USA 2016 · 109 min. · FSK: ab 6 Regie: Patricia Riggen Drehbuch: Christy Beam Kamera: Checco Varese Darsteller: Jennifer Garner, Kylie Rogers, Martin Henderson, John Carroll Lynch, Eugenio Derbez u.a. |
||
Begegnung mit Gott |
Gesellschaftliche Verwerfungen sind eine komplizierte Angelegenheit. Mehr noch, wenn es um Religion geht. So meldete etwa der Humanistische Pressedienst am 7. Juni 2016, dass fast drei Viertel der Berliner nicht religiös seien und der Aussage zustimmen »Ich führe ein selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht und frei ist von Religion und Glauben an einen Gott«. Diese Zahlen sind vor allem deshalb erstaunlich, weil nicht nur der Großteil der Konfessionsfreien dieser Aussage zustimmt (85 Prozent), sondern auch deutlich mehr als die Hälfte der befragten Katholiken (57 Prozent) und Protestanten (64 Prozent). Diese Tendenzen finden sich, nebenbei erwähnt, auch in islamischen Gesellschaften und dort wie hier erklärt der mehr und mehr säkularisierte Mainstream möglicherweise die partielle Radikalisierung der religiösen Rumpfgemeinde. In Deutschland etwa ist der zum evangelikalen, konservativen Spektrum gehörende Pastor Carsten Rentzing am 31. Mai 2015 zum neuen Landesbischof der evangelischen Kirche in Sachsen gewählt worden. Rentzing gehört zu den Begründern der Sächsischen Bekenntnisinitiative, einem Zusammenschluss evangelikaler und konservativer Kirchengemeinden, die sich seit Jahren gegen den Einzug von PartnerInnen gleichgeschlechtlicher Beziehungen in Pfarrhäusern wehrt. Gleichzeitig gehört er zu den Erstunterzeichnern (ausnahmslos Männer) des evangelikalen Aufrufs „Zeit zum Aufstehen“. Oder Michael Diener, bis vor kurzem Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und nun Mitglied des Rates der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, der im Vorfeld zu seiner Wahl bekannt gab, dass er das »Profil der Pietisten, der Evangelikalen, in die Arbeit des Rates mit einbringen« wolle.
Vielleicht erklärt diese Entwicklung, die in gewisser Weise an die neo-nationalistischen Bewegungen unserer Gegenwart angelehnt scheint, dass nun tatsächlich ein Film in die Kinos kommt, der vor zehn Jahren in Deutschland kaum die Chance auf einen großen Verleih gehabt hätte und wohl nur als DVD-Release durch die evangeliken Gemeinden getingelt wäre. Himmelskind nimmt sich – wie auch sonst – einer wahren Begebenheit an: als Christy Beam (Jennifer Garner) erfährt, dass ihre 10-jährige Tochter Anna (Kylie Rogers) an einer seltenen, unheilbaren Krankheit leidet, sucht sie dennoch ihr Heil in der westlichen Medizin. Doch erst nach einem Unfall, bei dem Anna aus großer Höhe in das Innere eines hohlen Baumes fällt und über ihre Nahtoderfahrung eine Begegnung mit Gott hat, gesundet Anna zum Erstaunen aller Ärzte.
Die Verfilmung nach der von der realen Christy Beam selbst verfassten Buchvorlage erzählt diese Geschichte ohne große Schnörkel, aber mit dem dafür notwendigen Pathos und gibt einen detail-verliebten Einblick in den ganz normalen Alltag einer Familie im amerikanischen »Bible Belt« . Der Mann arbeitet, die Frau ist für Haushalt und Kinder und die Religion zuständig. Man lebt auf einer Farm mit weißen Zäunen und grünem Rasen und Pferden und geht in die Kirche und ist ehrlich bestürzt, von Gott zu einer derartigen Prüfung ausgewählt worden zu sein. Natürlich gibt es selbst innerhalb der Gemeinde Zweifler, aber die werden letztlich genauso eines besseren belehrt wie jener atheistische Vater, dessen Tochter eine Krebserkrankung nicht überlebt, die aber von Anna vor ihrem Tod noch mit Christus versöhnt wird und glücklich stirbt und damit ihrem Vater nicht nur Trost spendet, sondern auch zu einer Bekehrung zum Glauben verhilft.
Diese völlig unverhohlen eingesetzte Propaganda ist nur schwer zu ertragen. In den schlimmsten Momenten wünscht man sich der Gemeinde um Reverend Scott (John Carroll Lynch) einen Mann wie Frank Booth aus David Lynchs Blue Velvet an den Hals, aber da Jennifer Garner ihre Rolle als aufrecht und tapfer kämpfende Christin immerhin überzeugend verkörpert, wünscht man sich den evangelikalen Gemeinden dieser Welt eigentlich nur einen besseren Film zur Thematik eines todkranken Kindes, Filme, die es in den letzten Jahren durchaus gab; man denke nur an Felix Van Groenigens The Broken Circle oder Valérie Donzellis La guerre est déclarée.