Schweiz 2018 · 78 min. Regie: Nicolas Wagnières Drehbuch: Nicolas Wagnières Kamera: Denjis Jutzeler, Benoït Peverelli Schnitt: Damian Plandolit |
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Kühl-sozialistische Architektur |
Blitze flackern durch die Nacht. Kein Gewitter, sondern die Bomben der Nato. Der Westen hatte entschieden, dass die Kosovaren wie zuvor Kroaten und Bosnier die Guten in diesem Bürgerkrieg waren, und die Serben die Bösewichter. Darum wurde Belgrad bombardiert, auch Zivilisten, auch Hotels, wo gehobelt wird, da fallen schließlich Späne.
Dann ein harter Film-Schnitt. Zu minimalistischer, von fern an klassische Klaviersonaten erinnernder Musik sieht man leere Hotelflure, kontrollierter Modernismus, der Charme der Nostalgie und die Erfahrung eines Landes, das verschwunden ist.
Nicolas Wagnières Film setzt mit Jugenderinnerungen ein an Urlaube an der Adria-Küste und in Hotels wie diesem, Erinnerungen an Jugoslawien.
Dazu sieht man Bilder aus dem leerstehenden »Hotel Jugoslavija« in Novi Belgrad, dem modernen, erst Anfang des 20. Jahrhunderts den Donausümpfen abgerungenen Teil der serbischen Hauptstadt.
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Hotels, das sind nicht einfach irgendwelche Gebäude, nicht nur Bettenburgen und Unterkünfte auf Zeit – es sind transitorische Orte, in denen sich die verschiedensten Menschentypen und -klassen begegnen.
Manchmal begegnen sich in solchen Hotels auch die Großen der Geschichte und die Zeitalter selbst, die Moden und Geschmäcker, die Ideen und Ideologien der Epochen.
Der Dokumentarfilm Hotel Jugoslavija zeigt einen emblematischen, mythischen Ort. Denn dieses Hotel ist gleichzeitig Schauplatz vieler historischer Momente, die Jugoslawien ausgemacht haben, von Tito bis Milosevic, vom heiteren Balkan-Sozialismus bis zum schwerblütigen Nationalismus, der nach dem Fall der Mauer den Vielvölkerstadt zerstörte.
Gleichermaßen ist es aber heute auch eine Vitrine, die diese längst vergangene Vergangenheit noch ein wenig am Leben erhält.
Dem Selbstverständnis von Jugoslawiens Staatschef Tito nach sollte Jugoslawien konsequent eine Sonderstellung zwischen den Machtblöcken des Kalten Kriegs haben.
2005 stand das Hotel leer, es schloss für den Umbau nach der Privatisierung. In dieser Zeit begann der aus Lausanne stammende Schweizer Nicolas Wagnières zu drehen, und seitdem hat ihn dieser Ort nicht mehr losgelassen.
1969 wurde es fertiggestellt, schnell auf Geheiß von Tito, nachdem die Bauarbeiten seit den 1940er Jahren lange Zeit geruht hatten. Die Devise war: nicht kleckern, sondern klotzen! Realexistierender sozialistischer Luxus: »600 Zimmer mit 1000 Betten. Luxuriöse Salons, Suiten, Pools und sogar ein Hauscasino inklusive.« Ein Repräsentationsort für internationale Gäste von Richard Nixon bis Richard Burton und Elisabeth Taylor. Jimmy Carter, Willy Brand und Queen Elisabeth II und viele andere wohnten hier.
Anhand der wechselvollen Geschichte dieses einst berühmten Belgrader Hotels, einer Ikone des Modernismus, zeigt er die massiven Veränderungen, die das Land und seine Menschen in den letzten 40 Jahren durchlebt haben.
Den Verfall des Gebäudes, die großen Pläne für seine Zukunft und die ernüchternde Realität parallelisiert der Filmemacher mit dem Verfall gesellschaftlicher Werte, den er im Europa nach 1989 wahrnimmt.
Die Architektur, gefilmt in kühlen Super-16-Bildern, wird zum Zeugen des kollektiven Unbewussten: Über zehn Jahre hinweg gedreht, geht die Auseinandersetzung über bloße Nostalgie weit hinaus und zielt auf unsere Gegenwart.
Dies ist weniger ein trocken dokumentierender oder pathetisch aufrüttelnder Dokumentarfilm als ein persönlicher und zugleich politischer Essay. Die Frage nach Identität und Zugehörigkeit wird ebenso berührt, wie die ambitionierten Träume des 20. Jahrhunderts und unsere derzeitige Resignation, die auf sie folgte.
»Ein Staat mit dem Volk und durch das Volk. Das war die Ideologie, das war der Glaube der Epoche. ein Zusammengehörigkeitsgefühl« – so erzählt aus dem Off.
Wagnières montiert gegenwärtige Aufnahmen geschickt mit seltenem, hochinteressantem und überraschendem Archivmaterial. Sein Film ist ein historischer Essay und eine topographische Erkundung. Ihn interessieren Mythen mehr, als moralische Bewertungen, und so erinnert dieser Film in seiner Offenheit und Neugier an die ganz Großen des Genres: an Thomas Heise, Heinz Emigholz und vor allem Chris Marker.
Kurz: Ein unbedingt sehenswertes, seltenes Kinoerlebnis.