Deutschland 2025 · 95 min. Regie: Tim Ellrich Drehbuch: Tim Ellrich Kamera: Konstantin Pape Darsteller: Jenny Schily, Johannes Zeiler, Jens Brock, Ursula Werner, Manfred Zapatka u.a. |
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Stille Konzentration | ||
(Foto: Elemag Pictures / Coronado Film) |
Holle ist Heilpraktikerin. Sie nimmt ihren Beruf sehr ernst, streicht die Körper der Kranken aus, nimmt deren negative, unheilvolle Energie auf, schüttelt sie aus ihren Händen ab. Sie ist ruhig, ernst, diszipliniert, die Stirn in Falten, im Blick Sorge. Ihre glatten Haare hat sie zum praktischen Zopf geflochten, ihr Stil ist die Zurückhaltung, bloß keine Expressivität, nie rauslassen, was in ihr vorgeht. Sie ist im Bewusstsein immer bei den anderen, sie selbst zählt nichts, die Menschen um sie herum alles. Wenn sie sich nicht um ihre Patienten kümmert, besucht sie die alten Eltern. Hilft beim Einkauf, setzt sich, weil Mutti gekocht hat, an den Tisch, isst aber nicht mit, bespricht Organisatorisches. Geld für ihre Dienste lehnt sie ab, den Eltern schmeckt’s. Sie wirken erstaunlich verbittert, eine Schwere der Traurigkeit lastet über der Familie.
Tim Ellrichs Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, auf dem Filmfestival von Rotterdam mit dem Special Jury Award ausgezeichnet, lotst seine Figuren äußerst souverän durch diese familiale Freudlosigkeit. Jenny Schily verkörpert Holle mit aufrechtem Rücken, streng, zielgerichtet, unerschütterlich, sie weiß, dass das Leben kein Ponyhof ist. Ihre Eltern spielen Ursula Werner und Manfred Zapatka als redliche Kleinbürger, die nie etwas rauslassen, immer die Fassade aufrecht halten, nicht über Probleme sprechen, die ihre Kinder benutzen für die eigene Bequemlichkeit, um bloß nichts im Leben zu ändern.
Gewählt hat Ellrich einen kargen Stil, in zeitlosem Schwarzweiß. Keine Musik, keine schauspielerischen Exzesse lenken vom Kernthema ab, das der Titel trotz aller Schlichtheit komplex auffächert: »Im Haus meiner Eltern« benennt das erwachsene Ich, das im Haus der Eltern nicht mehr wohnt und deshalb überhaupt erst auf dieses zeigen kann. Anvisiert ist außerdem das Innere des Hauses, das von den Freudianischen Geheimnissen alles weiß.
Ellrich hat vor seinem Spielfilmdebüt bereits einen Dokumentarfilm gemacht, in Co-Regie mit Thi Hien Mai. Mein Vietnam wurde mit dem First Steps Award ausgezeichnet und zeigt die Lebenswirklichkeit eines vietnamesischen Ehepaares in Deutschland. Der dokumentarische Blick ist nun auch in seinem leisen Spielfilm zu spüren. Ellrichs Mutter hieß ebenfalls Holle und war Heilpraktikerin, ihr ist der Film gewidmet. Ellrich hat die Film-Familie außerdem Emmerich genannt – der Film könnte eine angedeutete Autofiktion sein, die auch selbst gelebte Wahrheit enthält.
In jedem gesprochenen Satz, in jedem Handgriff in der Küche oder beim Decken des Tisches, die Art, wie zu Tisch gesessen, der Löffel mit der Suppe in den Mund geführt wird, wie die Gespräche laufen, macht sich das traurige Leben der Kleinbürger breit. Man spürt, wie sich die Eltern in dem bescheidenen Einfamilienhaus eingeschlossen, wie sie es sich im Alltag eingerichtet haben, und dass sie wohl schon lange die immer gleichen Sätze sagen. Als die Mutter stürzt und ins Krankenhaus kommt, besucht sie Holle natürlich, fährt danach zum Vater, um nach ihm zu sehen. Sie will etwas ansprechen, was sie mehr als alles umtreibt, doch der Vater weist sie zurück: »Können wir nicht mal wenigstens in Ruhe essen?«
Im Haus, das kommt erst allmählich auf, denn die Familie spricht nicht darüber, hat sich der Bruder verschanzt. Sven (Jens Brock), ein gestandener Mann, hat eine nicht behandelte Psychose und lebt vom Familienleben isoliert unterm Dach, lässt sich das Essen ans Bett bringen, er ist das eigentliche Objekt von Holles Sorge. Sie findet ihn übergewichtig, schweratmend, kann ihn für einen Gesundheitscheck schließlich zum Arzt bringen. Der winkt ab: Seine Schizophrenie hätte man in jüngeren Jahren behandeln sollen, jetzt könne er nichts mehr tun.
Im Kollegenkreis diskutieren die Therapeuten: Wie wichtig ist die Familie? Wie gut ist es, wenn man die eigenen Angehörigen pflegt? Und was, wenn sich die Familie nicht helfen lässt, sich nicht helfen lassen will? Holle möchte die Mauern aufbrechen, aber sie wird mit dem Kopf gegen die Wand dieses sorgsam gehüteten Hauses rennen. Dass sie am Ende am meisten verliert, ist wohl Schicksal all derer, die am Helfersyndrom leiden.
Zu diesen wichtigen Fragen hat Ellrich die richtige Tonlage gefunden, er erzählt kein Pflege-Märchen mit Wunderheilung und Happy End, bei dem sich alle in den Armen liegen. Ellrich überfrachtet auch nicht mit zu vielen Problemen oder allzugroßer Dramatik. Anstatt von Nervenkrisen und Schreianfällen zu erzählen, wie das wohl viele andere deutschen Filme hyperventilieren würden, zeigt er das Leben, wie es hilflos seinen Gang geht und dabei unendlich grausam und traurig sein kann. Und gleichzeitig ist Im Haus meiner Eltern ein Film, der die Schwere der Existenz mit einem kräftigen Handstreich auszustreichen vermag.