CDN/GB/I/ZA 2004 · 121 min. Regie: Terry George Drehbuch: Keir Pearson, Terry George Kamera: Robert Fraisse Darsteller: Don Cheadle, Sophie Okonedo, Nick Nolte, Joaquin Phoenix u.a. |
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Schindlers Liste in Afrika |
Nie wieder wegsehen! Dieses gutgemeinte Motto hat neben vielem anderen auch das Genre des Völkermordfilms geschaffen. Vor allem auf Festivals laufen in regelmäßigem Abstand Werke, die einem westlichen Publikum die Genozide der letzten Jahrhunderte in Erinnerung rufen, die schrecklichen, in ihren Details kaum vorstellbaren Taten in Spielfilmform kleiden und – mehr oder weniger – mit den Mitteln des Unterhaltungskinos nacherzählen.
Dies ist das geringere Problem, obwohl die Frage viel für sich hat, wie das denn gehen soll, und ob man eigentlich wirklich alles zum Entertainmentstoff machen muss. Aber das ist eine moralische Frage, insofern eher aus der Mode – zumal bei einem Stoff, der selbst moralisch ist, und scheinbar seine Berechtigung bereits in sich selbst trägt. Doch dies gerade ist der größte Irrtum: Kein Film wird zum guten Film, weil sein Thema wichtig und seine Botschaft sozialverträglich oder pädagogisch wertvoll ist.
Das größere Problem bei Filmen wie Hotel Rwanda ist die Frage, wie man zeigen kann, wovon man erzählen will. Müsste ein Völkermordfilm, der diesen Namen wirklich verdient, nicht notwendigerweise ein Splatterfilm sein, in dem tagelang die Menschen vor sich hingemetzelt werden? So war es in Wirklichkeit, aber das kann man keinem zumuten, außerdem will das keiner sehen und daher tendieren noch die bestgemeinten und besten Filme des Genres zur Verharmlosung
wider Willen.
Zwei mögliche Auswege gibt es aus dem Dilemma: der eine heißt kompromisslose Kunst und Abstraktion – aber auch das wäre dann nicht breitenwirksam genug, hätte also sein Ziel verfehlt. Bleibt die Möglichkeit, von der Ausnahme zu erzählen, vom Überleben inmitten des Sterbens, aber so, dass das Grauen nicht vergessen und auch in seiner Dimension nicht verniedlicht wird.
Vielleicht am allerbesten gelang dies vor gut zehn Jahren Steven Spielberg. Schindlers Liste. Und die Parallele zwischen Hotel Rwanda und der Geschichte des Oskar Schindler ist gewollt, sie liegt ganz offen auf der Hand. Auch dies ist eine Filmstory, der wahre Ereignisse zugrunde liegen, die zugleich einen hollywoodtauglichen Helden ins Zentrum rückt, einen Mann der Tat, der gegen alle Umstände, inmitten des Grauen ganz praktisch und finderisch, zugleich ungemein mutig, Gutes tut.
Paul Rusesabagina ist Manager eines belgischen Vier-Sterne-Hotels in Kigali. Als im April 1994 während weniger Wochen die Volksgruppe der Hutu etwa eine Million Tutsi abschlachtet, und die UNO-Truppen mangels Einigkeit der Welt und Sicherheitsrats-Mandat hilflos zuschauen müssen, stellt er, selber ein Hutu, verheiratet mit einer Tutsi, das Hotel als Zufluchtsort zur Verfügung, und rettet auf diese Weise 1268 Menschen vor dem Massaker.
Der Film von Terry George – einem Profi
für solche Themen, der auch schon Filme über Vietnam und Nordirland gedreht hat – zeigt, wie das überhaupt praktisch möglich war. Es ist eine spannende Geschichte, wie da ein paar Flaschen Whiskey und ein par Kisten Bier gegen Menschenleben getauscht werden, ein emotionaler Thriller, ein Auf und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung mit den dazugehörigen Melodrama-Elementen und gewissen Wendungen, die für erfahrene Zuschauer vorhersehbar sein mögen, sie aber trotzdem unmittelbar
packen.
Es gibt Momente, da glaubt man die Dimension dessen zu ahnen, was damals in Afrika geschah, doch schnell lenkt der Film dann wieder ab. Spielberg hatte sich weitaus mehr Zeit genommen, um zu zeigen, was gezeigt werden muss, dass es um hunderttausendfachen Mord geht, und dass die Überlebensgeschichten klein sind neben dem großen Sterben. Er zeigte das Leben und Sterben im Lager, nahm sich Zeit, seinem Helden einen adäquaten Opponenten in der Figur des Lagerkommandanten gegenüberzustellen. George verwandelt den Ansatz Spielbergs und blickt oft weg, wo dieser immer hinschaute. Er zeigt letztlich nicht, was in Ruanda geschah, er streift den Völkermord, doch blendet dann schnell wieder aufs Gesicht des großartigen Don Cheadle, der seine Figur als Held aus dem Bilderbuch spielt. Ohne innere Brüche und Abgründe, ohne sich einmal unmoralisch oder nur schwach zu verhalten, fehlt ihm vielleicht auch die letzte Nähe zum Zuschauer, die ein Schindler mit seinen kleinen Sünden immer besaß.
Zu Beginn ist der Film sehr spannend. Da entfaltet er viel Atmosphäre und erinnert an die verlogenen hintersinnig-resignierten Gespräche in Filmen wie Die Stunde der Komödianten. Je mehr sich alles auf das Hotel und die Gestalt Rusesabaginas konzentriert, um so fiktiver erscheint es, um so mehr wird diese wahre Geschichte zum reinen Entertainment. Vor allem gegen Ende wird es immer ärgerlicher: Da fahren mit Menschen beladene UNO-Laster zur rettenden
Grenze, verfolgt von mörderischen Hutu-Horden – und die Tutsi kommen rettend und ballernd aus dem Busch, wie im Western die Kavallerie. Keinen einzigen Hinweis gibt es darauf, dass diese Tutsi sich schon Wochen später an den Hutu rächten und umgekehrt zu Massenmördern wurden. Die Realität passt hier nicht in die Schwarz-Weiß-Raster des Mainstreamkinos, das eine klare Gut-Böse-Teilung fordert.
In den letzten Minuten darf Rusesabagina dann auch noch die zwei vermissten Kinder
seines Bruders im Flüchtlingslager lebend finden – ein Hollywood-Happyend, das die Verstörung erstickt und den Zuschauer mit wohligem Gefühl bequem aus dem Kino entlässt. Denn genau diese Bequemlichkeit ist es, die uns alle 1994 hat wegschauen lassen.