Hundschuldig

Le procès du chien

Frankreich/CH 2024 · 82 min. · FSK: ab 12
Regie: Laetitia Dosch
Drehbuch: ,
Kamera: Alexis Kavyrchine
Darsteller: Laetitia Dosch, François Damiens, Pierre Deladonchamps, Jean-Pascal Zadi, Anne Dorval u.a.
Hundschuldig
Der Kampf für das Tierwohl hat zweifelsohne immer seine Berechtigung...
(Foto: Weltkino)

Zeiten wie diese

Das Regiedebüt der französischen Schauspielerin Laetitia Dosch über einen Hund vor Gericht ist ein eigenartiger Zwitter aus beißender Komödie und bissiger Gesellschaftskritik

»Es besteht kein Zweifel, dass beide Formeln wahr sind: der Mensch ist dem Menschen ein Gott und der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.« – Thomas Hobbes

Eigent­lich ist das Genre des Hunde­films für den Kinder­film reser­viert, seien es neu aufge­legte Film­klas­siker wie Lassie oder neue Inter­pre­ta­tionen alter Klassiker der Literatur wie Ruf der Wildnis oder dezi­dierte Kinder­filme wie Belle & Sebastian. Doch spätes­tens seit Justine Triets groß­ar­tigem Anatomie eines Falls (2023) ist klar, dass dem nicht so sein muss, dass auch ein Hund eine große Charak­ter­rolle in einem Drama einnehmen kann.

Ganz so ernst geht es in dem Regie­debüt der Schau­spie­lerin Laetitia Dosch zwar nicht zu, doch dafür ist die Rolle des hier plat­zierten Hundes gleich noch einmal promi­nenter, denn er spielt gewis­ser­maßen die Haupt­rolle: nachdem er die Mitbe­woh­nerin seines Herrchens ins Gesicht gebissen hat und es bereits zwei weitere Vorfälle dieser Art gab, wird Cosmo zum Tode verur­teilt. Auf Anordnung des Gerichts hin soll der Hund einge­schlä­fert werden. Doch sein Herrchen wehrt sich und schaltet die auf hoff­nungs­lose Fälle spezia­li­sierte Anwältin Avril Lucciani ein, die von der Regis­seurin selbst gespielt wird.

Laetitia Dosch, die nicht nur Regie führt und die mensch­liche Haupt­rolle spielt, hat gemeinsam mit Anne-Sophie Bailly auch das Drehbuch geschrieben, das wie der Film ein eigen­ar­tiger Hybrid geworden ist. Denn der dialog­starke Film entscheidet sich eigent­lich bis zum Ende nicht, was er sein will. Hund­schuldig persi­fliert unsere akti­vis­ti­sche Gegenwart, in der jeder Pups idea­lis­tisch ange­reicht und miss­braucht wird, so wie in Hund­schuldig Tier­schützer:innen, Feminist:innen, Vege­ta­rier:innen und Pazifist:innen sich des Hundes und seines Schick­sals annehmen und es instru­men­ta­li­sieren. Das sieht sich in seiner grotesken, über­zo­genen Art nicht anders, als das, was wir in den letzten Jahren und Monaten in woken Umge­bungen oder propaläs­ti­nen­si­schen univer­si­tären Gruppen, also im realen Leben gesehen haben.

Dosch arbeitet den Ernst der Lage, die Anamnese einer zutiefst irri­tierten, hyste­ri­schen und gespal­tenen Gesell­schaft, sehr genau und gnadenlos heraus, aller­dings wird diese ernste Analyse immer wieder durch nerviges Over­ac­ting, etwa des Hunde­be­sit­zers, und bizarre, immer wieder neu gesetzte Schwer­punkte der Handlung entkräftet. Auch, weil Dosch und Bailly wirklich alles in ihren mit 81 Minuten an sich angenehm kurzen Film packen wollen, entstehen trotz einer immer wieder, aber chaotisch in alle Rich­tungen ausufernden Handlung, über­ra­schende Momente der Leere und Lange­weile.

Das liegt viel­leicht auch daran, dass der Haupt­dar­steller des Films, der in Cannes für seinen enga­gierten Beitrag mit dem Palm Dog Award ausge­zeichnet wurde, am Ende dann doch nur bellen kann und auch die Mimik für mensch­liche Zuschauer an ihre Grenzen stößt und es im Grunde nur eine dann doch sehr akti­vis­ti­sche und simple Hand­lungs­ebene gibt. Den Hund zu retten. Und das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, die unserem Rechts­staat zur Verfügung stehen.

Es sind deshalb eher die durch Doschs Film ausgelösten Gedan­ken­spiele über unsere bizarre westliche Gesell­schaft, die Hund­schuldig am Ende doch sehens­wert machen. Denn so wie der Hund sich verhält, verhält sich natürlich auch die mensch­liche Gesell­schaft um ihn herum. Jeder beißt seinen nächsten, und versucht straffrei davon zu kommen, egal wie tief der Biss sitzt. Das ist gerade mit der sehr spie­le­ri­schen Auslegung des Gerichts­films dann fast schon ein wildes, ja anar­chis­ti­sches Statement gegen jede Art von Popu­lismus, zeigt aber auch wie charmant sich selbst der bissigste Täter zu wehren weiß und mit der Instru­men­ta­li­sie­rung seiner Anhänger das Unmög­liche erreichen kann. Das Leben und erst recht der Mensch, sind komplex. Aller­dings kann es auch ganz einfach sehen: Wider­stand und erst Recht ein Kampf für das Tierwohl hat zwei­fels­ohne immer seine Berech­ti­gung.