Hongkong 1996 · 116 min. · FSK: ab 6 Regie: Peter Chan Drehbuch: Ivy Ho Kamera: Jingle Ma Darsteller: Maggie Cheung, Leon Lai, Eric Tsang, Christopher Doyle, Kristy Yeung u.a. |
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Viel ließe sich beobachten, sehr viel loben an Tian mi mi. Wie im bewußten, expliziten Rückgriff auf das klassische Hollywood-Melodram beispielsweise einem Genre neue Kraft und Überzeugungsfähigkeit eingehaucht wird, das in seinem Herkunftsland schon lange zur ausgehölten, zynischen Fassade verkommen ist. Wie der Film dabei stets selbst über kommerzielle Populärkultur reflektiert – und sie weder überheblich verdammt, noch naiv feiert. Oder wie es dem Film gelingt, unaufdringlich im Gewand einer Liebesgeschichte eine politische Parabel zu erzählen. Auch handwerklich ließe sich praktisch jede Kategorie des 1997 – zu Recht – mit neun Hong Kong Movie Awards ausgezeichneten Tian mi mi positiv erwähnen. – Nicht zuletzt die hervorragenden Schauspieler, allen voran »König des Canton-Pop« Leon Lai und (schmacht!) Maggie Cheung – über die allein ich schon seitenweise schwärmen könnte.
Stattdessen: Die Beschreibung einer Szene aus der Mitte des Films.
Nach drei Jahren treffen sich Jun (Leon Lei) und Qiao (Maggie Cheung) wieder. Sie hatten sich kennengelernt, als Jun 1986 aus der chinesischen Provinz nach Hongkong einwanderte und völlig verloren durch die Metropole irrte. Qiao hatte ihn unter ihre Fittiche genommen, ihm Kantonesisch beigebracht und geholfen, in der Stadt Fuß zu fassen. Aus der Freundschaft wurde schnell mehr – und für beide bald zuviel:
Jun hatte Skrupel, seine Freundin auf dem Festland sitzenzulassen, Qiao wollte der Liebe zu Jun nicht ihre Träume von Erfolg und großer Karriere opfern. Nun ist Qiao die Geliebte des Triaden-Boßes Bao (großartig: Eric Tsang), und Jun feiert die Hochzeit mit seiner chinesischen Jugendliebe.
Aber das eine Treffen reicht, um beide wissen zu lassen, daß sie die Liebe ihres Lebens geopfert haben. Es dauert nicht lange, da landen sie wieder zusammen im Hotel – und sind bald bereit,
alles aufzugeben, um noch einmal zusammen anzufangen.
Jun will seine Frau verlassen, Qiao ihren Bao. Doch als Qiao nachts nach Hause kommt, erfährt sie, daß Bao vor der Polizei nach Taiwan fliehen muß.
Sie will ihn nicht ohne Abschied ziehen lassen; Jun und Qiao fahren zum Hafen. Die Frau geht auf das Boot, das zur Flucht bereit steht, und findet Bao an Deck. Wir haben bisher kaum Grund, diesen kleinen, dicken Mann zu mögen, der ständig Qiao aus dem Schlaf schreckt, wenn seine
Gangster-Kumpanen telefonisch seine leitende Hand bei ihren illegalen Geschäften anfordern: Nichts spricht dafür, daß er in der Frau mehr sieht als ein schönes Status-Symbol, das er sich mit seinem Geld und seiner Macht gekauft hat.
Aber als Qiao ihm gegenübersteht, und er sie betont gefühllos anblafft, was sie denn hier wolle; als er mit bröckelnder Tapferkeit erzählt, wie wenig sie ihm fehlen werde, weil er doch in Taiwan Dutzende Frauen auf sich warten habe; als er sie offenbar fast
wegekeln möchte, um ihr den Abschied zu erleichtern – da gibt es diesen einen, kurzen, verwundeten Blick von ihm. Und dieser Blick verrät alles: In diesem Moment verstehen wir, daß er diese Frau wirklich LIEBT. Und Qiao versteht es auch. Und sie kann ihn nicht verlassen.
Das Boot legt ab.
Jun steht am Kai, im Regen, alleine, und wartet.
Und wem diese Szene (wie bestimmt ein halbes Dutzend weiterer in diesem Film) nicht das Herz bricht, wer da völlig trockene Augen behalten kann, wer nicht weiß, warum dieser eine Blick von Bao einer der tiefsten und überwältigendsten Momente in diesem Kinojahr ist – der hat einen so großen und so wunderschönen Film wie Tian mi mi ohnehin nicht verdient.