Deutschland 2014 · 75 min. · FSK: ab 0 Regie: Sabrina Jäger Drehbuch: Sabrina Jäger, Stephan Weiner Kamera: Sabrina Jäger Schnitt: Sabrina Jäger, Stephan Weiner |
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Das Schlecker-Syndrom |
Immer wieder fällt es um, das rote Schild. Kunden rempeln dagegen, erwischen es im Vorbeigehen mit dem Einkaufwagen. Dabei ist es eigentlich nicht zu übersehen, so direkt vor der Kasse. Jedes Mal wenn Marina vorbeikommt, richtet sie das rote Schild wieder auf. Es ist ebenso provisorisch wie alles andere in dieser Praktiker-Filiale in Heidelsheim-Bruchsal. Auf rotem Papier, das notdürftig auf einen windigen Malerbock geklebt wurde, verkünden die krakeligen schwarzen Buchstaben die traurige Wahrheit: »Eine Beratung und Bedienung ist nicht mehr möglich. Es ist keiner mehr da. Bitte haben Sie Verständnis.« Marina gehört zu den letzten Mitarbeitern der Praktiker-Filiale. Ende September 2013 meldete die Baumarktkette Insolvenz an, kurz darauf beginnt der Abverkauf. Sabrina Jäger zeigt in ihrem Film Hier sprach der Preis die letzten Wochen dieses Insolvenz-Fiaskos und begleitet die beiden letzten Mitarbeiterinnen bei ihrer sinnlos gewordenen Tätigkeit. Der Film ist ein berührendes Dokument von Menschlichkeit, Mut und Verzweiflung im Angesicht von Krise und Konsumterror. Hier sprach der Preis entblättert eine tragisch-komische Szenerie zwischen Angst und Anarchie an dem herrenlos gewordenen Ort in der deutschen Provinz.
Für die Mitarbeiter ist es eine Zeit der Ungewissheit, des Bangens und der Selbstbestimmtheit. Plötzlich sind sie auf sich alleine gestellt. Es gibt keinen Chef mehr, der Ihnen Vorschriften macht und keine Pflicht, die Kundenwünsche zu erfüllen. Aber auch keine finanzielle Sicherheit und Zukunftsperspektive. In langen, statischen Einstellungen beobachtet die Kamera Marina und Elena bei ihrem Versuch, sich zunächst durch die gewohnte Routine ein Stück Normalität zu wahren und eine Struktur im Chaos zu erhalten. Keiner kann Ihnen sagen, ob der künftige Besitzer, ein konkurrierender Baumarkt, die ehemaligen Mitarbeiter übernimmt oder in die Arbeitslosigkeit entlässt. Sollen Sie sich auf Bedingungen der Transfergesellschaft einlassen oder Hartz IV beantragen? Ihre Arbeit ist sinnlos geworden, nach und nach realisieren die Frauen ihre Situation und müssen sich damit konfrontieren, wie sie weitermachen sollen. Zum ersten Mal in ihrem Angestelltendasein sind sie auf sich selbst gestellt und müssen sich ihre eigene Sinnhaftigkeit schaffen. Dabei werden Marina und Elena zu Kämpferinnen für Respekt und Zusammenhalt in einer absurden und unmenschlichen Übergangssituation.
Zunächst wird das komplette Inventar des Baumarktes, das eine britische Firma erworben hat, zum Spottpreis verscherbelt. Der Film entwirft ein trostloses Bild der Verwüstung an einem Ort, der jegliche Bedeutung verloren hat: zerstreut umherliegende Klodeckel, umgefallene Farbeimer und Safes, zu denen es aber keine Schlüssel mehr gibt. Berge von Waren stapeln sich in Einkaufswägen, weder Kunden noch Mitarbeiter haben irgendeinen Überblick über den Bestand des Baumarkts, der zunehmend chaotischer wird. Das ganze Durcheinander wird begleitet von heiterer Kaufhausmusik, welche die Szenerie teilweise ins Groteske abdriften lässt. Mittendrin wuselt Nigel umher, der Brite, der den Abverkauf seitens des Insolvenzwarenkäufers regeln soll. Er spricht nur Englisch und gibt stündlich immer mehr Prozente auf alles. Er ist die Verkörperung von Sprachlosigkeit und Willkür, die den kompletten deutschen Einzelhandel erfasst hat und untergehen lässt. Der einstige Slogan »Hier spricht der Preis« erweist sich als hohles Versprechen, der Kapitalismus frisst die eigenen Mitarbeiter.
Bedrückend lustige Episoden bieten sich dem Zuschauer: Wie der desillusionierte Marktleiter sich mit einem unzufriedenen Kunden wegen einer Lappalie herumstreiten muss, alle Höflichkeit über Bord wirft und dem zu Unrecht Empörten entgegenschleudert: »Wir brauchen keine Werbung mehr«. Manchmal bleibt dem Zuschauer das Lachen dabei allerdings im Halse stecken oder verwandelt sich in Rührung. Vor allem dann, wenn der Film zeigt, wie die beiden Frauen sich gegenseitig unterstützen, miteinander scherzen und zu Freundinnen werden. Zwischen Klodeckel und Bohrmaschine findet man hier Courage, menschliche Stärke und Freundschaften – obwohl sich dieser Praktiker – einst Paradies der Hobbybastler und Heimwerker – im Laufe des Filmes als Dystopie entpuppt. Am Ende wir der Praktiker-Kuchen geteilt und Abschied genommen. Vom einem angenehmen Arbeitsklima in der gelb-blauen Bastion. Und dem deutschen Einzelhandel.