Frankreich/Deutschland 2012 · 115 min. · FSK: ab 0 Regie: Alain Resnais Drehbuch: Alex Reval, Laurent Herbiet Kamera: Eric Gautier Darsteller: Sabine Azéma, Anne Consigny, Pierre Arditi, Lambert Wilson, Michel Vuillermoz u.a. |
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Das Lieblings-Schauspielerpaar von Resnais: Azéma und Arditi |
Der Vorhang geht auf, legt die Leinwand frei, der Film fängt an. Fängt er an? Vous n'avez encore rien vu versammelt, wie als Echo von Godards gesprochenen Filmvorspann in Le mépris, verbal erst einmal via Telefon (und Kamera) alle Akteure des Films. »Hallo? Spreche ich mit Mathieu Amalric / Pierre Arditi / Sabine Azéma / Anny Duperey / Anne Consigny / Michel Piccoli / Lambert Wilson…?« – »Ja, am Apparat.« Sie werden einberufen als sie selbst, als Schauspieler, die als Akteure in Eurydice des (fiktiven, aber an Anouilh/Resnais angelehnten) Antoine d’Anthac mitgewirkt haben. Hier sind wir bereits angekommen in der Binnenfiktion, die durch den extradiegetischen Umschwung, es mit den Schauspielern von Alain Resnais zu tun zu haben, in eine eigenartige Spannung gerät.
D’Anthac – ohne das vertiefen zu wollen – hat sich bei einem Reinigungsmanöver mit seinem Jagdgewehr ins Jenseits befördert, dies ein lange geplanter Selbstmord. Jetzt sehen sich die von ihm posthum einberufenen Schauspieler eine Inszenierung seines Evergreens »Eurydice« an, die er mit Jungdarstellern gemacht hat. Bald beginnen die Schauspieler der alten Garde, die Texte mitzusprechen, die Handlung vor der Leinwand zu beleben. Eurydike und Orpheus sind dabei doppelt als Paar vertreten: durch Azéma/Arditi und Consigny/Wilson. Hier beginnt das Spiel mit Wiederholung und Variation, das Spiel der Möglichkeiten und der verschiedenen Tonfälle. Azéma/Arditi verkörpern eine spielerische Leichtigkeit in der Tragik, Consigny/Wilson geben ihm Verruchtheit und Direktheit.
Resnais lenkt hier das Augenmerk auf das Schauspiel an sich: Wie würde sich das Stück anfühlen bei anderer Interpretation, bei anderer Tonalität? Wie ist es, wenn Orpheus und Eurydike immer wieder dem Orkus der Illusion entrissen werden, wenn Szenen sich wiederholen und in anderen Schattierungen andere Sichtweisen auf die Handlung freilegen?
»Vous n'avez encore rien vu«: Ihr habt noch nichts gesehen, in dem Moment, wo ihr meint, etwas gesehen zu haben, gibt es immer noch
die andere Möglichkeit. Resnais' »Alterswerk« ist ein anstrengendes Unterfangen und doch Quintessenz dessen, was Resnais beim Kino immer auch fasziniert hat: Eine Möglichkeit, Variationen im Schnitt zusammenzudenken, während das Gefilmte die pure Präsenz der theaterhaften Performance und damit des einen, einzigen Augenblicks zeigt. Streckenweise anstrengend, aber erhellend. Und die Frage aufwerfend: Was gibt das Theater dem Kino, das Kino dem Theater? – Über allem
schwebt die Frage nach der Wiederkehr und dem unwiederbringlichen Verlust, nach dem Moment im Fluss der Zeit, wenn sie vorüberschweift wie im Film.