Der Illusionist

Deutschland 2022 · 95 min. · FSK: ab 0
Regie: Birgit Schulz, Marita Loosen-Fox
Drehbuch:
Kamera: Marie Zahir
Schnitt: Nina Ergang
Filmszene »Der Illusionist«
Nach dem bürgerlichen Tod Wiederauferstehung im Atelier
(Foto: Real Fiction)

Ein Stehaufmännchen des Kunstbetriebs

Die Dokumentaristin Birgit Schulz beleuchtet in ihrer Filmbiographie Aufstieg und Fall eines Kunst-Showmasters, der sich als unbeirrbares Stehaufmännchen entpuppt

Im Juni 2014 erschüt­terten spek­ta­ku­läre Schlag­zeilen den Kunst­be­trieb in Deutsch­land. »Früher High-Society, jetzt Gitter, bitter!« schrieb das Boule­vard­blatt »Express«. Der promi­nente Kunst­be­rater Helge Achenbach war auf der Rückreise aus Brasilien auf dem Düssel­dorfer Flughafen verhaftet worden. Die Erben des verstor­benen Aldi-Chefs Berthold Albrecht hatten ihn im Zusam­men­hang mit dem Verkauf von Kunst­werken wegen Betrugs in Millio­nen­höhe durch »verdeckte Preis­auf­schläge« angezeigt. Achenbach kam in Unter­su­chungs­haft in der Justiz­voll­zugs­an­stalt Essen. Im März 2015 wurde er vom Land­ge­richt Düssel­dorf wegen Betrugs, Urkun­den­fäl­schung und Untreue zu einer Haft­strafe von sechs Jahren verur­teilt. Zudem wurde der heute 75-Jährige dazu verdon­nert, 16 Millionen Euro Scha­den­er­satz zu zahlen.

Der steile Absturz nach einem rapiden Aufstieg des Tausend­sassas des aufge­blähten Kunst­markts bot sich als Thema für eine filmische Analyse geradezu an. Die versierte Kölner Autorin, Regis­seurin und Produ­zentin Birgit Schulz, die sich mit zahl­rei­chen doku­men­ta­ri­schen Arbeiten für Kino und TV wie zum Beispiel Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte (2009) einen Namen gemacht hat, ergriff die Gele­gen­heit und porträ­tiert Achenbach in einem detail­freu­digen Biopic.

In einem konven­tio­nellen, durchaus abwechs­lungs­rei­chen Mix aus Inter­view­pas­sagen mit dem Prot­ago­nisten, State­ments von dessen Ex-Ehefrau Dorothee und anderen Zeit­zeugen, Schwarz­weiß­fotos und Archiv­auf­nahmen aus Achen­bachs Jugend und Studen­ten­zeit in Düssel­dorf, Fern­seh­se­quenzen von seinen Auftritten auf Kunst­messen und in der High Society lässt Schulz ein Leben in Saus und Braus und eine erstaun­liche Karriere Revue passieren, wobei sie in der Zeitachse bisweilen munter hin- und herspringt.

Die Autorin reka­pi­tu­liert nicht nur wichtige Stationen des Aufstiegs von Achenbach, der 1962 mit einer eigenen kleinen Galerie in Köln in die Kunst­ver­mark­tung einstieg, sondern unter­sucht auch die Struk­turen, die die exor­bi­tante Expansion des inter­na­tio­nalen Kunst­markts ermö­g­lichten, in dem inter­es­sierte Akteure die Preise der Spit­zen­kunst in schwin­del­erre­gende Höhen trieben. Achenbach war ein wichtiger Kata­ly­sator in diesem profi­ta­blen Getriebe.

Mit seinem ausge­prägten geschäft­li­chen Spürsinn entdeckte Achenbach im Kunst­ge­schäft früh eine lukrative Markt­lücke. Er reiste in Deutsch­land herum, suchte nach Groß­bau­stellen und bot Bauherren wie Versi­che­rungen und Banken an, Kunst­kon­zepte zu erstellen und die passenden Werke promi­nenter Kunst­schaf­fender von Gerhard Richter bis Tony Cragg zu beschaffen. 1977 gründete er dazu die erste Art-Consul­ting-Firma Deutsch­lands. Bediente Achenbach lange vor allem finanz­kräf­tige Unter­nehmen, so wandte er sich ab der Jahr­tau­send­wende verstärkt an kapi­tal­starke Sammler, vermö­gende Familien und Super­reiche.

2013, also ein Jahr vor seiner Festnahme, brüstete sich der Kunst­be­rater und Luxus­gas­tronom damit, dass er in seinem Lager über mehr als 2500 Werke namhafter Künstler im Wert eines acht­stel­ligen Millio­nen­be­trages verfügte. In welche Hybris er sich zuletzt manö­vriert hat, entlarvt ein Statement Achen­bachs gegenüber Kunden, das seine damalige Gattin wieder­gibt: »I am not dealing with million­aires, I am only dealing with the billion­aires.« Sie habe damals gedacht: »Um Gottes Willen, wo soll das hinführen? Keine 48 Stunden später war er leider im Gefängnis.«

Schulz lässt in ihrem Film immerhin einige kritische Stimmen zu Wort kommen. So sagt der Künstler und Baumeister Heinz Baumüller einmal mit Blick auf Achen­bachs Geschäft­s­tüch­tig­keit: »Er wollte einfach überall die Finger drin haben.« Und Rudolf Zwirner, ein Kölner Gale­ris­ten­ur­ge­stein, meint lakonisch: »Er hat überhaupt keine Ahnung, aber er weiß, wo Geld ist und was teuer sein wird.« Dennoch wird man ange­sichts der breiten Bühne, die Achenbach hier zu Selbst­dar­stel­lung und Recht­fer­ti­gung erhält, den Eindruck nicht los, dass es dem Film an kriti­scher Distanz fehlt. Zumal der Frevler keine echte Reue erkennen lässt.

Für Achenbach und seine Familie hatten die Gerichts­ver­fahren gravie­rende Folgen. Seine beiden Villen in Düssel­dorf wurden gepfändet und verkauft. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden. Als der »Kunst-Papst« – so eine Boulevard-Schlag­zeile – im Juni 2018 auf Beschluss des Land­ge­richts Kleve nach zwei Dritteln der Haft­strafe auf Bewährung freikam, stand er quasi vor dem Nichts. »Ich hatte letzte Woche einen Euro in der Tasche«, klagt er im Film auf einem abge­le­genen Bauernhof in Kaarst am Nieder­rhein, wo er nach der Frei­las­sung Zuflucht fand. 2014 sei er einen »bürger­li­chen Tod gestorben«, erklärt der abge­stürzte Kunst­markt­star im Rückblick. Nach dieser »unheim­li­chen Zäsur« seien sehr viele Geschäfts­partner, Künstler und Freunde auf Distanz gegangen. Von 400 Kontakten seien nur 30 übrig geblieben. »Heute darf er nicht mehr als 1200 Euro im Monat verdienen«, erfährt man im Abspann des Films.

Vorder­gründig nutzt Achenbach den Aufent­halt in der JVA zur Besinnung und gibt an, dort zu einem anderen Menschen geworden zu sein. Im Film berichtet der Sportwart Marcel Selami, dass der Häftling regel­mäßig Sport getrieben hat und in der Anstalt für die Ausgabe von Sport­geräten zuständig war. Hinter Gittern beginnt der noto­ri­sche Kunst­ver­markter, farbige Land­schaften zu zeichnen und zu malen. Die Kunst­the­ra­peutin Anne Berlit, die ihn in Essen betreute, erklärt, Achenbach habe mit einer »gewissen Naivität und Enthu­si­asmus drauflos gemalt«.

Schon kurz nach der Haft­ent­las­sung kann Achenbach seine Werke in einer Düssel­dorfer Ausstel­lung präsen­tieren und neue Kontakte knüpfen. Und in Kaarst beginnt das Steh­auf­männ­chen schnell wieder, Projekte zu entwi­ckeln und Strippen zu ziehen. In der Umgebung des Bauern­hofs, wo angeblich in fünf Jahren ein Baggersee entstehen soll, entwi­ckelt er einen Skulp­tu­ren­park der Sinne mit Arbeiten geflüch­teter Künst­le­rinnen und Künstler, ein Projekt, das sich auf fünf euro­päi­sche Orte ausbreiten soll. »Klein habe ich nie gedacht«, bekennt Achenbach.