Großbritannien 2016 · 116 min. Regie: Lone Scherfig Drehbuchvorlage: Lissa Evans Drehbuch: Gaby Chiappe Kamera: Sebastian Blenkov Darsteller: Gemma Arterton, Sam Claflin, Bill Nighy, Jake Lacey u.a. |
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Gelingt überhaupt der überzeugende Propagandafilm? |
Zweiter Weltkrieg, 1940. Luftschlacht um England. Deutsche Bomber legen ganze Städte in Schutt und Asche, um die Kampfmoral der Bevölkerung zu brechen. Londons U-Bahn-Stationen dienen als Bunker, Waffenfabriken und Versammlungsort für das Kabinett.
Das klingt nach einem anklagenden Drama über den barbarischen Krieg gegen Zivilisten, das einem bleischwer aufs Gemüt schlägt. Diese Szenen gibt es. Weit darüber hinaus ist Ihre beste Stunde ein ermutigender Film über das Zusammenspiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Trauer und Humor, Männern und Frauen. Und natürlich über die Verteidigung Englands.
Ausgerechnet in diesem finsteren Kapitel europäischer Geschichte bekommt eine junge Frau, Catrin Cole (Gemma Arterton), eine einzigartige Chance: Sie soll einen scheinbar kinderleichten, kuriosen Job erledigen. Damit Millionen Engländer ihre Heimat besser verteidigen. Aber der Reihe nach...
Damit die Engländer nicht verzweifeln, sondern kämpfen, brauchen sie mehr als Essen, Trinken, ärztliche Versorgung und Waffen. Sie benötigen Trost, Ablenkung und frischen Mut. Alles das, wünscht sich die Regierung, soll ein patriotischer Kinofilm liefern. Die meisten Männer sind bei der Armee. Die Mehrheit des Publikums besteht aus Frauen. Was die am liebsten auf der Leinwand sehen, darin sind sich Politiker und Filmprofis einig: Helden, Drama und eine Liebesgeschichte mit Happyend.
Solche Maßanfertigungen hat Tom Buckley (Sam Claflin), ein erfahrener Drehbuchautor, bisher gut hinbekommen. Obwohl er Kitsch und Schmalz ablehnt. Seichte Unterhaltung ist eine Zumutung für seine Intelligenz. Doch angesichts des verlustreichen Krieges werden nicht nur Verteidigungsmaßnahmen doppelt verstärkt. Auch ein Film zur Hebung der Kampfmoral muss ein Volltreffer werden. Irgendeine Frau soll dem Autor helfen, ein Drehbuch zu schreiben, das allen Frauen Tränen in die Augen treibt und ihre Herzen höher schlagen lässt.
Diese Frau ist Catrin und der Job kommt wie gerufen. Ihr Mann, ein Kriegsmaler, verkauft zu wenige Bilder. Endlich kann sie etwas dazu verdienen. Einfach, in dem sie für einen hohen Kitsch- und Schmalz-Faktor sorgt. Oh nein, nicht nur dafür. Catrin entpuppt sich als Naturtalent. Nach wenigen Unterweisungen schreibt sie schlagfertige Dialoge und spannende Szenen. Zudem recherchiert sie eine ergreifende Rettungsaktion aus der Schlacht um Dünkirchen. Ideal, um die Kampfmoral zu heben. Perfekt für den Film im Film. Die zwei Helden sind auch noch Schwestern, also Heldinnen!
Doch als sie die beiden kennen lernt, stellt sich raus: Damit sie als Vorbilder taugen, muss die Geschichte kräftig umgestrickt werden. Das Schreiben des Drehbuchs erfordert knifflige Entscheidungen. Wie weit darf man die Wahrheit verändern, solange die Veränderung einem guten Zweck dient? Darf man dem Publikum eine hoffnungsvolle Fiktion als Wirklichkeit verkaufen, weil sie ermutigender wäre als manch traurige Realität?
Auch die Zusammenarbeit mit Tom gestaltet sich schwierig. Ist der Kollege ein zynischer Macho oder versteckt sich unter der harten Schale ein liebevoller Mensch? Bei der Verfilmung türmen sich weitere Hindernisse auf. Schafft die Filmcrew es überhaupt, einen überzeugenden Propagandafilm zu drehen, während Bombenangriffe ständig neue Opfer fordern?
Diese Erzählstränge sind elegant verwoben. Fragen werden klug beantwortet. Und wie so oft werfen kluge Antworten neue Fragen auf. Welchem Mann soll Catrin vertrauen, wenn alle Männer scheinbar selbstverliebte Hähne sind oder zynische Machos? Wie soll das Drehbuchautoren-Duo damit umgehen, dass die britische Regierung einen US-Soldaten als Helden fordert, um die USA zum Kriegseintritt zu bewegen?
Catrins und Toms kreative Lösungen für den Film im Film kommentieren augenzwinkernd die Rahmenhandlung. In der sind die beiden selbst fiktionale Charaktere auf dem dramaturgischen Spielbrett zweier Autorinnen.
Die Romanvorlage stammt von Lissa Evans. Die Drehbuchautorin Gaby Chiappe hat sie adaptiert. Das kongeniale Zusammenspiel zwischen Rahmenhandlung und Film im Film macht Ihre beste Stunde zu einem Parforceritt zwischen zutiefst traurigen und urkomischen Szenen, mit aberwitzigen Twists. Wie in besten Screwball Komödien fechten und flirten Frauen und Männer mit schlagfertigen Pointen, Leidenschaft und mit Esprit.
Außerdem hadert der Produzent mit dem Regisseur. Der Regisseur mit dem Team. Das Team mit dem Wetter. Ein Schauspieler ringt mit seinem Text. Alle zusammen kämpfen gegen Nazi-Deutschland. Jeder wird zur Zielscheibe. Mal für feine Ironie, mal für bissigen Spott, mal für Bomben. Die deutsche Luftwaffe gibt auch nicht auf.
Die Regisseurin, Lore Scherfig, hat mit Italienisch für Anfänger, Wilbur Wants to Kill Himself u. a. schon ein Faible für originelle Charaktere gezeigt und für unkonventionelle Geschichten. In diesem Film gelingt ihr ein besonderes Kunststück: Eine rasante, rabenschwarze, romantische Liebeskomödie.
Liebhaber von Popcornkino fragen sich jetzt skeptisch, gehört zu einer romantischen Komödie nicht eine Frau, die sich zwischen zwei Männern entscheiden muss? Ein Seitensprung mit lustvollem Seufzen und rhythmisch, quietschenden Bettfedern? Ein knuffiger Hund? Schwelgerische Landschaftsaufnahmen? Alles da!