USA/China 2018 · 110 min. · FSK: ab 0 Regie: Abby Kohn, Marc Silverstein Drehbuch: Abby Kohn, Marc Silverstein Kamera: Florian Ballhaus Darsteller: Amy Schumer, Michelle Williams, Rory Scovel, Emily Ratajkowski, Busy Philipps u.a. |
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Gnadenlose Dekonstruktion eigener und öffentlicher Körperlichkeit |
Don’t hold on
Go get strong
Well don’t you know
There is no modern romance
Yeah Yeah Yeahs, Modern Romance
Selten gibt es das Glück, wissenschaftliche Studien überzeugend verfilmt zu sehen. Im Grunde natürlich überhaupt nicht. Aber sieht man sich Abby Kohns und Marc Silversteins I Feel Pretty an, wünscht man sich, dass zumindest der Versuch öfters unternommen werden sollte. Denn I Feel Pretty nimmt sich – zumindest unbewusst – eines vielbeforschten Bereiches der Genderforschung an, des mangelnden Selbstbewusstseins der Frauen, das sich u.a. durch eine auffällig hohe Entschuldigungsfrequenz ausdrückt. 75 Prozent aller Entschuldigungen stammen von Frauen, stellte Janet Holmes in ihrem Paper »Sex Differences in Apologies: One Aspect of Communicative Competence« fest und Karina Schumann sieht sich in ihrer Doktorarbeit »When and Why Women Apologize More than Men« vor allem mit der Realität konfrontiert, dass Frauen sich schneller als Männer und gerne im Voraus entschuldigen, Männer hingegen erst an eine Entschuldigung denken, wenn ihnen tatsächlich ein Fehler unterlaufen ist, eine Verhaltensweise, die das Selbstbewusstsein bei Frauen nachweislich noch stärker unterminiert.
Wie diese Rückkopplungen den eigenen Alltag zur Hölle machen, zeigen Kohn und Silverstein über ihre Hauptprotagonistin Renee (Amy Schumer). Amy versucht sich über ihren Job als Website-Admin eines Kosmetikunternehmens finanziell und moralisch über Wasser zu halten. Doch durch ihre tägliche Beschäftigung mit den Rollenklischees der Kosmetik- und Haute Couture-Industrie gerät ihr Selbstbewusstsein immer wieder ins Erodieren. Sie hat das Gefühl, keinen Ansprüchen zu genügen, am wenigsten ihren eigenen. Doch alle ihre Versuche, sich über Filmmythen wie die »Wunschszene« in Penny Marschalls BIG oder Fitness-Torturen ein »neues« Leben zu erschaffen, misslingen. Eine Wendung erhält ihr Leben erst, als sie in einem weiteren verzweifelten Versuch, ihr SoulCycle zu meistern, stürzt und so stark auf den Kopf fällt, dass sie ohnmächtig wird. Aus dieser Ohnmacht erwachend ist Amy plötzlich ein neuer Mensch. Äußerlich unverändert, glaubt sie, in ein neues, schöneres Äußeres transformiert worden zu sein und verhält sich dementsprechend. Statt sich zu entschuldigen, fordert sie ein und begegnet so der legendären Junior-Chefin des Kosmetikunternehmens, für das sie bis dahin im Hintergrund gearbeitet hat. Zwar ist Amy überrascht, dass ihre Chefin Avery LeClaire (Michelle Williams) Defizite hat, von denen sie nie zu träumen gewagt hätte, geht aber ohne großes Irrlichtern weiter ihren Weg in die Öffentlichkeit, die zuerst nur verblüfft, dann jedoch zunehmend bereit ist, sich auf die Paradigmen einer neu formulierten Körperlichkeit einzulassen.
Vor allem Amy Schumers und Michelle Williams' gnadenlosen Dekonstruktionen ihrer eigenen und ihrer öffentlichen Körperlichkeit und der damit einhergehenden Hinterfragung selbstverständlichster Beziehungsdynamiken ist es zu verdanken, dass dieses »Hauruck-Gedankenspiel« einer Transformation gelingt, ohne dabei in pathetischen Kitsch oder eine zotige Klamotte abzugleiten. Dafür berufen sich Kohn und Silverstein allerdings auf besten Stand-up-Comedian-Slapstick und immer wieder auch derbe amerikanische Komödienkultur, die in Deutschland nicht sonderlich viele Anhänger hat und auch in den USA immer wieder polarisiert.
Ähnlich wie in Judd Apatows Dating Queen macht jedoch auch in I Feel Pretty Amy Schumer den großen Unterschied aus. Ihr radikales Spiel gegen Konventionen ist gleichzeitig die Forderung nach einem etwas anderen feministischen Diskurs, der einmal nicht mit dem moralischen Zeigefinger droht, der vielleicht Geschmacksgrenzen überschreitet, der aber über ein geschlechterübergreifendes Lachen alle Beteiligten modernen Beziehungslebens mit an Bord holt.
Dabei wird allerdings deutlich, dass wir uns neben unseren Geschlechteridentitäten auch von unseren klassischen »Beziehungsidentitäten« verabschieden müssen. Ähnlich wie Judd Apatow das nachdrücklich in der dritten und abschließenden Staffel seiner filmischen Serien-Meditation über Liebe und Freundschaft, LOVE, betonte, so ist auch in I Feel Pretty schnell klar, dass klassische Beziehungsromantik nicht nur selten nachhaltig war, sondern traditionelle Beziehungshierarchien erst ermöglicht hat.