D/L/CH/NL 2021 · 88 min. · FSK: ab 6 Regie: Ruth Olshan Drehbuch: Ruth Olshan, Heike Fink Kamera: Michael Saxer Darsteller: Leni Deschner, Luc Schiltz, Jonas Kaufmann, Inge Maux, Sophie Zeniti u.a. |
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Dem Traum folgen, mit allen Mitteln... | ||
(Foto: farbfilm) |
Meeri muss sich gleich mit einem Paket von Problemen herumschlagen. Die 13-Jährige ist verliebt in den hübschen, drei Jahre älteren Nachbarjungen Rocco, doch der sieht in ihr nur eine adrette Kameradin. Wenn sie in seiner Nähe ist, schlägt ihr Herz schneller und sie schwebt in die Höhe, was sie vor ihm verbirgt, weil ihr das peinlich ist. Meeri hat den frühen Tod ihrer Mutter noch nicht verkraftet und schreibt ihr Briefe mit ihren Anliegen, die sie in die Särge von toten Menschen legt, die ihr Vater Ernst, ein Bestattungsunternehmer, ausstaffiert.
Der vereinsamte Vater will nicht mehr länger ohne Frau leben und sucht über eine Blind Date-Agentur eine Frau. Eines Tages kommt die hochschwangere Charlotte zu Besuch. Zunächst versuchen Meeri und ihr jüngerer Bruder Luk, sie zu vergraulen wie frühere Kandidatinnen. Doch Charlotte ist hart im Nehmen und lächelt die ungehörigen Bemerkungen der Kinder einfach weg. Als die von allen geliebte Nachbarin Grete, Roccos Oma, plötzlich stirbt, kann sie diesen Tiefschlag nur schwer verdauen. Trost und tatkräftigen Beistand erhält sie von ihrer besten Freundin Klara, einem resoluten Mädchen, das sich darauf vorbereitet, die erste katholische Priesterin zu werden. Als Luk wieder einmal von drei Rüpeln auf Fahrrädern drangsaliert wird, kann Meeri ihre übernatürlichen Fähigkeiten einsetzen, um sie zu vertreiben. Doch wie zu erwarten, kann sie ihre Flugfähigkeiten in der kleinen Ortschaft nicht lange geheim halten.
In ihrem Drehbuch zu dem beschwingten Kinderfilm wagen sich die Regisseurin Ruth Olshan (Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie) und ihre Ko-Autorin Heike Fink an eine Reihe teils heikler Themen: Tod und Trauer, erste Liebe und Patchwork-Familie, Bullying und Magie. Dennoch wirkt das narrative Geflecht keineswegs überfrachtet, die ebenso einfühlsame wie fantasievolle Inszenierung findet immer wieder eine feine Balance zwischen den Sujets.
Besonders charmant wirkt die Selbstverständlichkeit, mit der die Kinder hier mit dem Tabuthema Tod umgehen und dabei kaum Berührungsängste zeigen. Lediglich der sonst so selbstsichere Rocco erweist sich in dieser Hinsicht als Sensibelchen. Um Meeri auf Abstand zu halten, sagt er einmal zu ihr: »Deine Hände berühren Leichen. Das ist eklig.«
Wenn Meeri zum ersten Mal entdeckt, dass sie schweben und fliegen kann, inszeniert Olshan diese Entdeckung als wunderbaren magischen Moment, der den alten Menschheitstraum vom Fliegen aufgreift und das deutsche Sprichwort »Liebe verleiht Flügel« sozusagen wörtlich nimmt. Die Regisseurin formuliert dieses überwältigende Gefühl so: »Die Hormone kicken ein, knallen gegen die Schädeldecke, und man hebt ab. Es ist die Versinnbildlichung dieser ersten Verliebtheit, dieses großen Gefühls, das Literatur, Musik und Film ja immer wieder darzustellen versuchen.« In weiteren Szenen variiert sie Meeris Glückserfahrung des Fliegens aus eigener Kraft immer wieder und nutzt sie zugleich für mancherlei Slapstick-Einlagen und schließlich für eine finale Pointe mit Schmunzelfaktor.
Die sympathisch verpeilte Protagonistin gewährt durch die Briefe, die sie an die verstorbene Mutter schickt und die sie aus dem Off vorliest, Einblicke in ihr turbulentes Seelenleben zwischen Trauer und Verliebtsein und wird damit zu einer starken Identifikationsfigur. Mit Leni Deschner, die bereits in dem Kinderfilm Alfons Zitterbacke – Endlich Klassenfahrt! (2022) ihr Talent gezeigt hat und ab Oktober in der Erich-Kästner-Neuverfilmung Das fliegende Klassenzimmer zu sehen sein wird, hat Olshan eine versierte Jungdarstellerin gefunden, die Meeris Wechselbad der Gefühle glaubhaft auf die Leinwand bringt.
Erfreulich ist, dass die erwachsenen Nebenfiguren keine platten Witzfiguren oder bloße Stichwortgeber sind wie leider so oft in deutschen Kinderfilmen, sondern lebensnahe Charaktere mit Widersprüchen und Eigenheiten wie etwa der etwas schrullige Bestatter, den der luxemburgische Schauspieler Luc Schiltz (Das brandneue Testament) mit einem Mix aus Langmut und Selbstironie verkörpert.
Getrübt wird der positive Gesamteindruck der Koproduktion von Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz durch allzu plakative Lebensweisheiten wie etwa »Folge deinem Herzen, aber nimm dein Herz mit«, die in den Dialogen zum Besten gegeben werden, und die musikalische Untermalung, die unter anderem in den Beerdigungsszenen manchmal ins Sentimentale und allzu Illustrative rutscht.