­sionen wichtiger als die Fakten sind. Aktueller geht es kaum.

Was mein alter Deutsch­lehrer noch anmerkte

Mit diesem Satz hätte ich die Bespre­chung eines aufre­genden, erhel­lenden, berau­schenden und für den Schul­un­ter­richt fast idealen Filmes eigent­lich beendet, hätte nicht im letzten Moment mein in 1968er-Dialektik geschulter, alter Deutsch­lehrer an die Tür geklopft und mich mit glei­cher­maßen erschro­ckenen und erstaunten Augen angesehen. Natürlich reißt das mit, sagte er, natürlich berührt es und ist klug rezipiert, und nicht nur, weil viele der gezeigten Filme technisch besser sind als vieles von dem, was es heute gibt. Nein, es reißt vor allem durch das mit, was Suchlsand damit macht.

Mit einem singu­lären Kracauer-Blick, fuhr mein alter Deutsch­lehrer fort, kann man jedoch keines­falls einen Gesam­tüber­blick behaupten, vor allem nicht das so genannte Unbe­wusste einer Zeit postu­lieren. Jeder, der nur in Ansätzen etwas von Psycho­logie versteht, weiß, dass sich jeder Traum, jedes nur ans Tages­licht gezerrte »Unbe­wusste« gerade durch seine Ambi­guität auszeichnet und unbedingt mehr­deutig analy­siert werden kann, ja muss. Suchsland, darauf bestand mein alter Deutsch­lehrer, nähere sich mit dieser Arbeits­weise dem Doku­men­tar­film-Ansatz eines Michael Moore an, der grund­sätz­lich aus einer singu­lären Perspek­tive die allge­meine Wahrheit ableitet. Er habe fast jeden der von Suchsland ausge­wählten NS-Filme im Film­mu­seum gesehen und tatsäch­lich lässt sich bei jedem der Filme auch eine andere Wahrheit ablesen.

Ich fühlte mich ertappt und wie ein begos­sener Pudel. Habe ich mich genauso wie die Menschen vor 70 Jahren verführen lassen? Bin ich immer noch der kleine Schüler, der sich mit großen Augen einfach mal wieder hat an die Hand nehmen lassen wollen, um sich die Welt erklären zu lassen? Und der dann nicht merkt, dass hier einfach nur der Teufel durch den Beelzebub ausge­trieben wird?