Deutschland 2008 · 87 min. · FSK: ab 12 Regie: Esther Gronenborn Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner, Christian Limmer Kamera: Chris Valentien Darsteller: Benno Fürmann, Alexandra Maria Lara, Henry Stange, Waldemar Kobus, Manfred Möck u.a. |
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Mysteriöse Meldungen aus dunkler Vergangenheit |
Im dunklen Wald wie so oft ein Märchen fängt dieser Film an. Blaugrau sind die Bilder, blutrot die Schrift der Titelzeile, und der Mantel eines Mädchen, das hier einsam durch die Bäume stapft. Nebelschwaden tauchen den Ort in eine unwirkliche Atmosphäre, halb Seelenlandschaft, halb psychodelischer Trip durch einen Mythenmix aus solidem bayrischen Katholizismus und Heidentum ist das alles. Eine Albtraumgeschichte, eine psychotische Achterbahnfahrt durch den Wahn, den religiösen wie den sozialen, bei dem nicht nur den Hauptfiguren manchmal Hören und Sehen vergeht, bei der man auch als Zuschauer leicht die Orientierung verlieren kann – und das ist Kalkül, Intention der Regisseurin Esther Gronenborn (und ehemaligen artechock-Mitarbeiterin), die ihren Horror-Mystery-Thriller konsequent aus der Geschichte der Hauptfigur erzählt, der das alles passiert.
Ein Horror-Mystery-Thriller aus Deutschland – allein schon dieses Anliegen erweckt Sympathie in einem Land, das sein filmhistorisches Erbe so sträflich vernachlässigt hat, wie unseres, das vergessen hat, dass das Genre von Horror- und Gangsterfilm, doch zu großen Teilen im deutschen Stummfilm und der weltkriegstraumatisierten Weimarer Republik wurzelt, bevor es die Nazis, wie so vieles ins Exil trieben, und es dort in Hollywood eine neue Heimat fand.
In den frühen 20er Jahren geschahen auch die schrecklichen sechs Morde von Hinterkaifeck, einem Einödhof in der Spargelgegend des bayrischen Schrobenhausen, die seinerzeit arm war und auch sonst wenig idyllisch. Bis heute ist das aufsehenerregende Verbrechen ungeklärt, und wabert als »Deutschlands geheimnisvollster Mordfall« durch Internetforen. Und ein Weltkriegstrauma könnte, so eine der Mordtheorien, auch hier den Hintergrund bilden, da schließt sich der Kreis.
Die Mär allerdings, dass auch dieser Film mit dem wahren Fall zu tun habe, diese Mär kann man gleich vergessen. Hinter Kaifeck spielt in der Gegenwart und benutzt Versatzstücke der wahren Vorgänge mit ein paar Theorien dazu und verrührt das alles mit wildesten Spekulationen und einer gehörigen Prise bizarrem Brauchtum zu einer wilden Mixtur, die nicht immer genießbar ist, aber doch über weite Strecken anregend.
Das liegt zum einen an den Schauspielern Benno Fürmann und Alexandra Maria Lara. Fürmann hat ein selbstverständliches Charisma, das viel besser zur Geltung kommt, wenn er nicht wie in Nordwand den starken Mann markieren muss, wenn er alle Machophantasien abstreift und weich und verletzlich wirken darf. Und der pragmatische Grundzug, der Lara seit jeher eigen ist, wird von Gronenborn noch hervorgehoben. Ihre Figur namens Juliana scheint die einzig Normale zu sein in einem kleinen Dorf, das zwischendurch wie ein einziges Irrenhaus wirkt – aber wie erwähnt nimmt der Film ganz die Perspektive seiner Hauptfigur ein, und mehr und mehr entdeckt man in Juliana eine Grenzgängerin zwischen zwei Welten.
»Urtümliches aus Bayern« heißt der Bildband, für den der von Fürmann gespielte Fotograf Marc in dem Kaff recherchiert. Urtümlich und aus einer anderen Welt zu stammen scheinen vor allem die Merkwürdigkeiten, die sich nach seiner Ankunft bald häufen: Alte Mütter haben Visionen, Knochenstücke werden gefunden, und im Traum stößt Marc auf Spuren des mysteriösen historischen Mordfalls. Konsequent geht Hinter Kaifeck wie andere Filme seiner Gattung von der Eigendynamik eines Ortes aus, davon, dass die Erinnerung sich materialisiert und Untotes wie Ungesühntes sich aus dem Jenseits zu Wort meldet, um seinen Frieden zu finden. Ein bisschen ist es dann eine Sache der Bereitschaft des Zuschauers, sich auf solche Voraussetzungen einzulassen, aber das weiß jeder bevor er in den Film geht.
Je länger der Film dauert, um so schwieriger macht es der Film allerdings seinem Publikum. Die Atmosphären, die Gronenborn aufbaut, sind in sich stimmig und mitunter intensiv, man spürt die echte Leidenschaft dieser Regisseurin für das Genre und sieht ihren Willen, modern zu erzählen, und ein jüngeres Publikum zu interessieren. Den hatte sie schon in ihren ersten beiden Filmen alaska.de und Adil geht bewiesen. Doch der Film vermischt zusehends die Ebenen aufs Verwirrendste, und die oft zu dominierende, tendenziöse Musik macht es genauso wenig besser, wie die ärgerliche Tatsache, das alles synchronisiert wurde – Tonprobleme, oder hat man auf den internationalen Markt schielend auf Englisch gedreht? Am Ende gipfelt alles im volkstümlichen Ritual des »Perchtenlauf«, der an die Krampus-Umzüge erinnert, und bei dem Menschen in Zottelkostümen und Bocksmasken die Dorfbewohner erschrecken. Wer sich an Cameron Davies' dokumentarischen Independent-Film Kranky Klaus erinnert, der weiß, dass die Darstellung im Film, so absurd sie wirken mag, den tatsächlichen Ritualen, einem karnevalesken Exzess voller bösem Ernst, näher kommt, als man glauben möchte. Aber Gronenborn entscheidet sich leider nicht, all dem nun neugierig staunend seinen Lauf lassen. Stattdessen fühlt sie sich verpflichtet, wieder konventionell und brav einen Mystery-Horror oder gar doch einen braven Psychothriller zu erzählen. Wie sich alles im Einzelnen auflöst, das soll hier nicht verraten werden – und vielleicht könnte man es auch gar nicht. So dominiert eher der Eindruck, dass man es vor allem mit einer filmischen Visitenkarte zu tun hat, mit der sich Gronenborn immerhin als Handwerkerin für höhere Aufgaben empfiehlt.