USA/Kanada 2021 · 158 min. · FSK: ab 12 Regie: Ridley Scott Drehbuch: Becky Johnston, Roberto Bentivegna Kamera: Dariusz Wolski Darsteller: Adam Driver, Salma Hayek, Lady Gaga, Jared Leto, Al Pacino u.a. |
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Ridley Scott liefert auf seine Weise, was man erwartet... | ||
(Foto: Universal) |
Intrigen, Machtwahn, kapitalistische Marktregeln versus familiäre Loyalität – bei einem Blick hinter eine große Marke wie Gucci erwartet man das alles. Und irgendwie liefert das Ridley Scott in House of Gucci (nach The Last Duel schon der zweite Kinostart in kürzester Zeit) auch ab. Warum funktioniert dieser Film dann trotzdem nicht? Nun, es braucht eben mehr als eine große Brand im Titel, bekannte Namen in der Besetzung und eine wahre Tragödie, auf der alles basiert.
Aber der Reihe nach. Grob gesagt, geht es in Scotts Film um den letzten mächtigen Spross der Mode-Dynastie, Maurizio Gucci (Adam Driver). Allerdings hat man es hier auch mit einer Liebesgeschichte zu tun. Dem zukünftigen Firmenboss begegnet man zunächst als schüchternem Jura-Studenten Ende der Siebziger. Mit dem Glanz und Glamour, der über seinem Namen schwebt, will der junge Mann gar nichts zu tun haben. Auf einer Party, die er abseits hinter der Bar verbringt, trifft er die attraktive Patrizia Reggiani (Lady Gaga), die aus irgendeinem Grund von diesem unscheinbaren Kerlchen angezogen ist und ihn zu stalken beginnt. Am liebsten wäre es ihm, dass die Signoria ihn nicht weiter mit ihren Avancen belästigen würde, doch schließlich funkt es dann doch noch. Sein alter Herr Rodolfo Gucci (Jared Leto) ist davon überhaupt nicht begeistert, er als ehemaliger großer Schauspieler kann sich mit der Idee einer kleinen Sekretärin als Schwiegertochter nicht anfreunden. Zwischen Vater und Sohn kommt es also zum Bruch, Maurizio heuert in der Transportfirma von Patrizias Papa an und alles scheint wunderbar zu werden. Das Glück gipfelt in der Hochzeit und einer Sexszene, die von ihrem Fremdschämfaktor an die berüchtigte Pool-Szene aus Verhoevens Showgirls heranreicht. Man sieht schon am Anfang, dass Ridley Scott hier zwischen einem ernsthaften Drama und klamaukigem Camp hin- und herschlittert. Diese Uneinigkeit zieht sich letztendlich durch die gesamten zweieinhalb Stunden von »House of Gucci«, was nicht nur die Intention des Films verschwimmen lässt, sondern auch nicht gerade zuträglich für das Mitfühlen und -fiebern ist. Und dabei geht es hier noch gar nicht richtig los.
Dann auf einmal verfinstert das Gucci-Logo als tonnenschweres Damoklesschwert den wolkenlosen Himmel des jungen Pärchens. Und zwar in Gestalt von Maurizios Onkel Aldo (Al Pacino), der seinen Neffen gern als großes Tier in seinem Design-Imperium anstellen würde. Sein eigener Sohn Paolo (Jared Leto), den er mehr oder minder liebevoll »seinen Idioten« nennt, ist leider ebenso exzentrisch wie inkompetent. Maurizio blockt immer wieder ab, heuert jedoch nach einigem Zaudern an. Nicht zuletzt durch Patrizias Zureden, die natürlich am liebsten mit Hechtsprung in diese Glamour-Welt eintauchen würde. Beide ahnen noch nicht, dass diese Entscheidung folgenschwere Veränderungen nach sich ziehen wird – für die Firma, die Familie und nicht zuletzt in ihnen selbst.
Wie schon gesagt, House of Gucci liefert auf seine Weise, was man erwartet: Gier, Glitter, Verrat, Eifersucht, die dunkle Seite hinter dem vergoldeten Logo usw. Wirklich düster wird der Film jedoch genauso wenig wie dekadent-glamourös. Sicher erfährt man, dass es hinter den Kulissen des modischen Lebensgefühls in erster Linie um den schnöden Mammon geht, dass sogar die Qualität eher zweitrangig ist. Ein Großteil des Publikums wird das allerdings schon wissen und bekommt auch keine Ansätze zum Weiterdenken mit auf den Weg. Ein Sittengemälde über die Luxuselite ist House of Gucci genauso wenig wie eines der Achtziger, die hier mit allerhand Songmaterial von George Michaels »Faith« bis »Here Comes the Rain« von Eurythmics wiederbelebt werden. Mehr hat es den Anschein von nettem Dekor. Ein paar schöne Kostüme und Kulissen retten dieses filmische Unternehmen auch nicht vor dem Untergang.
Überhaupt kommt man sich hier eher wie in einer Hochglanz-Seifenoper vor als wie in dem Luxus-Thriller, der dieser Film sein will. Dazu fehlt es dieser Produktion einfach am nötigen Ernst. Hier wären wir auch schon beim nächsten wunden Punkt: dem Cast. Ganz klar stechen Adam Driver und Lady Gaga hier positiv hervor, wenn auch die Zeichnung ihrer Figuren zu wünschen übrig lässt. Driver wirkt eher blass und man nimmt ihm den Wandel vom schüchternen Studenten zum Oberboss nicht so ganz ab. Lady Gaga ist in den Momenten am stärksten, in denen sie in ihren drallen Kostümen wie eine Comic-Bösewichtin daher kommt und Patrizia Reggiani etwas verleiht, was zwischen Diabolischem und Fragilem pendelt. Man schaut sich das mitunter gern an, aber es will doch nicht so richtig passen. Richtige Rolle, falscher Film? Wer von beiden die Hosen an hat, wer machthungrig und wer liebesbedürftig ist, wechselt immer wieder. In Szenen wie der gemeinsamen Weihnachtsfeier, bei der Patrizia mit einem Gutschein abgespeist wird, entwickelt sich eine ganz eigene unheimliche Mechanik zwischen den beiden, die viel verspricht, der Film jedoch nicht einhalten kann.
Wirklich haarsträubend wird es jedoch, wenn Aldo und Rudolfo Gucci die Leinwand betreten. Pacino mimt den Modemulti als Klischee-Italiener, der genauso gut mit der Mafia oder einem zwielichtigen Gebrauchtwagenhandel zu tun haben könnte. Jared Leto macht aus seiner Figur den letzten Volltrottel, der sogar für einen exzentrischen Modedesigner zu weit jenseits von gut und böse ist. Man wartet im Grunde darauf, dass House of Gucci jeden Moment vollends zum Klamauk wird. Das mag für eine Satire vielleicht funktionieren, doch bei einem Drama, wie es Ridley Scott hier inszenieren wollte, führt das vollkommen in die Irre.
Das alles zusammengenommen ergibt ein Durcheinander; einen Film, der bei der Gewichtung seiner Elemente so inkonsequent ist, dass man nicht mehr weiß, wann man lachen und wann betroffen sein soll. Eher stellt sich das Gefühl ein, es hier mit einfachem Sensationalismus zu tun zu haben, der mit großen Namen und großem Branding im Titel die Zuschauer locken will. Wer hier also eine große Familientragödie erwartet, wird eher mit einer marktschreierischen Fälschung bedient.
»Never confuse shit to chocolate. They may look the same, but they taste very different. Trust me, I know.«
- Paolo Gucci in »House of Gucci«»Sometimes it needs an Outsider to see the truth.«
- Domenico de Sole in »House of Gucci«
Dies ist eine Geschichte über Glamour, Jetset und unermesslichen Reichtum. Es ist auch eine Geschichte über Liebe und Hass, Macht und Ungeist, über Dummheit und Gier. Ein Shakespeare'sches Königsdrama oder eine Tragödie ist House of Gucci deswegen aber noch lange nicht geworden. Und auch die vom Titel nahegelegte Analogie mit dem bahnbrechenden, epochalen Politdrama House of Cards legt eine falsche Fährte. Es ist auch keine echte ausgelassene Komödie, sondern ein grotesk-bizarres Märchen wie der »Sommernachtstraum«, der die Götterwelt als menschlich-allzumenschliche Kleinbürgerhölle karikiert.
Dabei ist es ein sehr unterhaltsamer Film, der beweist, dass Kino mehr ist als Handlung und Story, mehr als Figuren und Psychologien, die wir verstehen, oder mit denen wir uns gar identifizieren. In House of Gucci stehen zwei andere Essenzen des Kinos im Zentrum, die in der Gegenwart manchmal zu schnell vergessen werden: Zeigelust und Voyeurismus.
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Alles beginnt in Mailand in den 1970er Jahren: Patrizia, die Tochter eines Transportunternehmers, lernt auf einer Party einen schüchternen jungen Mann mit exzellenten Manieren kennen. Der entpuppt sich schnell als Maurizio, Neffe von Aldo Gucci, dem Patriarchen des bekannten Modehauses, und damit als millionenschwerer Erbe. Der Film lässt offen, wie viel Liebe, wie viel Gerissenheit nun im Spiel ist – jedenfalls lässt Patrizia die einmal gefasste Beute nicht mehr los. Maurizio ist für die junge Frau die Chance, der spießigen Herkunft zu entkommen und ein Leben in Saus und Braus zu führen.
Aber schnell wird klar, dass sie mehr will. Patrizia ist intelligent und zielorientiert, und damit genau das, was Maurizio braucht, um seine zweifellos vorhandenen Anlagen zu einem erfolgreichen Geschäftsmann und Mode-Couturier zu entfalten. Das erkennt auch Aldo und bevorzugt den Neffen gegenüber seinem eigenen Sohn.
Zugleich ist sie knallhart, komplett ohne Moral und voller Gier. Toxische Weiblichkeit in Vollendung.
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Für dieses erste Kapitel der Gucci-Saga nimmt sich der Film am meisten Zeit. Schon hier ist alles als groteske Farce angelegt, die deutlich macht, dass es um Menschen geht, die Gerissenheit mit leutseliger Naivität, grundsätzliche Geschmacklosigkeit mit viel Sinn für den Geschmack des Publikums vereinen – und sich immer wieder selbst über diesen Befund wundert. Besonders der von Al Pacino gespielte Aldo könnte auch einem Mafiafilm entstammen: Denn der Mann macht noch Geschäfte
mit den Fälschungen seiner eigenen Modelinie und kommentiert dies in lächelndem Zynismus: »Gucci ist was ich sage, was es ist. Quality ist was für die Reichen. Wenn eine Hausfrau in Long-Island die Illusion braucht, sie sei eine Gucci-Kundin...«
Dieser Aldo ist der einzige, der es mit der Härte der eingeheirateten Patrizia aufnehmen kann. Den vorhersehbaren Kampf gewinnt diese dann und bootet die komplette Familie aus. Doch genau zu diesem Zeitpunkt beginnt ihr Mann Maurizio sich
allmählich von seiner Frau zu emanzipieren. Und damit wird aus dem süffisanten Gesellschaftsporträt ein Trennungsdrama, dessen letzter Akt die Ermordung Guccis durch einen Auftragskiller wird, der im Auftrag der geschiedenen Gattin handelte...
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Mit den einzelnen Fakten nimmt es der Film dabei nicht bürokratisch genau – auch wenn das Drehbuch im Großen und Ganzen den Recherchen eines vor 20 Jahren erschienenen Bestsellers folgt, der unter dem Titel »Gucci – Mode, Mord und Business« auch auf Deutsch erschien. Aber es ist gerade dieses Drehbuch, das der eindeutige Schwachpunkt dieses Films ist. Vieles ist zu lang, bis auf einige spritzige Dialogzeilen zu behäbig erzählt, und mehr als einmal ertappt man sich als
Zuschauer bei der Frage, was hier eigentlich genau erzählt wird, und warum?
Nur macht diese Schwäche überhaupt nichts aus. Denn Ridley Scott (Blade Runner, Gladiator) ist ein derart hervorragender Regisseur, dass er Schwächen geschickt überspielt, und umso mehr auf ein Kino der Schauwerte und des souverän
und flott inszenierten Spektakels setzt. Dabei helfen ihm seine durchweg gelungen eingesetzten, herrlich komischen Darsteller: Neben den drei Hauptdarstellern, unter denen Lady Gaga die exzellenteste, erstaunlichste Vorstellung bietet, muss man zumindest Jared Leto, Salma Hayek und Jeremy Irons erwähnen.
Nicht weniger wichtig ist der Einsatz der Musik: Ein paar Opernarien gibt es, zentral sind aber die Disco-Pop-Hits der späten 80er. Dies ist auch ein Zeitporträt, das mit Mode und Sinnlichkeit der Epoche spielt. Alles ist cheesy, Glitz, Glitter, neureiches Protzen und Klunkern, große Schauwerte – aber dran kratzen sollte man nicht, sonst würde schnell klar, dass vieles auch nur Oberfläche ist. Aber was spricht dagegen? Auch hierin ist House of Gucci seinem Gegenstand angemessen: Einem Haufen amoralischer Neureicher, die dümmer sind, als sie glauben.
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Die 80er Jahre bedeuteten im Rückblick das Ende der Mode im klassischen Sinn, den Sieg einer schlechten Gleichheit über den guten Stil. Damals begann die Zeit, in der Megastars mit Jeans und weißem T-Shirt an die Öffentlichkeit gingen, Pelze »out« wurden, und sogar eine Mode-Ikone wie Catherine Deneuve in Birkenstock-Sandalen auf Filmpremieren ging.
Darüber muss man ein andermal ausführlicher und besser begründet schreiben.
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Der harte, historisch materialistische Kern dieser Darstellung ist der Übergang der klassischen Produktiv-Wirtschaft zum Neoliberalismus: Qualität zählt immer weniger, plötzlich ist der Schein wertvoller als das Reale der Ware, das Simulakrum siegt über die Substanz.
Gucci erleidet das Schicksal hunderttausender weniger berühmter Firmen: Alteingesessene Familienunternehmen werden zu Weltkonzernen oder werden von diesen gekauft, um die Marke für den globalen Handel auszuschlachten. Die »Modeschöpfer« werden abgeschafft, stattdessen leiten Controller die Firmen und engagieren »Chefdesigner«.
Die interessante, aber auch von diesem Film sträflich unterschätzte (ebenfalls reale) Figur des Domenico de Sole (mit sardonischer Zurückhaltung gespielt von John Hustons Enkel Jack Huston) verkörpert diese Entwicklung: Ein auf seine Art genialer Manager, der die Weisheiten der Chicago-School verinnerlicht hat und mit diesen auf dem »weichen« Sektor von Mode und Kunst reüssierte. Der Mann lohnt die nähere Beschäftigung. De Sole rettete Gucci vor dem Bankrott, kaufte St. Laurent, Balenciaga, arbeitete für Zegna und Pirelli und leitet heute »Sotheby’s«.
Im Film hat er wenige, aber gute Sätze wie »I am a conservationist. Gucci is a rare animal. It needs to be protected.«
So kann man es auch sehen.
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Fast 20 Jahre lang versuchte Hollywood, diese Figuren und die mörderisch-absurde Geschichte der Gucci-Familie zu verfilmen. Ursprünglich sollten Angelina Jolie und Leonardo Di Carpio die Hauptrollen spielen. Man stelle sich das einmal vor!
Später, im Februar 2012, sollte es dann wirklich so weit sein. Ridley Scotts Tochter Jordan Scott hatte einen Regievertrag und führte Gespräche mit Penélope Cruz, die als Patrizia Reggiani vorgesehen war. Weitere knapp fünf Jahre später, im
November 2016, übernahm der Hongkong-Chinese Wong Kar-wai das Projekt und nun hatte man Margot Robbie für die Hauptrolle im Visier. Zumindest diese Version hätten wir auch gern gesehen. Was wäre das für ein schöner Film geworden – »In the Mood for Murder«
Mit Angelina Jolie und Leonardo DiCaprio wäre es auch ein komplett anderer Film geworden. Ernster, vielleicht auch besser, aber bestimmt nicht annähernd so bissig und böse und dabei doch sehr unterhaltsam. Ridley Scott zeigt die Modewelt als Narrenschiff und bizarre Soap Opera. In der spielen wir übrigens alle mit – als Kunden und Publikum.