F/D/PL/GB/USA 2018 · 113 min. · FSK: ab 16 Regie: Claire Denis Drehbuch: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau, Geoff Cox Kamera: Yorick Le Saux Darsteller: Robert Pattinson, Juliette Binoche, André Benjamin, Mia Goth, Lars Eidinger u.a. |
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Binoche als Besamerin |
Anfangs ist alles rätselhaft. Selbst wenn man es bereits gehört hat, dass die Französin Claire Denis (Beau travail, White Material) diesmal einen Science-Fiction gedreht hat. Selbst wenn man weiß, wer Claire Denis ist, wenn man weiß, dass jeder ihrer Filme anders ist, und dass ihre Filme in ihrem sehr speziellen, poetischen und assoziativen Stil gar nicht dem entsprechen, was wir aus dem französischen Kino gewohnt sind: Sie sind körperlich und klug, visuell, nicht wortreich. Selbst wenn man all das weiß, dann ist High Life von Anfang an eine Überraschung.
Man begleitet ein Raumschiff auf einer jahrzehntelangen Reise. Und offensichtlich hat Denis ihr Sujet ganz ernst genommen, und sich genau überlegt, wie sie sich eine solche Weltraumfahrt denn vorstellt. Das wichtigste Merkmal: Weil es in die unendlichen Weiten hinter unserem Sonnensystem geht, ist dies eine Reise ohne Wiederkehr. Und deshalb sind die meisten, die hier an Bord sind, nicht freiwillig eingestiegen. Es ist ein Sträflingsraumschiff, mit einer Crew aus verurteilten Schwerverbrechern, die sich mit dieser Mission ohne Rückkehr von ihren Strafen freikauften und an Bord überdies wissenschaftlichen Experimenten ausgesetzt werden.
Was alles zusätzlich verkompliziert, ist, dass es natürlich in manchen Fällen gute Gründe gab, dass diese Typen einst inhaftiert wurden.
Das zweite Merkmal: Das Raumschiff ist von innen erstaunlich verschmutzt und abgenutzt. Wenn man schon einmal Fotos aus den Innenräumen eines Space-Lab gesehen hat, wundert man sich darüber zwar nicht. Wer hat eigentlich je behauptet, dass Raumschiffe sauber seien? In diesem Fall aber kommt gleich jahrzehntelang keine frische Luft hinein und eine Putzkolonne auch nicht.
Ein bisschen anstrengend fängt alles an, denn es herrscht eine diffuse, fast depressive Stimmung. Das Raumschiff, das durch eckige Räume gekennzeichnet wird, in denen pastellene Farben dominieren, ist groß, wirkt aber dadurch relativ menschenleer. Es gibt einen Garten an Bord, frische Pflanzen in einem Treibhaus, die womöglich Sauerstoff produzieren, jedenfalls aber frisches Essen bieten. Wir sehen ein Kleinkind, das einen alten Film guckt, und irgendwann ziemlich viel und lang
schreit. Zunächst lernen wir nur zwei Bewohner kennen, die zwei, die über den ganzen Film im Mittelpunkt stehen: Das kleine Kind, das über die Jahre der Reise zu einem jungen Mädchen namens Willow heranwachsen wird, und seinen Vater Monte, der von Robert Pattinson gespielt wird und offenbar der Pilot ist. Er erzieht das Kind: »Dont drink your piss, dont eat your shit... its called a tabu. Tabu.«
Es stellt sich auch schnell heraus, dass sie die einzigen Überlebenden der Crew sind. Was ist
geschehen?
In einer Rückblende erläutert ein Forscher namens Kali Yuga in einem Interview im Zug, »the last stage of man« sei durch radikale Experimente im Weltall gekennzeichnet. Man kann durch Googeln schnell erfahren, dass »Kali Yuga« ein Begriff des Sanskrit ist und »das letzte Zeitalter der Menschheit« bedeutet.
Im Rückblick werden dann die ersten Jahre der Reise erzählt. Juliette Binoche spielt die Kommandeurin des Schiffs, eine eiskalte Ärztin und Wissenschaftlerin, die an Bord Experimente macht und im Weltraum ein Kind zeugen und aufziehen will. In so einer abgründigen Rolle hat man Juliette Binoche wohl noch nie gesehen. Dieses Leben im All hat viele bizarre Facetten, zu denen auch eine »Love-Box« gehört, eher ein Sex-Raum, in dem jeder mit Maschinen seine persönlichen Bedürfnisse und Phantasien ausleben kann. Irgendwann gibt es dann massive Konflikte an Bord.
Nach vielen Jahren Odyssee im einsamen All, die vom Bordcomputer auf 6750 Tage an Bord, also achtzehneinhalb Weltraumjahre beziffert und in »76861 earth days«, also etwa 210 Jahre umgerechnet wird, mündet alles in eine spektakuläre Reise durch ein Schwarzes Loch, zu dessen Darstellung der isländische Kult-Künstler Olafur Eliasson die Bilder beisteuerte. Doch Vater und Tochter, soviel darf man verraten, überleben alles.
Einmal treffen sie ein anderes Raumschiff, und es gelingt der Regisseurin, in uns Zuschauern den Sinn für das Großartige, Sensationelle, aber auch Hochgefährliche dieser Situation zu wecken.
Soll man ein unbekanntes Raumschiff mitten im leeren Weltraum freundlich begrüßen? Das ist nach 20 Jahren Einsamkeit natürlich schon mal eine Frage.
Und was für eine großartige Lösung findet die Regisseurin: Es sind im anderen Raumschiff dann nämlich nur Hunde drin – späte Nachfahren der sowjetischen Kosmo-Hündin Laika. So sehr sich Töchterchen Willow wünscht, einen dieser Spielgefährten zu behalten – es darf nicht sein, denn wer weiß, was so ein Weltraumhund für Krankheiten hat?
Dieses Beispiel zeigt: High Life ist ein überaus einfallsreicher, phantasievoller und origineller Film, der durch seine großartige Optik ebenso besticht wie durch die wie bei Claire Denis gewohnt exzellente Musik der Band »Tindersticks«.
High Life – welch ein schöner Titel – wird besser, je länger er dauert. Im Niveau seiner Einfälle und Inszenierungskunst bewegt sich High Life durchaus auf den Spuren der Filme 2001 – Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick, Solaris von Andreij Tarkowski und Christopher Nolans Interstellar, aber doch wieder ganz anders als diese. Bei anderer Gelegenheit müsste man mal in Ruhe darüber nachdenken, warum unsere Bilder der Raumfahrt eigentlich nicht mehr utopisch sein dürfen oder sein können.
Stilistisch ist dies ein ganz ruhiges, verträumtes visuelles Abenteuer, ein sehr sinnlicher Film der unerwarteten Bilder und der großen Poesie. Wenn ganz selten mal die Träumerei überhand nimmt und zum Halbschlaf wird – es gibt auch eine offenkundige Nähe der Raumfahrt zum Schlafwandeln –, dann zieht die Regisseurin die Zügel an. Claire Denis ist mit High Life zwar nicht ihr bester, zwingendster Film geglückt, aber sie hat ein Werk geschaffen, das alles Potential zum Klassiker hat.
In völliger Isolation nähern sich Vater und Tochter ihrem letzten und unausweichlichen Ziel – einem weiteren, größeren Schwarzen Loch, dem Ende von Zeit und Raum. Der letzte Dialog ist der schönste. Er ist in seiner Lakonie angesichts der Aussichten einfach großartig: »Shall we?« – »Yes!«