Deutschland 2010 · 100 min. · FSK: - Regie: Rouven Rech, Frank Pfeiffer Kamera: Frank Pfeiffer |
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Das Glück liegt in der Wiese |
Die anderen haben russische Oligarchen, wir haben Dietmar Hopp und österreichische Brauseverkäufer: Er wollte sich Mannheimer und Heidelberger Clubs kaufen, aber die wollten sich nicht kaufen lassen – also stampfte Dietmar SAP Hopp, einer der reichsten Männer der Republik eben seinen eigenen Verein aus dem Boden. Die SG Hoffenheim ist nach den Retortenclubs aus Leverkusen (Bayer) und Wolfsburg (VW) nun der dritte nur durch die Macht des Geldes in die Bundesliga verpflanzte Fußballclub. Ein Modell für die Zukunft, wie Milliardärsspielzeug »Red Bull«, äh, »Rasen Ball« Leipzig beweist. Der Dokumentarfilm Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspiel schildert jetzt scharf und kritisch den – unaufhaltsamen? – Aufstieg von Hoffenheim und die Vorgeschichte von Ralf Rangnicks Rücktritt.
»Blau ist eine ganz kalte Farbe« insistiert der Architekt, und hätten sie das früher gewusst in Hoffenheim, hätten sie sich vielleicht auch das mit den neuen Clubfarben noch einmal genau überlegt. So wie alles andere. Um noch besser »die Herzen zu akquirieren«, um noch perfekter »an der Identifikation zu arbeiten.«
Trotzdem ist Jochen A. Rotthaus, von dem diese kühlen Formulierungen aus dem Wörterbuch des Marketing-Menschen stammen, kein unsympathischer Mann. Der Mann hat Phantasie: »Jetzt müsst ihr euch vorstellen...« sagt er immer wieder, um dann mit seinen Visionen ganz groß auszuholen. Er ist ein Wahnsinniger, produktiv besessen, so wie man das sein muss, wenn man Erfolg haben will im Fußballgeschäft. Rotthaus, Geschäftsführer des Provinzvereins TSG Hoffenheim, der seit 2008 als neureicher Emporkömmling in der Fußball-Bundesliga für Furore und ebensoviel Stirnrunzeln sorgt, ist der heimliche Hauptdarsteller von »Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspiel«
Über mehrere Jahre lang haben Frank Marten Pfeiffer und Rouven Rech den Verein in ihrem Dokumentarfilm begleitet, und wenn man Rotthaus und der TSG eines hoch anrechnen muss, dann, dass sie diesen Film überhaupt zugelassen und später auch keine kleinlichen Kürzungen erzwungen haben. Denn nicht immer kommen sie hier gut weg. Rech und Pfeiffer zeigen, wie aus einem verschlafenen Provinzclub ein global operierender, nach dem Vorbild großer Unternehmen organisierter und entsprechend streng autoritär funktionierender Fußballkonzern gebastelt wird, wie PR-Denken und Werbersprache den Fußball kapern, ihm die letzte Romantik austreiben und Traditionsvereine mehr und mehr durch Retortenclubs ersetzt werden. Denn ein solcher Retortenclub ist, dies belegt der Film eindrucksvoll, die TSG Hoffenheim im Kern, seit sie der Milliardär Dietmar Hopp übernommen und finanziell großzügig ausgestattet hat.
Im Zentrum der Langzeitdokumentation, die im Januar 2007 beginnt, als Hoffenheim noch Regionalligist war, und der in der Winterpause 2008/2009 endet, als der Verein als Aufsteiger sensationell die Bundesligatabelle anführt und das neue Stadion eingeweiht wird, steht die Saison 2007/2008, als der Aufsteiger aus der Regionalliga sich mit einem Etat, der höher lag, als der aller anderen Zweitligisten zusammen, den Bundesligaaufstieg de facto gekauft hat, als parallel dazu ein internationalen Standards genügendes Stadion aus dem Kraichgauer Acker gestampft wurde, und Rotthaus den Club per umfassender Imagekampagne neu erfand: Es geht nur noch um den »Markenauftritt«, darum, rebellierende Altfans ruhigzustellen, rund 100 künstlich neugeschaffene Fanclubs in der ganzen Republik fernzusteuern, und nicht zuletzt das neue, im Prinzip überdimensionierte Stadion voll zu bekommen. »Früher waren es Fans und Spiele, heute sind es Kunden und Produkte.« resümiert ein langjähriger Fan, und es wird klar, dass die Geschichte von Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspiel vor allem ein großartiges Lehrstück des Neoliberalismus ist, eine hochpolitische Parabel über die New Economy und die Verluste, die mit ihr einhergehen und ein Fallbeispiel darüber, wie Marketing und Effizienzdenken gegenwärtig alle anderen Lebensbereiche zu infizieren drohen.
Die Folgen des Ökonomismus für jene »Softskills«, die man früher einmal Seele nannte, sind ein zentrales Motiv dieses liebevollen Heimatfilms, zugleich geht er aber darüber hinaus: Denn Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspielist zudem eine überaus gelungene Fußball-Dokumentation. Durch einige Situationskomik ist sie auch für jene interessant, die den Sport selbst reizlos finden, weil er sich auf das Umfeld konzentriert und im Fußball das ganze Leben und unserer Gegenwart entdeckt. Zugleich wird der Sport hier nie verraten, stellen die Regisseure im Gegenteil die Frage danach, wie sich unter den Bedingungen der deregulierten und globalisierten (Fußball-)Wirtschaft noch die Geschichte des Fußballs pflegen und seine Tradition bewahren lässt, wie auch die ebenso wichtige Frage, ob Traditionsbewahrung hier überhaupt ein Wert an sich ist. Im Gegenteil: Die Macher bekamen erstaunlich offenen Zugang. Man erhält überaus intime Einblicke in den Profisport, und wird Zeuge von Verhandlungsgesprächen, von Spielvorbereitungen es gibt Interviews mit Spielern, Platzwarten, und mit der Schlüsselfigur, mit Mäzen Dietmar Hopp, der trotzig insistiert: »Unsere Tradition ist die Zukunft.« und gerade in diesem Insistieren das ganze Dilemma der TSG Hoffenheim illustriert.
Hopp ist, das macht die ganze Geschichte von Hoffenheim klar, ein unglaublich eitler Wichtigtuer, einer der alles für käuflich hält, und für den Beweis auch noch gelobt werden möchte. Einer der nur Gutes tut, damit darüber geredet wird. Er ist knallhart und kritikunfähig.
Ihm tritt selbst die BILD-Zeitung nicht zu nahe. »Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird!«, schreibt der stellvertretende Chefredakteur. Das gilt bestimmt für den Springer Verlag. Er schreibt auch:
»Erst recht, wenn einer mit seinem Geld schon so viel Gutes getan hat wie Hopp...« Was er nicht schreibt: Hopp gibt auch Geld für die BILD-Aktion »Ein Herz für Kinder«. Kann man sich damit positive Presse kaufen?
Die FAZ immerhin hat Klartext geschrieben: »Es gibt die Dietmar-Hopp-Stiftung. Es gibt das Dietmar-Hopp-Stadion, die Dietmar-Hopp-Jugendförderung, die Dietmar-Hopp-Allee. Vor allem im Sport ist ein bisschen Hopp-Hopp-Hurra immer dabei gewesen beim Engagement des allgegenwärtigen Gönners mit dem Bundesverdienstkreuz. Sogar ein kleiner Planet trägt seinen Namen. Die Macht der Wohltat verhindert auch eine sachliche Kritik an der Rolle Hopps im Fußball.«
Die Gesellschaft, als deren Teilsystem der Fußball in diesem Film erscheint, ist eine PR-Gesellschaft: entpolitisiert und nach Marketing-Gesetzen gesteuert. Fußball gehört darin zu den »positive Softskills«, mit denen diese Gesellschaft – wie der Film ganz offen zeigt – mehr durch Überredung, Identifikation und Zugehörigkeit gesteuert und manipuliert wird, als durch demokratische Entscheidung einer diskutierenden Öffentlichkeit unter Gleichen.
Profisport wird hier zum Agenten einer Entdemokratisierung.
Man kann es als Tugend des Films betrachten, dass die beiden Regisseure darauf verzichten, hier selbst klar Position zu beziehen. Ihre Ansichten sind dennoch für jeden, der Augen und Ohren hat, leicht zwischen den Bildern und in den Worten der Protagonisten zu entdecken.
Man kann die SG Hoppenheim, äh Hoffenheim nach diesem Film nicht mehr mögen. Man wird ihr allen Misserfolg der Welt wünschen: Abstieg, DFB-Strafen wegen Verstoß gegen die 50+1-Regel des DFB. Aber man hat sie besser verstanden, im Schlechten, wie im Guten. Man wird mit Torro trauern, wenn der Hoffenheim-Alptraum hoffentlich bald vorbei ist.
Nur zwei Fragen werden in Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspiel konsequent ausgeklammert, obwohl sie doch fast auf der Hand liegen: Zum einen die Rolle der DFB, der die offenkundigen Regelverstöße im Fall Hoffenheim ignoriert.
Zum anderen, und wichtiger: Könnte man das »Modell-Hoffenheim« – Tradition aus der Retorte, die Erschaffung künstlicher Zugehörigkeiten und Gemeinden –, eigentlich auch auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragen? Könnte es nicht auch in der Politik funktionieren? Der italienische Rechtspopulist Berlusconi hat vorgemacht, wie man eine Partei nach dem Muster eines Fußballfanclubs organisiert. Eine Schreckensvision, der die Macher von Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspiel ausweichen.