House of Gucci

USA/Kanada 2021 · 158 min. · FSK: ab 12
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: ,
Kamera: Dariusz Wolski
Darsteller: Adam Driver, Salma Hayek, Lady Gaga, Jared Leto, Al Pacino u.a.
Filmszene »House of Gucci«
Ridley Scott liefert auf seine Weise, was man erwartet...
(Foto: Universal)

Machtspiel für die ganze Familie

Ridley Scott versammelt für sein Porträt einer Familie einen namhaften Cast unter einem weltweit bekannten Logo. Was herauskommt, ist ein genauso blutleeres wie orientierungsloses Desaster.

Intrigen, Machtwahn, kapi­ta­lis­ti­sche Markt­re­geln versus familiäre Loyalität – bei einem Blick hinter eine große Marke wie Gucci erwartet man das alles. Und irgendwie liefert das Ridley Scott in House of Gucci (nach The Last Duel schon der zweite Kinostart in kürzester Zeit) auch ab. Warum funk­tio­niert dieser Film dann trotzdem nicht? Nun, es braucht eben mehr als eine große Brand im Titel, bekannte Namen in der Besetzung und eine wahre Tragödie, auf der alles basiert.

Aber der Reihe nach. Grob gesagt, geht es in Scotts Film um den letzten mächtigen Spross der Mode-Dynastie, Maurizio Gucci (Adam Driver). Aller­dings hat man es hier auch mit einer Liebes­ge­schichte zu tun. Dem zukünf­tigen Firmen­boss begegnet man zunächst als schüch­ternem Jura-Studenten Ende der Siebziger. Mit dem Glanz und Glamour, der über seinem Namen schwebt, will der junge Mann gar nichts zu tun haben. Auf einer Party, die er abseits hinter der Bar verbringt, trifft er die attrak­tive Patrizia Reggiani (Lady Gaga), die aus irgend­einem Grund von diesem unschein­baren Kerlchen angezogen ist und ihn zu stalken beginnt. Am liebsten wäre es ihm, dass die Signoria ihn nicht weiter mit ihren Avancen beläs­tigen würde, doch schließ­lich funkt es dann doch noch. Sein alter Herr Rodolfo Gucci (Jared Leto) ist davon überhaupt nicht begeis­tert, er als ehema­liger großer Schau­spieler kann sich mit der Idee einer kleinen Sekre­tärin als Schwie­ger­tochter nicht anfreunden. Zwischen Vater und Sohn kommt es also zum Bruch, Maurizio heuert in der Trans­port­firma von Patrizias Papa an und alles scheint wunderbar zu werden. Das Glück gipfelt in der Hochzeit und einer Sexszene, die von ihrem Fremd­schäm­faktor an die berüch­tigte Pool-Szene aus Verhoevens Showgirls heran­reicht. Man sieht schon am Anfang, dass Ridley Scott hier zwischen einem ernst­haften Drama und klamau­kigem Camp hin- und herschlit­tert. Diese Unei­nig­keit zieht sich letzt­end­lich durch die gesamten zwei­ein­halb Stunden von »House of Gucci«, was nicht nur die Intention des Films verschwimmen lässt, sondern auch nicht gerade zuträ­g­lich für das Mitfühlen und -fiebern ist. Und dabei geht es hier noch gar nicht richtig los.

Dann auf einmal verfins­tert das Gucci-Logo als tonnen­schweres Damokles­schwert den wolken­losen Himmel des jungen Pärchens. Und zwar in Gestalt von Maurizios Onkel Aldo (Al Pacino), der seinen Neffen gern als großes Tier in seinem Design-Imperium anstellen würde. Sein eigener Sohn Paolo (Jared Leto), den er mehr oder minder liebevoll »seinen Idioten« nennt, ist leider ebenso exzen­trisch wie inkom­pe­tent. Maurizio blockt immer wieder ab, heuert jedoch nach einigem Zaudern an. Nicht zuletzt durch Patrizias Zureden, die natürlich am liebsten mit Hecht­sprung in diese Glamour-Welt eintau­chen würde. Beide ahnen noch nicht, dass diese Entschei­dung folgen­schwere Verän­de­rungen nach sich ziehen wird – für die Firma, die Familie und nicht zuletzt in ihnen selbst.

Wie schon gesagt, House of Gucci liefert auf seine Weise, was man erwartet: Gier, Glitter, Verrat, Eifer­sucht, die dunkle Seite hinter dem vergol­deten Logo usw. Wirklich düster wird der Film jedoch genauso wenig wie dekadent-glamourös. Sicher erfährt man, dass es hinter den Kulissen des modischen Lebens­ge­fühls in erster Linie um den schnöden Mammon geht, dass sogar die Qualität eher zweit­rangig ist. Ein Großteil des Publikums wird das aller­dings schon wissen und bekommt auch keine Ansätze zum Weiter­denken mit auf den Weg. Ein Sitten­ge­mälde über die Luxus­elite ist House of Gucci genauso wenig wie eines der Achtziger, die hier mit allerhand Song­ma­te­rial von George Michaels »Faith« bis »Here Comes the Rain« von Euryth­mics wieder­be­lebt werden. Mehr hat es den Anschein von nettem Dekor. Ein paar schöne Kostüme und Kulissen retten dieses filmische Unter­nehmen auch nicht vor dem Untergang.

Überhaupt kommt man sich hier eher wie in einer Hochglanz-Seifen­oper vor als wie in dem Luxus-Thriller, der dieser Film sein will. Dazu fehlt es dieser Produk­tion einfach am nötigen Ernst. Hier wären wir auch schon beim nächsten wunden Punkt: dem Cast. Ganz klar stechen Adam Driver und Lady Gaga hier positiv hervor, wenn auch die Zeichnung ihrer Figuren zu wünschen übrig lässt. Driver wirkt eher blass und man nimmt ihm den Wandel vom schüch­ternen Studenten zum Oberboss nicht so ganz ab. Lady Gaga ist in den Momenten am stärksten, in denen sie in ihren drallen Kostümen wie eine Comic-Böse­wichtin daher kommt und Patrizia Reggiani etwas verleiht, was zwischen Diabo­li­schem und Fragilem pendelt. Man schaut sich das mitunter gern an, aber es will doch nicht so richtig passen. Richtige Rolle, falscher Film? Wer von beiden die Hosen an hat, wer macht­hungrig und wer liebes­be­dürftig ist, wechselt immer wieder. In Szenen wie der gemein­samen Weih­nachts­feier, bei der Patrizia mit einem Gutschein abge­speist wird, entwi­ckelt sich eine ganz eigene unheim­liche Mechanik zwischen den beiden, die viel verspricht, der Film jedoch nicht einhalten kann.

Wirklich haar­sträu­bend wird es jedoch, wenn Aldo und Rudolfo Gucci die Leinwand betreten. Pacino mimt den Modemulti als Klischee-Italiener, der genauso gut mit der Mafia oder einem zwie­lich­tigen Gebraucht­wa­gen­handel zu tun haben könnte. Jared Leto macht aus seiner Figur den letzten Voll­trottel, der sogar für einen exzen­tri­schen Mode­de­si­gner zu weit jenseits von gut und böse ist. Man wartet im Grunde darauf, dass House of Gucci jeden Moment vollends zum Klamauk wird. Das mag für eine Satire viel­leicht funk­tio­nieren, doch bei einem Drama, wie es Ridley Scott hier insze­nieren wollte, führt das voll­kommen in die Irre.

Das alles zusam­men­ge­nommen ergibt ein Durch­ein­ander; einen Film, der bei der Gewich­tung seiner Elemente so inkon­se­quent ist, dass man nicht mehr weiß, wann man lachen und wann betroffen sein soll. Eher stellt sich das Gefühl ein, es hier mit einfachem Sensa­tio­na­lismus zu tun zu haben, der mit großen Namen und großem Branding im Titel die Zuschauer locken will. Wer hier also eine große Fami­li­en­tra­gödie erwartet, wird eher mit einer markt­schreie­ri­schen Fälschung bedient.

Viel Lärm um alles

Toxische Weiblichkeit: Ridley Scotts Film ist eine oft boshafte, mitunter sogar albtraumhafte Satire auf kleine Leute mit großem Geld und auf das Ende der klassischen Mode im Übergang vom Modeschöpfer zum Chefdesigner

»Never confuse shit to chocolate. They may look the same, but they taste very different. Trust me, I know.«
- Paolo Gucci in »House of Gucci«

»Sometimes it needs an Outsider to see the truth.«
- Domenico de Sole in »House of Gucci«

Dies ist eine Geschichte über Glamour, Jetset und uner­mess­li­chen Reichtum. Es ist auch eine Geschichte über Liebe und Hass, Macht und Ungeist, über Dummheit und Gier. Ein Shake­speare'sches Königs­drama oder eine Tragödie ist House of Gucci deswegen aber noch lange nicht geworden. Und auch die vom Titel nahe­ge­legte Analogie mit dem bahn­bre­chenden, epochalen Polit­drama  House of Cards legt eine falsche Fährte. Es ist auch keine echte ausge­las­sene Komödie, sondern ein grotesk-bizarres Märchen wie der »Sommer­nachts­traum«, der die Götter­welt als mensch­lich-allzu­mensch­liche Klein­bür­ger­hölle karikiert.

Dabei ist es ein sehr unter­halt­samer Film, der beweist, dass Kino mehr ist als Handlung und Story, mehr als Figuren und Psycho­lo­gien, die wir verstehen, oder mit denen wir uns gar iden­ti­fi­zieren. In House of Gucci stehen zwei andere Essenzen des Kinos im Zentrum, die in der Gegenwart manchmal zu schnell vergessen werden: Zeigelust und Voyeu­rismus.

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Alles beginnt in Mailand in den 1970er Jahren: Patrizia, die Tochter eines Trans­port­un­ter­neh­mers, lernt auf einer Party einen schüch­ternen jungen Mann mit exzel­lenten Manieren kennen. Der entpuppt sich schnell als Maurizio, Neffe von Aldo Gucci, dem Patri­ar­chen des bekannten Mode­hauses, und damit als millio­nen­schwerer Erbe. Der Film lässt offen, wie viel Liebe, wie viel Geris­sen­heit nun im Spiel ist – jeden­falls lässt Patrizia die einmal gefasste Beute nicht mehr los. Maurizio ist für die junge Frau die Chance, der spießigen Herkunft zu entkommen und ein Leben in Saus und Braus zu führen.

Aber schnell wird klar, dass sie mehr will. Patrizia ist intel­li­gent und ziel­ori­en­tiert, und damit genau das, was Maurizio braucht, um seine zwei­fellos vorhan­denen Anlagen zu einem erfolg­rei­chen Geschäfts­mann und Mode-Couturier zu entfalten. Das erkennt auch Aldo und bevorzugt den Neffen gegenüber seinem eigenen Sohn.
Zugleich ist sie knallhart, komplett ohne Moral und voller Gier. Toxische Weib­lich­keit in Voll­endung.

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Für dieses erste Kapitel der Gucci-Saga nimmt sich der Film am meisten Zeit. Schon hier ist alles als groteske Farce angelegt, die deutlich macht, dass es um Menschen geht, die Geris­sen­heit mit leut­se­liger Naivität, grund­sätz­liche Geschmack­lo­sig­keit mit viel Sinn für den Geschmack des Publikums vereinen – und sich immer wieder selbst über diesen Befund wundert. Besonders der von Al Pacino gespielte Aldo könnte auch einem Mafiafilm entstammen: Denn der Mann macht noch Geschäfte mit den Fälschungen seiner eigenen Modelinie und kommen­tiert dies in lächelndem Zynismus: »Gucci ist was ich sage, was es ist. Quality ist was für die Reichen. Wenn eine Hausfrau in Long-Island die Illusion braucht, sie sei eine Gucci-Kundin...«
Dieser Aldo ist der einzige, der es mit der Härte der einge­hei­ra­teten Patrizia aufnehmen kann. Den vorher­seh­baren Kampf gewinnt diese dann und bootet die komplette Familie aus. Doch genau zu diesem Zeitpunkt beginnt ihr Mann Maurizio sich allmäh­lich von seiner Frau zu eman­zi­pieren. Und damit wird aus dem süffi­santen Gesell­schafts­por­trät ein Tren­nungs­drama, dessen letzter Akt die Ermordung Guccis durch einen Auftrags­killer wird, der im Auftrag der geschie­denen Gattin handelte...

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Mit den einzelnen Fakten nimmt es der Film dabei nicht büro­kra­tisch genau – auch wenn das Drehbuch im Großen und Ganzen den Recher­chen eines vor 20 Jahren erschie­nenen Best­sel­lers folgt, der unter dem Titel »Gucci – Mode, Mord und Business« auch auf Deutsch erschien. Aber es ist gerade dieses Drehbuch, das der eindeu­tige Schwach­punkt dieses Films ist. Vieles ist zu lang, bis auf einige spritzige Dialog­zeilen zu behäbig erzählt, und mehr als einmal ertappt man sich als Zuschauer bei der Frage, was hier eigent­lich genau erzählt wird, und warum?
Nur macht diese Schwäche überhaupt nichts aus. Denn Ridley Scott (Blade Runner, Gladiator) ist ein derart hervor­ra­gender Regisseur, dass er Schwächen geschickt über­spielt, und umso mehr auf ein Kino der Schau­werte und des souverän und flott insze­nierten Spek­ta­kels setzt. Dabei helfen ihm seine durchweg gelungen einge­setzten, herrlich komischen Darsteller: Neben den drei Haupt­dar­stel­lern, unter denen Lady Gaga die exzel­len­teste, erstaun­lichste Vorstel­lung bietet, muss man zumindest Jared Leto, Salma Hayek und Jeremy Irons erwähnen.

Nicht weniger wichtig ist der Einsatz der Musik: Ein paar Opern­arien gibt es, zentral sind aber die Disco-Pop-Hits der späten 80er. Dies ist auch ein Zeit­por­trät, das mit Mode und Sinn­lich­keit der Epoche spielt. Alles ist cheesy, Glitz, Glitter, neurei­ches Protzen und Klunkern, große Schau­werte – aber dran kratzen sollte man nicht, sonst würde schnell klar, dass vieles auch nur Ober­fläche ist. Aber was spricht dagegen? Auch hierin ist House of Gucci seinem Gegen­stand ange­messen: Einem Haufen amora­li­scher Neurei­cher, die dümmer sind, als sie glauben.

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Die 80er Jahre bedeu­teten im Rückblick das Ende der Mode im klas­si­schen Sinn, den Sieg einer schlechten Gleich­heit über den guten Stil. Damals begann die Zeit, in der Megastars mit Jeans und weißem T-Shirt an die Öffent­lich­keit gingen, Pelze »out« wurden, und sogar eine Mode-Ikone wie Catherine Deneuve in Birken­stock-Sandalen auf Film­pre­mieren ging.
Darüber muss man ein andermal ausführ­li­cher und besser begründet schreiben.

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Der harte, histo­risch mate­ria­lis­ti­sche Kern dieser Darstel­lung ist der Übergang der klas­si­schen Produktiv-Wirt­schaft zum Neoli­be­ra­lismus: Qualität zählt immer weniger, plötzlich ist der Schein wert­voller als das Reale der Ware, das Simu­la­krum siegt über die Substanz.

Gucci erleidet das Schicksal hundert­tau­sender weniger berühmter Firmen: Altein­ge­ses­sene Fami­li­en­un­ter­nehmen werden zu Welt­kon­zernen oder werden von diesen gekauft, um die Marke für den globalen Handel auszu­schlachten. Die »Mode­schöpfer« werden abge­schafft, statt­dessen leiten Controller die Firmen und enga­gieren »Chef­de­si­gner«.

Die inter­es­sante, aber auch von diesem Film sträflich unter­schätzte (ebenfalls reale) Figur des Domenico de Sole (mit sardo­ni­scher Zurück­hal­tung gespielt von John Hustons Enkel Jack Huston) verkör­pert diese Entwick­lung: Ein auf seine Art genialer Manager, der die Weis­heiten der Chicago-School verin­ner­licht hat und mit diesen auf dem »weichen« Sektor von Mode und Kunst reüs­sierte. Der Mann lohnt die nähere Beschäf­ti­gung. De Sole rettete Gucci vor dem Bankrott, kaufte St. Laurent, Balen­ciaga, arbeitete für Zegna und Pirelli und leitet heute »Sotheby’s«.

Im Film hat er wenige, aber gute Sätze wie »I am a conser­va­tio­nist. Gucci is a rare animal. It needs to be protected.«
So kann man es auch sehen.

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Fast 20 Jahre lang versuchte Hollywood, diese Figuren und die mörde­risch-absurde Geschichte der Gucci-Familie zu verfilmen. Ursprüng­lich sollten Angelina Jolie und Leonardo Di Carpio die Haupt­rollen spielen. Man stelle sich das einmal vor!
Später, im Februar 2012, sollte es dann wirklich so weit sein. Ridley Scotts Tochter Jordan Scott hatte einen Regie­ver­trag und führte Gespräche mit Penélope Cruz, die als Patrizia Reggiani vorge­sehen war. Weitere knapp fünf Jahre später, im November 2016, übernahm der Hongkong-Chinese Wong Kar-wai das Projekt und nun hatte man Margot Robbie für die Haupt­rolle im Visier. Zumindest diese Version hätten wir auch gern gesehen. Was wäre das für ein schöner Film geworden – »In the Mood for Murder«

Mit Angelina Jolie und Leonardo DiCaprio wäre es auch ein komplett anderer Film geworden. Ernster, viel­leicht auch besser, aber bestimmt nicht annähernd so bissig und böse und dabei doch sehr unter­haltsam. Ridley Scott zeigt die Modewelt als Narren­schiff und bizarre Soap Opera. In der spielen wir übrigens alle mit – als Kunden und Publikum.