Hubert von Goisern – Brenna tuat's schon lang

Österreich/Deutschland 2015 · 94 min. · FSK: ab 0
Regie: Marcus H. Rosenmüller
Drehbuch:
Kamera: Johannes Kaltenhauser
Schnitt: Petra Hinterberger
Konzentrierte Alpinkatze

Innere und äußere Vermessung der Welt im Luftstrom der Steirischen Harmonika

Anfang der 1990er Jahre stellte Hubert von Goisern die Volks­musik auf den Kopf. Ausge­sorgt hat er mit seinem musi­ka­li­schen Feuerritt »Koa Hiatamadl«, der auf jedem Volksfest gespielt wird. Ein kantig gespieltes Akkordeon, so als türmen sich Fels­bro­cken gleich in einem chao­ti­schen Wirbel inein­ander. Kraft­volle Musik, unter der auch Bäume bersten können, als wären sie Streich­hölzer. Fein­fühlig horcht der Musiker und Schau­spieler den Berg- und Talfahrten der Klänge nach. So als schil­derten sie drastisch die Vergäng­lich­keit des Menschen und sein Ausge­lie­fert­sein an die gewaltige, über­mäch­tige Natur.

In Marcus H. Rosen­mül­lers Film sitzt Hubert von Goisern frühmor­gens, die Angel auswer­fend, im Boot auf dem Hall­s­tätter See. Das zeitlose Dach­stein­massiv leuchtet auf das noch müde Dorf. »Hearst es nit, wie die Zeit vergeht«, singen die Alpin­katzen über dem Felsgrat.

Der Zuschauer betritt die Bewusst­seins­welt des Musikers, der seine Gedanken sofort wieder einfängt, sobald sie an den Rändern ausfransen könnten. Während der Bootstour wird ein gefan­gener Fisch an den Planken erschlagen – unscheinbar und ohne drama­ti­sche Akzente. Von Goisern braucht keine Krach­le­derne, seine Musik balan­ciert zwischen ener­gie­ge­laden, melan­cho­lisch und poli­ti­schem Furor, zwischen Klängen, die einen – ohne rabiat zu sein – tempe­ra­ment­voll umschlingen, unter­s­tützt von einer veri­ta­blen Band, die ihre rhyth­mi­sche Energie voran­treibt, unter­füt­tert mit fulmi­nantem Jodeln. Hier sieht man einem Menschen­fi­scher bei der Arbeit zu. Der Film trans­por­tiert im begren­zten Tal die Idee der Gleichz­ei­tig­keit von Natur­ein­druck und innerer Vision. Die Stimmung unter­s­tützt Arbeit und Vergan­gen­heit des Künstlers, da braucht es keine Effekte, um zu zeigen, dass einer aus dem Tal den Gipfel der Freiheit erklommen hat.

In Bad Goisern wuchs auch Jörg Haider auf. Goiserns Eltern flüch­teten aus dem Sude­ten­land und wurden von Haiders Großvater, einem Nazi, beim Verbleib im beschau­li­chen Kurort unter­s­tützt. Der eine schwenkte die Waffen der Agitation, der andere wurde zu einem musi­ka­lisch-poli­ti­schen Kosmo­po­liten.

Aus der Blas­ka­pelle wurde er wegen seiner »weibi­schen« langen Haare raus­ge­worfen und musste die Trompete zurück­geben, wie er nach­denk­lich bemerkt. Dazwi­schen gab es harmo­ni­sche Begeg­nungen mit seinem sanft­mü­tigen Musik­lehrer, der ihn augen­zwin­kernd nicht maßre­gelte, wenn er zum Üben zu faul war. Im Rausch probierte er das Akkordeon aus und erlebte seine Offen­ba­rung an Tonmo­du­la­tionen, in denen sich das Poetisch-Sinnliche über das laute Getöse erhebt. Aus dem Akkor­de­on­spiel wird bei von Goisern eine zerbrech­liche Seelen­schau.

Authen­ti­sches Archiv­ma­te­rial zeigt Aufz­eich­nungen aus einer frühen Kieler Fern­seh­show: von Goisern mit schmal­zigem Blick und in folk­lo­ris­ti­schem Kostüm. Seinen Auftritt als Reinhard Fendrichs Vorband beendete er »vor lynch­be­reitem Publikum«, wie er schmun­zelnd ergänzt. In den 1990ern sind die Alpin­katzen in Austin/Texas auf dem bekannten »South by Southwest Festival«. Das Publikum ist von den Berser­kern hinge­rissen. Ein begeis­terter Fan tituliert den Musikstil als »Austrian Grunge«. Flirrende Energie verbindet Multi­in­stru­men­ta­listik und die Staaten mit der Alpen­tra­di­tion.

Der treue Wegge­fährte, Hage Hein, Produzent »alpiner Weltmusik«, erzählt verschmitzt aus dem reichen Anek­do­ten­re­per­toire. Er überz­eugte von Goisern, mit Band anstatt als Duo aufzu­treten, was ja auch schon erfolg­rei­cher war.

Hubert von Goiserns Besuch bei der Schim­pan­sen­for­scherin Jane Goodall könnte leicht ins Esote­ri­sche abdriften. Ihn hatte die Aura der Schim­pan­sen­for­scherin sowie später der Dalai Lama einge­nommen. Seine Reisen führten ihn nach Tibet, Südafrika, Burkina Faso, und mit dem nubischen Superstar Mohamed Mounir spielte er vor 15.000 Zuhörern in Assiut/Ägypten. Er bemühte sich stets, auf Länder­touren zusammen mit einhei­mi­schen Musikern aufzu­treten.

Mit einem zum Konz­ert­schiff umge­bauten Trans­porter ging es vor einigen Jahren auf eine gren­züber­schrei­tende musi­ka­li­sche Fluss­fahrt von der Donau zum Schwarzen Meer. Dort konzer­tierte er mit Wolfgang Niedecken, Claudia Koreck und Xavier Naidoo. Als von Goisern einige Tage ausfällt, studiert Naidoo nachts dessen Texte für den Auftritt ein und vergisst in dieser Zeit seinen selbst­ver­liebten missio­na­ri­schen Eifer. In der Schluss­szene sitzen Hubert von Goisern und Konstantin Wecker am Klavier. Zwei haben sich gefunden. Die Melodien vom Rühr­se­ligen verschlanken, zwischen den beiden Musikern herrscht eine weise Einigkeit, die nichts mit der Trachten- und Heimat­boom-Gefühl­säs­t­hetik zu tun hat. Mit diesen beiden hat Rosen­müller zwei reflek­tie­rende Menschen als Schluss­ak­kord gewählt, die schon mehrere Schwin­del­zus­tände im Leben meis­terten. Wie am roten Faden gezogen sitzt Hubert von Goisern in der letzten Einstel­lung auf dem Boot. Man bekommt eine Ahnung, dass er mit dem Akkordeon und seiner Musik die Welt und ihre Bewohner umarmen will. In Anbe­tracht der aktuellen Flam­men­herde in der Welt und der resul­tie­renden Gleich­gül­tig­keit, ist es ein überz­eu­gender Beitrag, wenigs­tens musi­ka­lisch aufein­ander zuzugehen.

Mit Brenna tuat’s guat fanden Rosen­müller und sein bewährter Kame­ra­mann, Johannes Kalten­hauser, eine Symbiose der Sprach-, Musik- und Bildkunst. Es hätte eine nost­al­gi­sche Zeitreise werden können, bei der Musiker klagen: »Ach, ach, die Arthrose schmerzt beim Schif­fer­kla­vier­ziehen« oder bei der den Fans nur ausge­lei­erte Erin­ne­rungs­schnipsel vorge­setzt werden. Ruhig, wie der Hall­s­tätter See, wird von einem Leben erzählt, das sich der Musik verspro­chen hat. Ohne Kitsch und Senti­men­ta­lität.