D/GB/F/USA 2016 · 98 min. · FSK: ab 0 Regie: Tom Tykwer Drehbuch: Tom Tykwer Kamera: Frank Griebe Darsteller: Tom Hanks, Alexander Black, Sarita Choudhury, Sidse Babett Knudsen, Tom Skerritt u.a. |
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In der Wüste verloren… geht Tom Tykwer |
Darf man es mal so ausdrücken: Dieser Film ist nicht vollkommen schlecht, aber wahnsinnig langweilig und unendlich uninteressant, und insofern dann doch sehr schlecht, vielleicht schlechter, als es ein missglückter, aber immerhin interessanter Film je sein könnte.
Ein Hologramm für den König, der neue Film von Tom Tykwer (Lola rennt) ist eine Bestseller-Verfilmung: Dave Eggers' Roman rückt einen in seiner US-Heimat gescheiterten Manager ins Zentrum. Ausgerechnet in der Wüste von Saudi-Arabien soll er die Präsentation einer hochkomplizierten 3-D-Technik vorbereiten – unter provisorischen Bedingungen. Und wann der König auftaucht, ist völlig ungewiss. So wird das Warten im Beduinenzelt zu einem existentiellen Trip, der die Hauptfigur mit ihren eigenen Ängsten konfrontiert. Die Hauptrolle dieses Amerikaners in der Midlife-Crisis spielt Hollywood-Jedermann Tom Hanks in gewohnter Manier.
Ein Alptraum am Anfang: Kein Job mehr, kein Haus mehr, kein Auto mehr, keine Frau mehr. Kleine pinke Farbexplosiönchen lösen dies alles in Nichts auf. Das Leben als Achterbahnfahrt: Am Ende landet man ganz unten. Dies jedenfalls ist der – seiner Lebenswirklichkeit nicht ganz unähnliche – Alptraum, den Alan Clay gerade träumt, in der ersten und fast schon allerbesten Szene dieses Films.
»Ich hatte immer die Gabe, in vielen Lagen für Einfachheit zu sorgen, komplizierte Dinge und Situationen zu entschärfen und zu klären.« – Das sagt er einige Zeit später seiner Ärztin. Die Welt ist kompliziert, und die Amerikaner blicken nicht mehr durch – so könnte man den ganzen Plot von Ein Hologramm für den König zusammenfassen. Denn es geht hier um einen Amerikaner wie er normaler und braver, mehr »all american«, gar nicht sein kann. Im Zentrum dieser Geschichte steht der erwähnte, in der Heimat gescheiterte Handlungsreisende Alan Clay, ein Mann von gestern, vielleicht ganz sympathisch, aber eigentlich auch ein bisschen nervtötend in seiner Weltfremdheit, und irgendwie auch sehr ausgedacht – mehr eine typische Kino- und Kunstfigur, als ein Mensch aus dem Leben.
Alan ist ein gescheiterter Repräsentant der alten Wirtschaft in den Zeiten nach der Banken- und Finanzmarktkrise – die Jobs sind längst ausgewandert nach Asien, Osteuropa oder auch den Nahen Osten. Hier, genauer: in Saudi-Arabien, bekommt der Held eine letzte Chance. Als freischaffender Consultant eines IT-Unternehmens soll er den Auftrag für eine aufwändige neue 3D-Telefontechnik an Land ziehen – vom saudischen König persönlich. Den Job hat er nur bekommen, weil er den Neffen des Königs kennt – zu Gesicht bekommt er ihn im ganzen Film nicht.
Um die Ausschreibung zu gewinnen, muss Alan nun eine andere Art des Geschäftemachens lernen, eine andere Art der Kommunikation. Er muss warten lernen – und das in einem Zelt ohne WLAN und Klimaanlage. Derweil muss er zuhause seine Schulden abzahlen, denn in Amerika gehört er zu den Verlierern der neoliberalen Wirtschaftsordnung, in der Arbeitsplätze zum Beispiel in den Nahen Osten ausgelagert werden, er muss sich um seine Tochter kümmern und um sich selbst. Denn er hat einen Tumor. Es geht also irgendwie um einen Kultur-Clash, es geht aber auch um die Krankheit des Westens, dessen seelische Probleme sich in diesem Film in körperlichen Zipperlein und Alpträumen manifestieren.
Immer dann, wenn Ein Hologramm für den König einfach etwas zeigt, wenn er den »kulturellen Zusammenstoß« einfach offen darstellt, ist der Film spannend und lustig. Auch wenn der König und seine Untertanen allen Klischees des Arabischen aus amerikanischer Sicht entsprechen. Gut inszenieren kann Tykwer. Action, Kameradynamik, das können wenige so wie er.
Mit Frauen kann er auf der Leinwand aber nach wie vor nichts anfangen. Und hat Tykwer schon mal eine
gute Liebesgeschichte erzählt? Eine gute Sexszene inszeniert? Tom Tykwer und die Gefühle – das ist auch hier wieder ein Problem.
Immer dann, wenn der Film sich aber richtig ernst nimmt, und über Gut und Böse predigen möchte, irgendetwas Bedeutungsvolles aussagen, dann ist er banal und schnell auch langweilig. Das liegt nicht so sehr an Tom Tykwers Regie, sondern an der Buchvorlage von Dave Eggers, einem Instant-Roman vom Bestseller-Fließband. Denn die Loser-Hauptfigur – mit Mitte 50 beruflich gescheitert, verschuldet, alternd, krank und impotent – wäre optimal für einen Woody-Allen-Helden, aber in diesem Film ist sie fehl am Platz.
Gespielt wird dieser Alan Clay von Tom Hanks, dem Normalo und (für mich extrem langweiligen) Jedermann des Hollywood-Kinos. Nur ist Hanks kein Jedermann wie James Stewart, dem man auch Abgründiges zutraute. Er ist hier einmal mehr vor allem eine Variation von Forrest Gump, ein vertrottelter Gutmensch in der Wüste, der sich »irgendwie kraftlos« fühlt und die Orientierung verloren hat. Nix Abgrund, nix Absurdität, nix Kafka. Und Kafka muss man ja nicht als pseudoexistentialistischen Tiefbohrer und Bedeutungshuber für Pubertierende lesen, man kann ihn auch als schrillen Komiker und Absurdisten begreifen. Aber vom Witzpotential des Plots bleibt hier kein Sandkorn.
Ja, ja, die Amerikaner haben eben ihre Probleme, als Weltmacht des Krieges und der Wirtschaft. Das sollen wir wohl denken dürfen. Aber warum sollten wir Europäer uns dafür interessieren? Sie uns gar zueigen machen? Diese Frage bleibt offen.
Hoffen wir mal, dass diese humorlose Komödie eines Mannes, der den Anschluß verloren hat, nicht als verkapptes oder gar unbewusstes Selbstportrait des Regisseurs gemeint ist.
Erkennbar ist immerhin ein stilistischer wie inhaltlicher Reifeprozess dieses Regisseurs: Tom Tykwer verzichtet diesmal auf die ganzen Manierismen früherer Werke, das mitunter zu deutliche zur-Schau-stellen seiner Virtuosität – die allerdings seinem Kino auch immer etwas Unverwechselbares gegeben haben. Und ein Reifezeugnis ist vielleicht gerade das, was man seinem Regisseur nicht wünscht. Lieber Wahnsinn und Verrücktheit.
Jetzt frage ich mich: Warum tut einer sich
so etwas an? Warum macht Tom Tykwer eigentlich Filme wie diesen? Wirklich nur zum Geldverdienen? Was ist spannend und thrilling an Hologramm? Mir ist es ein Rätsel. Da hatte ich immer mehr erhofft von Tykwer – und tue es noch.
Aber vielleicht hat der Kollege Daniel Kothenschulte recht. Kothenschulte hat gut beobachtet, wie produktiv das Warten und die Langeweile fürs Kino sein können, von Fassbinder über Wenders zu Sofia Coppola. Kothenschulte urteilt auch wenig schmeichelhaft, aber leider sehr präzise über den Regisseur: »Tom Tykwers Kino hat sich nie treiben lassen, es ist stets konstruiert. Das ist die Qualität seiner frühen Meisterwerke, die mit bescheidenen Mitteln einen kostbaren visuellen
Reichtum entwickelten. Seit Das Parfum aber gehen seine Filme einen umgekehrten Weg, der Überschuss an Produktionsmitteln scheint seine Phantasie zu lähmen.«
Und dann nennt Kothenschulte einen anderen fast noch wichtigeren Punkt: »Der Dekadenz, von der dieser Film handelt, entspricht die Überschussgesellschaft einer deutschen Filmförderung, die einmal erfunden wurde, um radikale,
künstlerische Filme zu machen. Und die nun lieber dazu verwendet wird, eine Idee von internationalem Arthouse zu produzieren, das man selbst in Hollywood ökonomischer herstellen könnte. ... Hier ist es üblich, auch kommerziell ausgerichtete Großproduktionen so zu finanzieren, dass sie ohne einen einzigen Zuschauer für alle Beteiligten profitabel sind. Allein für die 'producer’s fee', die dem Produzenten ins Budget geschrieben wird, könnte man ganze Filme drehen.«
Wer weiß, wie schlecht viele Filme ausgestattet sind, weiß, wie obszön dieses Fazit ist. Nach wie vor gilt: Ich freue mich ungemein auf die von Tykwer maßgeblich verantwortete Serie »Babylon Berlin«. Aber wie will ein Regisseur von der Weimarer Republiok schlüssig, gut, treffend und überzeugend erzählen, der offenbar kein bisschen boshaft auf die Welt blicken kann, der über Sex und Crime eigentlich noch nie gut erzählt hat? »Weimar« ist Sex und Crime, was denn sonst?
So ist Tykwers neuer Film halt einigermaßen beliebiges Unterhaltungskino geworden, öde vor sich plätschernd und ungemein belanglos – selbst in seinen moralischen Botschaften für kulturelle Offenheit.