USA/NZ 2012 · 169 min. · FSK: ab 12 Regie: Peter Jackson Drehbuchvorlage: J.R.R. Tolkien Drehbuch: Fran Walsh, Philippa Boyens, Peter Jackson, Guillermo del Toro Kamera: Andrew Lesnie Darsteller: Ian McKellen, Martin Freeman, Richard Armitage, Ken Stott, Graham McTavish u.a. |
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Heimatvertriebene auf patriotischer Mission im Osten |
»Der Reiz des 'Herrn der Ringe' liegt, glaube ich, zum Teil in den kurzen Ansichten von einer weitläufigen Geschichte im Hintergrund: Ein Reiz, wie wenn man von fern eine noch nie betretene Insel oder die schimmernden Türme einer Stadt in einem sonnigen Dunstschleier erblickt. Dort hinfahren heißt den Zauber zerstören.« – J.R.R. Tolkien in einem Brief vom 20. September 1963
Ein einziges Déjà-vu. Mittelerde reloaded, LOTR reloaded, alles wie gehabt, zugleich, größer, breiter, schärfer, fetter, langweiliger, dreidimensionaler... Mit der Beschränkung, der Reduktion auf die Fläche der zwei Dimensionen, sagt der Philosoph Peter Sloterdijk, beginnt die Zivilisation. Wie, wenn mit der Ausdrehnung, der Masslosigkeit der dritten Dimension die Barbarei begänne?
Mit Rückblicken und krassen Schlachten geht es los: ein Zwergenkönig rafft Gold, und wird, als einer seiner Schergen das »Heart of the Mountain« aus dem Berg meißelt, »The King’s Jewel« einer von mehreren McGuffins des Films, verrückt: »When the mind is sick, dark things will follow« hören wir und dann ereignet er sich schon, der 11. September des Zwergenreichs: Papierdrachen werden zu Feuerbällen, die Elben stöhnen »Non« zur Frage »mourir pour Danzig« und ein bleicher Ork
köpft den Zwergenkönig, bevor er selbst verstümmekt wird. Barocke Schlachtengemälde ballen sich zu apokalyptischen Bildern, in denen Köpfe rollen und Glieder abgehackt werden. »Elbar was lost.«
Dann sind wir wieder im Bionadeparadies des grünen Auenlands, trennen Müll, und putzen die Küche. Amerikanischer Middlewest, John Boy Walton tollt im Garten, ach nein, das ist ja Frodo, der Held aus »Herr der Ringe« und ein 30-sekündiger Cameoauftritt, damit Warner Bros. Eliah
Wood dick aufs Plakat schreiben kann. Er ist nämlich nicht der Held dieses neuen Tolkien-Dreiteilers.
»In a hole in the ground, there lives a Hobbit.« Jetzt sind wir auf der ersten und längsten Lachinsel (so der Dramaturgen-Fachausdruck) in diesem mythologemen Drama. Nun singen sie, die Zwerge... Ein kleingewachsener Männerbund, bestehend aus den dreizehn letzten Vertretern seines Volkes, beschwört eine goldene Vergangenheit, als sie noch herrschten hinter den sieben Bergen, Gold schürften und ihre Welt regierten. Das war bis zu dem Tag, an dem der böse große Drache kam und ihr
Reich zerstörte. Seitdem sind sie Heimatvertriebene, die auf Rache sinnen am Drachen und seinen Helfern, den bösen Orks, und deshalb gen Osten ziehen, um die alte Heimat zurückzuerobern: »Zwergien bleibt unser.«
Aber auch Zwerge haben klein angefangen. Daher brauchen sie aber die Hilfe eines großen Zauberers Gandalf und eines so unbekannten wie unscheinbaren Hobbits, Bilbo Beutlin, der, wie die Fans wissen und die unbelasteten Zuschauer zumindest ahnen, noch zu Großem geboren ist
in dieser kleinen Fantasywelt namens Mittelerde.
Dies ist der Rahmen und Ausgangspunkt der Handlung – die im weiteren Verlauf dann die Geschichte dieses Zwergenaufstands erzählt, abwechselnd zwischen Pathos und Gemütlichkeit, Mythologie und Realismus, Gewalt und Kitsch. Über sechs Jahre nach dem Abschluss seiner monumentalen Film-Trilogie des Herr der Ringe ist Peter Jackson zurück im Auenland, zurück in der Fantasywelt des Mittelalterforschers John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973). »Der kleine Hobbit«, Tolkiens dünnes Kinderbuch aus dem Jahr 1937 hat er sich nun vorgenommen, es breitgewalzt und aufgeblasen sowie aus dem Nachlass ergänzt zu einem epischen Abenteuer ähnlicher Dimension: Ebenfalls in drei Film-Teilen wird »Der Hobbit – Eine unerwartete Reise«, so heißt er nun, bis 2014 in die Kinos kommen, jetzt sogar in 3D.
Da ist er wieder: »There and back again!« Wir haben schon immer geahnt, dass Peter Jackson selbst ein Hobbit ist. Von Film zu Film sieht er seinen Filmfiguren ja auch ähnlicher. Und von Film zu Film verrät er seine cineastische Herkunft stärker, hat er weniger zu tun, mit jenen wunderbaren Filmen wie Heavenly Creatures, denen er die Möglichkeit, zum Lordsiegelbewahrer des Tolkinismus zu mutieren, überhaupt erst zu verdanken hat. So nähert er sich dem Gegenstand seines Schaffens auch optisch an. Wenn er in Neuseeland dreht, bewegt er sich sogar ausschließlich barfuß, so ist jedenfalls in verehrenden wie deutlich skeptischen Gazetten gleichermaßen zu lesen.
Aber vielleicht muss man solche Verhaltensweisen wie entsprechende Berichte über sie auch nicht so ernst nehmen. Wie man vielleicht überhaupt das alles, was seit gut zwölf Jahren um Tolkien, um die Hobbits und um Peter Jackson getrieben wird, nicht so ernst nehmen muss. Die Zeit wird über sie hinweggehen, über die Filme, wie über vielen anderen Quatsch.
Nur ist es halt natürlich eben so, dass Jackson sich selbst und den ganzen Tolkien-Kosmos ungemein ernst nimmt. Es ist so, dass er
nun in Der Hobbit an alles herangeht, wie ein sehr eigenwilliger Philologe. Wie ein Forscher, der es mit den letzten Hinterlassenschaften einer ausgestorbenen Kultur zu tun hat. Und zugleich mit der Allmachtsphantasie und Hybris aller Philologen, sie allein seien diejenigen, die die Texte zu sprechen brächten, sie seien quasi der Text, und all die anderen am Ende... Abtrünnige!
»Mein Schatz, mein Schatz« – wie Gollum hat Peter Jackson den Ring der
Macht in Händen, und will ihn nun nicht mehr hergeben.
Aber wie kann man so einen Unsinn überhaupt so ernst nehmen? Wie kann man Fantasy zum Mittelpunkt des Lebens werden lassen? Wie kommt, um mal Tobias Rüthers absolut großartigen FAS-Text zu zitieren, eine Gesellschaft, in der »es Politikern offenbar nicht gestattet ist, mit Sandalen in Talkshows zu sitzen (wie Johannes Ponader von der Piraten-Partei es bei Jauch tat)« dazu, »fasziniert auf die behaarten nackten Füße von Bilbo Beutlin« zu starren? Was ist mit einer Kultur und ihrer Gesellschaft los, in der Menschen sich als Hobbits verkleiden, als Elben, als Zauberer und als Zwerge? Nein, Der Hobbit, der jetzt in gestochen scharfer HD-Qualität und rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in die deutschen Kinos kommt, gibt darauf natürlich keine Antwort. Aber die Frage ist trotzdem berechtigt.
Wie also kann man Fantasy zum Mittelpunkt seines Lebens werden lassen? Wie kann man allen Ernstes einen Dialektcoach für Altenglisch und Altgermanisch am Set beschäftigten und einen weiteren für die Muttersprache der Elben? Das sind so einige der weiterhin ungeklärten Fragen.
Jackson hat das Buch zugleich aber auch verändert. Er lässt Figuren aus »Herr der Ringe« auftreten, die im »Hobbit« nun mal nichts zu suchen haben: den bösen Zauberer Saruman (Christopher Lee) und die Elbenfürstin Galadriel (Cate Blanchett); er nimmt auch den bleichen Ork Azog, der bei Tolkien zum Zeitpunkt der Hobbit-Handlung bereits tot ist und macht ihn zum Zwergenvernichter. Das bisher beliebteste Argument des bibeltreuen Teils unter den Tolkien-Fans zur Verteidigung von Messias Jackson – »so steht es im Buch geschrieben« – zählt nun in diesem Film also nicht mehr. So steht es nämlich auf keinen Fall geschrieben.
Wetten, dass der Tolkien-Fundamentalismus jetzt argumentativ schnell auf die Ebene zweiter Ordnung zurückgreifen wird, um seinem Meister ja kein Haar krümmen zu lassen: So steht es zwar nicht geschrieben, aber Jackson hat den Geist der Vorlage verstanden. Er hat Tolkien vervollkommnet, ja verbessert. Sekten funktionieren so. Und der Tolkinismus ist eine Sekte; Tolkien ist ihr Gott und Peter Jackson ist sein Prophet. Er droht damit endgültig in die Fußstapfen anderer größenwahnsinniger Unsympathen zu treten: George Lucas, Steve Jobs und James Cameron. Wetten, dass Jackson irgendwann, wenn auch die letzte Nachlasszeile von J.R.R. Tolkien in einen Dreiteiler verwandelt wurde, selbst Hand anlegen und den Mittelerde-Kosmos mit seiner inneren Matrix auf der Zeitleiste nach vorn und hinten fortschreiben wird? Das er uns eines Tages mit Gollum – A Trilogy beglücken wird? »Mein Schatz, mein Schatz.«
Rein handwerklich ist dies tatsächlich jene unerwartete Reise, die filmisches Neuland erobert. Denn Jacksons Kamerablick schafft mitunter großartige, ungesehene Bilder, virtuose filmische Achterbahnfahrten. Und technisch will dieser Film wieder ein neuer Meilenstein sein. 3D allein genügt nicht mehr, denn zu schlecht sind die Resultate, zu ungeliebt das Ergebnis sobald der reine Neuigkeitswert verblasst. Jetzt muss es Highframe-Technik sein, also 48 statt 24 Bilder pro
Sekunde. Und die Kinos werden ein weiteres Mal umgerüstet.
Und tatsächlich war 3D noch nie so klar wie diesmal, noch nie so angenehm für die Augen. Doch seltsam aseptisch, kalt und clean ist der Eindruck, die Farben scheinen fast zu leuchten, und die Leinwand ähnelt mehr denn je dem heimischen HD-Flachbildschirm. Filmen als Malen nach Zahlen. Außerdem bleiben einige bekannte Schwächen der 3D-Technik: Das schlierige Nachziehen der Bilder in schnellen Bewegungen, der Pop-up-Effekt einer
zweiten Fläche vor der ersten anstatt eines echten dreidimensionalen Raums, und die relative Dunkelheit der Bilder.
Abgesehen von der Technik wirkt vieles wie klassisches Hollywood-Studiokino: Ein Mix aus Unterhaltung und Spannung, aus Witz und Ernst, handwerklich perfekt gemachtes Rezept-Kino aus der Retorte der Besten ihres jeweiligen Fachs. Erzählt wird aus dem Rückblick des alten Bilbo, deswegen wissen wir Zuschauer auch schon, dass es für ihn gut ausgehen wird.
Auch sonst ist nichts wirklich überraschend oder unvorhersehbar. Am Ende vieler Abenteuer steht eine Art zwischenzeitliches Happy-End und ein Cliffhanger. Das Böse in Form des Drachen schlägt die Augen auf, und wir ahnen: Im zweiten Teil werden die Gefahren gefährlicher, die Spannung spannender, und die Helden heldenhafter sein.
Einmal mehr hat Peter Jackson also einen Film gemacht, der sich zu Tolkien verhält wie der Schüler zum Meister: Achtsam, ehrend, unkritisch. Jackson macht aus »Der Hobbit« jetzt den vierten bis sechsten Teil von »Herr der Ringe«, er macht aus sich selbst George Lucas, wird Gefangener seines Stoffes. Nur er kann Tolkien verfilmen, wie gesagt er ist Tolkiens Prophet, deshalb musste er Guillermo del Toro wieder rausschmeißen, denn dieser viel bessere Regisseur hätte ihm womöglich die
Deutunghoheit über den Hobbitismus streitig gemacht, oder gar, aus selber Sicht jedenfalls, Tolkien einfach versaut.
»Mein Schatz, mein Schatz.«
Man kann natürlich, wie es bereits geschehen ist, dieser Geschichte und damit Tolkien wie Jackson vorwerfen, dass sie den Konflikt von Gut und Böse als Differenz äußerer Schönheit und Hässlichkeit erzählt, und damit implizit rassistisch ist. Man kann feststellen, dass Bücher wie Filme geistesaristokratische Werte predigen, von Führertum und Ehre geschwafelt wird, dass sie reaktionäre Wunschmaschinen sind, die auf die niedrigen Instinkte ihres Publikums setzen, es manipulieren und ruhigstellen, es der Realität ihres Daseins entführen.
Man muss wohl auch in dieser Ansammlung von Stämmen und Völkern als Metapher auf eine Klassengesellschaft lesen: In dieser sind die Zwerge sehr eindeutig das Proletariat: Ungewaschen, schlicht, mit dicken Fingern, und primitiven, aber ehrlichen Manieren, dabei voller Stolz auf ihr Handwerk, ihre Kriegerfähigkeiten, mit eigenen, eher altmodischen Ehrbegriffen, voller Misstrauen gegen jede Oberklasse. Die Elben sind ihr Gegensatz: eine dekadente, blasse Oberrklasse, ein Adel
aus verschlafenen, müden Blondinen, feingeistige Glam-Rock-Ritter, die vegetarisch speisen, sich die Zeit durch Flötenspiel vertreiben, und Schwarz-Grün wählen.
Und zwischen alledem der Hobbit Bilbo, ein Händler zwischen all den Helden, ein Idealtyp des Kleinbürgers, Abkömmling eines Spießer- und Rentner-Volks, der am liebsten zuhause im Garten die Beine hochlegt und Pfeife raucht. Wenn das stimmt, wer sind dann die Bösen? Das Bürgertum, die modernen Ehrgeizlinge, die die Welt
verändern, verflüssigen wollen, die nicht wissen, wo ihr Platz ist, die, die was anderes sein wollen? Heimatlose Intellektuelle? Ausländer? Juden? Hm.
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn Der Hobbit ist auch die sehr Hollywood-typische uramerikanische Feier eines braven Bürgers, der mutig gegen die Macht kämpft. Nicht anders als einst bei Frank Capra der von James Stewart gespielte Mr. Smith gen Washington zog, so kämpft Bilbo gegen die Orks. »Stop: I forgot my handkerchief.« – »You have to learn to manage without handkerchief and a lot of other things.« Hobbits sind Spießer, die an der Herausforderung wachsen, die durch sie größer werden als sie sind. Wie die Amerikaner 1941 könnte man sagen. Also nicht unsympathisch, wenn auch etwas langweilig und alles in allem ob fragwürdiger Werte mit Vorsicht zu genießen.
Dass Tolkien eine »rückwärtsgewandte Utopie« (Friedrich Schlegel) entworfen hat, eine neue, antimoderne Mythologie, die wie Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen« an die romantische Idee einer »Neuen Mythologie« anknüpfte, an den Versuch, einen kollektiven Glauben durch künstliche Ideenbilder ahistorisch herzustellen – geschenkt.
Aber die eine Frage müssen Fans sich stellen: Ist es nicht ein Widerspruch, dass ausgerechnet der Verächter des Massenzeitalters durch seinen Propheten Jackson zum Schöpfer eines der finanziell und ideologisch erfolgreichsten Produkte der Kulturindustrie wird?
Wie »Der Herr der Ringe« entspricht auch »Der Hobbit« der historistischen Gegenwartsstimmung im Westen. In einer Gesellschaft, die zunehmend depressiv wird und sich neue Religiositäten verschiedenster Art herbeisehnt, befriedigt er die Sehnsucht nach einer runden, nichtfragmentierten Welt, nach einer guten Unfreiheit, in der alles seine seinsgeschichtliche Bestimmung hat. Apokalypse vielleicht – aber bitte mit Happy End. Zugleich tut das Werk dies in massenkonsumtauglicher, mehrheitskonformer Weise. Was Oswald Spenglers »Der Untergang des Abendlandes« für die deutsche Gesellschaft in den Jahrzehnten nach 1918 war, das ist Tolkien für den Westen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Ein Majority-Report des Bewusstseins und Eskapismus in eine bessere Vergangenheit.
Auf den Vorwurf der Realitätsflucht antworten Hippies gern mit dem Tolkien-Spruch: »Die Einzigen, die etwas gegen Eskapismus haben, sind Gefängniswärter.« Aber hier muss man dann noch einmal FAS-Autor Tobias Rüther zitieren, der keineswegs etwas gegen jeden Eskapismus hat, nur gegen bestimmte seiner Formen: »Der Wunsch, sich aus der Gegenwart immer mal wieder in eine andere Zeitrechnung einzuschleusen, als Entlastung, ist zutiefst menschlich. Sich aber mit Zwergen zu identifizieren, ist, nun ja, zwergisch. Bubihaft. Wie Fahrradfahren auf dem Bürgersteig. Man bleibt freiwillig unter seinen Möglichkeiten. Dabei muss sich das aber gar nicht ausschließen, Eskapismus und ein Möglichkeitssinn, der sich mit den avanciertesten Mitteln auf die Suche nach paralleler Realität macht.«
Insofern hat der Zuschauer so oder so etwas zum Nachdenken und wird leidlich gut unterhalten – wenn man sich nicht daran stört, dass die Handlung schon sehr breitgetreten und langatmig ist.
Eines allerdings bleibt auch lange nach diesem Film völlig unverständlich: Wieso ein Kinowerk, dessen Oberschurke der Horrorfilmfigur Leatherface abgekupfert ist, in dem immer wieder abgeschlagene Köpfe rollen, Glieder verstümmelt werden, brutale Monster mit Albtraumgesichtern zu Hunderten noch brutaler abgeschlachtet werden, eigentlich unbedingt ab 12 Jahren freigegeben werden muss. Ach so... ja stimmt, ist ja alles bloße Fantasie und »nur Unterhaltung«. Na dann...