USA 1997 · 138 min. · FSK: ab 16 Regie: John Woo Drehbuch: Mike Werb, Michael Colleary, Alessandro Nivola Kamera: Oliver Wood Darsteller: John Travolta, Nicolas Cage, Joan Allen, Alessandro Nivola u.a. |
Im Griechenland der mythologischen Vorzeit war einmal ein schier unzertrennliches Brüderpaar namens Castor und Pollux. Castor aber stirbt in der Blüte seiner Jahre, »denn es ist ja Krieg«. Der untröstliche Pollux jammert und wehklagt, bis selbst Göttervater Zeus ein Einsehen hat. Was der Himmel zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen. Die Brüder werden wiedervereint und verfügen fortan über doppelten Wohnsitz in Olymp und Hades.
USA, 1997.
Die Brüder Castor (Nicolas Cage) und Pollux haben sich den Nachnamen Troy zugelegt und rebellieren nun offen gegen die Obrigkeit. Terroristen sind sie geworden, weil der Regelverstoß den höchsten Unterhaltungswert verspricht. Der streitbare Gegner heißt Sean Archer (John Travolta), und hat dem Namen zum Trotz nichts gemein mit dem Bogenschützen Amor. Der Versuch, die Troy-Brüder zu verhaften, bringt Castor ins Koma, während Pollux in einer Strafanstalt deponiert
wird, die sich durchaus als moderner Hades qualifizieren kann.
Mit Face/Off präsentiert Regisseur John Woo eine postmodern überdrehte Version der antiken Götterlegende mit rüden Verfremdungseffekten. Er erzählt aber nicht nur von Castor und Pollux, sondern auch von Dr. Frankenstein, dem trojanischen Pferd und Orpheus Reise in die Unterwelt. Woo, dem einstigen Hongkong-Filmemacher mit Kultstatus, gelingt es auch in der amerikanischen Traumfabrik, seine Handschrift zu verteidigen. Der wenig erfolgreiche Broken Arrow mag sein persöhnliches hölzernes Pferd gewesen sein, mit dem er sich Zutritt verschaffte in Hollywood-Troja. Face/Off bietet nun wieder im Übermaß, was das Herz des wahren Woo-Fans begehrt: eine furiose Choreografie der Gewalt, changierend zwischen rasanter Eingangssequenz und opernhaft-stilisiertem Finale.
Die Medizin macht es möglich: Sean Archer wird temporär Gesicht und Körper des komatösen Gegners vermacht. So sollen dem inhaftierten Pollux wesentliche Informationen abgetrotzt werden. Dann allerdings ereignet sich der Supergau: wider Erwarten erwacht Castor aus dem Tiefschlaf. Und da sein Gesicht anderweitig unterwegs ist, muß er auf das Antlitz des verhaßten Gegners zurückgreifen. Der Terrorist als Familienvater, der Ordnungshüter als Terrorist. Anything goes.
Nicht nur Shakeaspeare wußte, daß Schein und Sein, appearance and reality, keineswegs ein und dasselbe sind. Sieht Mr. Hyde anders aus als Dr. Jekyll, weil er ein Mörder ist? Oder müßte die Frage nicht viel eher lauten: Kann Mr. Hyde morden, weil er anders aussieht als Dr. Jekyll?
Im Schutz der Maske können geheimste Fantasien ausgelebt werden. »You look different every week«, wirft Sean Archer (der echte!) seiner halbwüchsigen Tochter vor, die im Punk-Outfit vor ihm steht, »we don´t know who you are anymore.«
Daß die Physiognomie den Charakter spiegelt glaubte bereits Aristoteles. Lange vor dem Zeitalter der plastischen Chirurgie ließ dieses Dogma dem Helden wenig Möglichkeiten, zu sein, wonach er nicht aussah. Das ändert sich spätestens mit Face/Off.
Sean Archer ist Sean Archer, aber er versteckt sich hinter der Fassade von Castor Troy. Deswegen darf er im Gefängnis ungehemmt den schweren Jungen markieren, nach Lust und Laune Mitgefangene verprügeln und schreien: »I am Castor Troy«. Ist er nicht. Aber er sieht so aus. Und das ist fast noch besser.
Castor Troy ist Castor Troy, aber er versteckt sich hinter der Fassade von Sean Archer. Deswegen kann er sich in Haushalt und Laissez-faire Erziehung ergehen, Ungehorsam gegen Vorgesetzte proben und Rechte und Pflichten des gutbürgerlichen Ehemanns wahrnehmen. Dabei ist er gar nicht Sean Archer. Aber er sieht so aus. Und das kann durchaus vorteilhaft sein.
John Travolta ist nicht Nicholas Cage. Aber er kann vorgeben, Nicolas Cage zu sein, der aussieht wie John Travolta. Nicolas Cage ist nicht John Travolta. Aber er kann vorgeben, John Travolta zu sein, der aussieht wie Nicolas Cage. Eine Scharade, an der beide ganz offensichtlich großen Spaß haben.
In dem perfekt inszenierten Verwirrspiel ist nur eines wirklich was es scheint: Face/Off ist pures Kinovergnügen.