Deutschland 2010 · 96 min. · FSK: ab 0 Regie: Franziska Buch Drehbuch: Vanessa Walder, Uschi Reich Kamera: Bella Halben Darsteller: Meira Durand, Felina Czycykowski, Fernando Spengler, Julia Jentsch, Nora Tschirner u.a. |
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Kotzkackeblöde beste Freundin! |
Alles fing an mit einem Plakat. Auf diesem wirft sich ein ungefähr neunjähriges Mädchen mit Lockenkopf und coolen Klamotten in Pose, die Hüfte leicht ausgestellt. In ihrer Hand ein Mikro, das sie vor ihren Mund hält. Die andere Hand stemmt sie lässig in die Seite, und ihr Blick richtet sich direkt auf uns – auf ein entzücktes achtjähriges Mädchen und eine sprachlose Mutter. »Den will ich sehen«, jubelt meine Tochter und meint Hier kommt Lola!, den Film zum Plakat. Ich knurre: »Auf gar keinen Fall!« Noch so eine Kinderverderber-Veranstaltung, denke ich, die aus meinen Grundschulmädel ein Top-Model und Kinderstar machen will.
Aber dann kam doch alles ganz anders. »Hannah Montana war gestern«, heißt es im Presseheft, »hier kommt Lola!« Hier kommt Lola? Heißt das jetzt, wir haben in Deutschland auch schon das Zwei-Identitäten-Phänomen, hervorgebracht von einer geldgierigen Musik- und Merchandisingfabrik? Ein Film über ein gestyltes Mädchen, das cool ist, in der Schule beliebt und sich am Nachmittag nur ein blonde Perücke aufsetzen muss und ein Mikro in die Hand nehmen, um sich zum erfolgreichen Kindermusikstar zu verwandeln, aus dessen Mund nichts als weichgespülte Plörre kommt?
Dann lese ich: »Lola kommt in Hamburg neu in eine Schule und wünscht sich nichts mehr als eine beste Freundin. Abends kann sie nicht einschlafen und stellt sich vor, sie wäre ein Musikstar.« Besetzung: Julia Jentsch, Axel Prahl. Von den Machern von den Wilden Hühnern. (Das Wilde-Hühner-Thema haben wir schon erfolgreich absolviert. Ich kann jetzt damit leben, dass meine Tochter mit sieben Jahren Bücher verschlang, in denen es um die Probleme von Vierzehn- bis Sechszehnjährigen geht. Also: erste Liebe, erste Party, erster – nein, das dann doch nicht.) Wenn ich an Die wilden Hühner zurückdenke, oder noch schlimmer, an Lillifee (»iih, der Lillifee-Altar ist wieder aufgebaut«, war ein beliebter Ausruf von mir, wenn ich mit meiner Tochter eine größere Buchhandlung oder einen Spielwarenladen betrat), dann erscheinen beide Phänomene des Kinder-Merchandising vergleichsweise harmlos, wenn ich bedenke, wer der Nachfolger wurde: Hannah Montana.
Also, das Versprechen »Hannah Montana war gestern, hier kommt Lola«, dazu eine ordentliche Besetzung, ansprechende Szenenphotos und eine Plot-Beschreibung, die keinen hirnerweichenden Film fürchten lässt: Ich gab meinen Widerstand auf und ging mit meiner Tochter ins Cinemaxx, kaufte eine Tüte Popcorn, brachte sie dazu, sich vorne hinzusetzen (»komm, bloß weg von den lärmenden Babys«, womit ich ein Dutzend Kindergartenkinder meinte, die warum auch immer den Saal besetzt hatten). Da saß ich dann mit meiner Tochter in der vierten Reihe, wir griffen abwechselnd in die Popcorn-Tüte (die »small« war und in der bis zum Ende des Films immer noch etwas übrig blieb, obwohl wir zu zweit neunzig Minuten lang ordentlich in uns hineinstopften), das Licht ging aus und der Film an.
Erste Szene: Ein unglaublich süßes Girl in unglaublich coolen Klamotten steht auf einer wahnsinnig großen Bühne im Scheinwerferlicht, unter sich die jubelnden Fans, sie in diversen Posen, mit träumendem Blick und hauchendem Gesang, ihr Top glitzert, nein glittert und glitscht, und ich denke mir: 'Da haben wir den Salat.' Dann aber kommt ein harter Schnitt, Szenenwechsel, und eine erstaunlich erwachsene, weiblich-mütterlich aussehende Julia Jentsch beugt sich über die schlafende Lola, weckt sie und sagt: »Hast du dir schon wieder die halbe Nacht vorgestellt, du wärst Jacky Jones?« – Und danach beginnt einfach nur Familienalltag, sich und das Kind fertigmachen, totale Hetzerei, die eine ab in die Schule, die andere in die Arbeit. Die Mutter ein wenig chaotischer als die Tochter, die Tochter leicht angenervt, alles ganz normal.
Und so geht dann der Film auch weiter. Nein, natürlich nicht ganz. In die Handlung ist ein schönes Märchen eingebaut, von der Verwandlung der »kotzkackeblöden, fettfischig stinkenden, furzfiesen« Flora Flo in – die beste Freundin der Welt. Der Weg dahin ist von Zimtzicken belagert, von einem doofen blonden Mädchen, die bei Lola nicht einmal die selbstgemachte Erdbeertorte essen will, weil Mama nur »Bio« erlaubt, die sich übers selbstgebastelte Mikrophon lustig macht, und die nur mit ihrer mitgebrachten Polly-Pocket-Puppe, oh Graus, spielen will (meine Tochter hat so eine Miniatur-Plastikpuppe mit wechselbaren Schlabbergummi-Outfits von einer Schulfreundin zum Geburtstag geschenkt bekommen). Und Lola solle dann Polly Pockets kleinen Plastikhund nehmen und immer »Waff! Waff!« machen, bestimmt sie. Das Gesicht, das Lola zu diesem Vorschlag machte, ging mir runter wie Butter. Fast kamen mir Tränen der Rührung und Dankbarkeit, denn kein Zweifel blieb, wie doof peinlich und langweilig dieses dumme, hirnerweichende Spielzeug von den Lola-Machern gefunden wird. Danke, Franziska Buch, Uschi Reich, danke!
Immer wieder streut der Film solch herrlich unkorrekte politische Korrektheit ein, als wolle er insgesamt gegen diese ganze Verdoofungsindustrie antreten. (Wunderbar auch, wie die Oma von Lola, Verkäuferin in einer Buchhandlung, sich weigert, einem Kunden nebst kleiner Tochter das Bilderbuch mit dem sprechenden Titel »Hüpf, hüpf Hospi Häschen« zu verkaufen. Toll, wie sie ausrastet und beginnt, gegen Kindesverblödung zu schimpfen.) Interessanterweise, und nur so kann das gehen, treibt der Film auf eine ziemlich lässige Art und Weise die Verdummung aus. Er zeigt nette, junge Eltern in normalen Wohnverhältnissen, zeigt ein chaotisches Arbeits- und Familienleben, dazu spitze Klamotten, coole Musik, freche Sprüche. Anders gesagt, der Film benutzt genau das Sprungbrett, das man braucht, um sich in eine andere Welt hineinzuträumen, um der Verlogenheit der von der Industrie gebackenen Traumwelt den Garaus zu machen.
Klar, »Lola« ist auch Merchandising. Da gibt es neben der Bücher-Serie von Isabel Abedi (»Hier kommt Lola«, »Lola macht Schlagzeilen«, »Lola in geheimer Mission« und so weiter), die Bürobedarf-Artikel »Lola – geheime Botschaften« oder »Lola – für meine Freundin« (zwei Leporellos mit »Briefchen« und Stickern für die »beste Freundin«) und das obligatorische Freundebuch (als Vorbereitung für Facebook, versteht sich). Dann gibt es auch noch die Trinkflasche, die Schneekugel, den Anhänger und den »Lola«-Geburtstagskalender. Aber das geht noch alles. Ist irgendwie noch kindgerecht. Klar, wollen sie einem das Geld aus der Tasche ziehen. Aber ich bin irgendwie erleichtert, dass Lola mir so sympathisch sein kann.
Und, ehrlich gesagt: Den Müttern von achtjährigen Töchtern kann nichts besseres passieren, als die Vermarktung, die der Film für sich gefunden hat: »Hannah Montana war gestern. Hier kommt Lola!« – Nur leider – so ganz funktioniert das nicht. Meine Tochter träumt jetzt von Lola und von Hannah Montana.