USA 2023 · 94 min. · FSK: ab 16 Regie: Robert Rodriguez Drehbuch: Robert Rodriguez, Max Borenstein Kamera: Pablo Berron, Robert Rodriguez Darsteller: Ben Affleck, Alice Braga, JD Pardo, Dayo Okeniyi, Jeff Fahey u.a. |
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Realitätsverwirbelungen | ||
(Foto: Telepool) |
Eine Psychotherapie: Ein Mann, seine Tochter, ein Fremder. Es geht um einen Park, eine kurze Ablenkung... Am Ende fragt der Mann unvermittelt: »Denken Sie, ich bin bereit für den Dienst?« – »Was glauben Sie?« – »Das hält mich wenigstens bei Verstand.«
An seinem Verstand kann man allerdings zweifeln. Der Mann, der der Held dieses Films werden wird, Danny Rourke, wird gespielt von Ben Affleck und ist Polizist. In einer Psychoanalyse, die vermutlich von der Behörde vorgeschrieben wurde, verarbeitet der Detektiv das Trauma, das er nach dem Verschwinden seiner kleinen Tochter erlitten hat, während er mit ihr im Park war.
Als er immer noch bedrückt und mit zerrunzelter Stirn am Schreibtisch brütet, reißt ihn die Arbeit plötzlich in
die andere Realität zurück: Ein Banküberfall droht. Mit perfekter Überwachungstechnik beobachtet Danny einen mysteriösen Täter, der jedes Hindernis, vor allem das Eingreifen der Polizei, spielend überwindet, weil es sich bei ihm offenbar um einen genialen Hypnotiseur handelt. Auch Danny prallt ab an seiner merkwürdig unfassbaren Macht, die eine undurchdringliche Wand zwischen dem Hypnotiseur und der übrigen Welt errichtet. Immer tiefer wird Danny hineingezogen in ein
Zwischenreich aus Fantasie und Manipulation, Sein und Schein.
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Funken im Gehirn, Chaostheorie auf der Leinwand – »Mindfuck« nennt man solche Filme in Hollywood. Hirnfick, eher Gedankentaumel vielleicht.
Man kann allen, die in diesen Film gehen, in jedem Fall versprechen, dass sie bis zum Ende nicht wirklich wissen werden, was hier vorgeht, was hier Sache ist, wo sich oben und unten befinden, wer die Guten und wer die Bösen sind, und welche Figuren überhaupt real sind und welche nicht.
Versprechen kann man auch, dass die Originalfassung besser ist als die Synchro. Wenn wir Sätze hören, wie »der Kerl da auf der Bank, der führt was im Schilde«, dann fragen wir uns, ob eigentlich heute noch irgendeiner so redet, außer Sprecher von deutschen Film-Synchronisationen?
Der zweite, sehr ernst gemeinte Hinweis lautet also: Unbedingt die Synchronisation vermeiden und den Film im Original ansehen!
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In Hypnotic geht es nicht nur um einen Hypnotiseur und um die Hypnose als Mittel des Polizeieinsatzes einerseits und der Therapie andererseits. Es geht auch um eine Hypnose des Zuschauers. Wie bringt man den Zuschauer dahin, ganz offensichtliche Dinge zu ignorieren und sich bestimmte Fragen nicht zu stellen – das möchte eigentlich jeder Filmemacher wissen, denn es ist die Urfrage des Kinos.
So gesehen schauen wir hier zwei Regisseuren bei der
Arbeit zu, die ähnlich wie in Nolans The Prestige mit Zauberkünsten um die Gunst des Publikums kämpfen.
Auf der anderen Seite ist dies auch ein Film, der einfach bestimmte uralte Motive aufnimmt, die genau genommen schon seit den 30er, spätestens seit den 40er Jahren im Gangster- und Polizeifilm und im Psycho-Horror-Thriller eine Rolle spielen. In Hitchcocks Vertigo war es 1958 schließlich auch schon so, dass man dem, was man sah, nicht trauen konnte.
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Danny trifft auf die beunruhigend begabte »Hellseherin aus einem Billigladen« Diana Cruz. Die Brasilianerin Alice Braga verbindet in diesem Auftritt Intelligenz und Verführungskraft und weiht Danny (und uns Zuschauer) ein in die Geheimnisse der Hypnose. Sie hält zwischendurch immer wieder mal Kurzreferate zum Verständnis der Handlung: »Haben Sie schon mal was von dem Konzept der Hypnotics gehört? Hypnotics haben die Fähigkeit, das Gehirn zu beeinflussen...« – soso.
Es ist nicht schwer zu erraten, dass Danny sich als gelehriger Schüler erweisen wird. Sein Gegenspieler allerdings ist auch ein überaus mächtiger Hypnotiseur, der in der Lage ist, mit nur einem Blick oder einer Berührung die Kontrolle über den Geist anderer Menschen zu übernehmen und den Raum um sie herum zu verwandeln – ein typischer »allmächtiger« Filmschurke, mit eisigen Augen und unbeirrbarem Handeln (gespielt von William Fichtner aus Teenage Mutant Ninja Turtles).
So treibt das übliche Katz-und-Maus-Spiel eines 08/15-Thrillers hier besonders seltsame Blüten, zumal nie wirklich klar ist, wer hier eigentlich Katze ist, wer Maus.
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Eine der wichtigsten Fragen, die man sich als Zuschauer stellt, ist natürlich: Kann das denn alles wahr sein? Gibt es wirklich Hypnosen und Hypnotiseure, die es schaffen, den Verstand und die Sinneswahrnehmung des Normalmenschen auszuschalten und seine Realitätswahrnehmung so zu stören, dass er quasi wie ferngesteuert Dinge ausführt, die andere ihm vorgeben?
Dieses Thema der universalen Manipulation ist natürlich das wichtigste und vor allem das Zeitgemäße an diesem
Stoff – wir alle kennen jene politischen Puppenspieler, die es schaffen, nichtexistierende Fakten und kontrafaktische Erzählung in den politischen Diskurs zu bringen.
Genaugenommen ist dieser Film damit eine Metapher für politische Zustände nicht nur in den USA, für das, was wir mit dem Ausdruck »Populismus« in höchstem Maß verniedlichen, das aber weniger mit Extremismus zu tun hat als mit Manipulation, mit Willenlosigkeit.
Gerade hier in Deutschland kennt man auch jene Geschichten von der vermeintlichen charismatischen Wirkung Hitlers. Der einen angeblich nur einmal mit seinen schönen blauen Augen anzusehen brauchte, und schon war es um den Verstand sonst sehr verständiger Menschen geschehen. Angeblich. So heißt es. Allzu oft nämlich ist Hypnose und Manipulation auch einfach nur eine Ausrede dafür, etwas nicht genau wissen zu wollen, nicht nachzufragen, dem äußeren Schein zu gehorchen.
Das zeigt dieser Film allerdings nicht. Denn das würde ja bedeuten, dass die Zuschauer selber schuld sind, wenn sie aus ihrer eigenen kleinen Wirklichkeit nicht rauskommen in die große weite Welt
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Stattdessen zieht er uns in Zitatgewitter, in denen Regisseur Robert Rodriguez auf seine Lieblingsfilme anspielt. Der regelmäßige Kinogänger erkennt spielend leicht Christopher Nolans Tenet und Inception, Terminator 1, 2, 3, Public Enemy, The Matrix, The Game und so manches mehr. Allerdings ist der Unterschied zwischen Inception und Hypnotic genau der zwischen einem außergewöhnlichen und einem durchschnittlichen Film.
Ob man ihn nun mag oder nicht (ich mag ihn), es lässt sich nicht leugnen, dass Robert Rodriguez schon immer seinen eigenen Stil hatte und bei den Geschichten, die er auf der Leinwand erzählte, oft ein hohes Maß an Originalität zeigte. Bis jetzt! So sehr die Handschrift des Regisseurs – Drehbuchautor, Produzent, Cutter, Bühnenbildner, Komponist, was auch immer – hier und da durchscheint, so sehr scheint sich die lange Entstehungsgeschichte eines Stoffes, an dem der Regisseur 20 Jahre gearbeitet hat, negativ auszuwirken.
Das was Rodriguez gegenüber Kollegen auszeichnet, ist seine Laissez-faire-Attitude und eine gewisse Schlampigkeit. Die Schlampigkeit beschreibt am treffendsten die Qualität des gesamten Films: Je länger er voranschreitet, desto mehr wirkt er wie eineinhalb Stunden Fingerübung mit Effekten. Manchmal wirken die immer neuen Drehungen und Wendungen der Handlung unbeholfen, öfters aber einfach albern, bis das Finale eine absurde Komik erreicht, die vom Autor hoffentlich vorgesehen wurde.
Das Ergebnis ist ein ziemlich kompakter, schneller Film, den man ohne allzu große Anstrengung bis zum Ende durchstehen kann, leidlich unterhaltsam, nur etwas verschwurbelt und sehr konstruiert.
Ein »Hitchcock-Thriller auf Steroid«, wie es der Regisseur selbst genannt hat, allerdings nicht. Denn im Unterschied zum Ironiker Hitchcock, lässt Rodriguez in seinem Film die Liebe und starke moralische Prinzipien die Hauptfigur retten und alle Komplexität im lauwarmen Einerlei
auflösen.