Schweiz/Deutschland 2015 · 86 min. · FSK: ab 0 Regie: Stefan Schwietert Drehbuch: Stefan Schwietert Musik: Jan Tilman Schade Kamera: Adrian Stähli Schnitt: Frank Brummundt, Florian Miosge |
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Das Licht zum Klingen bringen |
Whatever it is: start now. Today!Tomorrow is always too late.
(Bill Drummond, The KLF)
Stefan Schwietert ist erfahren in Musikdokumentationen, wie man an Heimatklänge, und Balkan Melodie sieht. Diesmal widmet er sich Bill Drummond und dessen Chorprojekt „The17“. Er und sein KLF-Partner, Jimmy Cauty, verabschiedeten sich 1992 mit Bombast von der Popbühne und ergänzten ihre spöttische Haltung noch mit der Fibel: „Der schnelle Weg zum Nr.-1-Hit“. Zuvor verbrannten sie aber noch eine Million Pfund, um der Musikindustrie den Mittelfinger zu zeigen.
Unprätentiös mit Ledermantel und Wanderschuhen kurvt Drummond durch Schottland. Kumpelhaft trommelt er aus Werkstätten und Lagerhallen gleich mal Männer und Frauen für seinen Chor „The17“ zusammen. Drummond versteht Chor nicht als körperlose Wesen, die, auf eine Handlung fokussiert, Einsamkeit und Verzweiflung inszenieren und als himmlische Heerscharen aus dem Off säuseln. In „The17“ stanzen Frauen und Männer druckvoll Silben rhythmisch in die Luft. Klangfarbenexperimente, die man eventuell auch aus asiatischen Kampfübungen kennt. Töne, aufgeladen mit Energie, oder wie Metallschlegel, die auf dem Vibraphon eine knallende Wirkung erzielen.
Schottische Grundschulkinder sind davon begeistert, mit ohrenbetäubendem Lärm die angeordnete Unterrichtsstille zu durchbrechen. Da wird auf den Tischen und Stühlen getrommelt und hin- und hergerückt. Hier gibt‘s kein „noise cancelling“. So steht dieser anarchische Sir Francis Drake wie ein motivierender Pirat mit dem Mikrofon, was er wie ein Bajonett hält, vor der Klasse. So als müsste er mit Entschlossenheit gegen die Musikindustrie die Weltmeere des Klangs schützen. Die Schüler fabrizieren „cholerische Wut“, es könnte eine Interpretation einer „Musica-viva“-Partitur sein, die einen ja auch öfters in geradezu dreidimensionaler Deutlichkeit in einen Höllensoundschlund entführt.
Seine Sänger ermuntert Drummond dazu, einen Score, eine Miniaturanweisung für Musikexperimente zu entwickeln. Darauf folgen Filmeinstellungen von Schülern mit störrischer Ziege oder schottische Burton'sche Außenseiter wie z. B. ein Junge, der uns stoisch mit der Gans anblickt. Die Bilder in der kargen Landschaft zeichnen visuelle Ikonen in konzentrierter Atmosphäre. Sujets, die mit außergewöhnlicher Sorgfalt, karg – ohne überflüssige Dekoration – wie
von Irving Penn in Szene gesetzt werden.
Drummond überzeugt zaudernde pakistanische Taxifahrer oder wippt mit Feuereifer im Pub, wenn sein enthusiasmierter Chor Tonfolgen ins Mikro schmettert. Später mixt er einen behutsamen katholischen Nonnenchoral mit Männerchor, der wie ein Appell darüber schallt.
Drummonds künstlerische, kommerziell erfolgreiche „Big-in-Japan“- und KLF-Vergangenheit liegt in einem Container. Aus dieser Zeit berichtet ein Brikett, das aus der Asche der verbrannten Million Pfund gepresst wurde. Hier läge sicher noch einiges subversives Material, das über den Kunstbetrieb berichten könnte.
Auf schottischen Felsen hört Drummond der Stille zu und bekräftigt das klangliche Ausdrucksspektrum der menschlichen Stimme. Er zeichnet die Musik
auf, experimentiert im Tonstudio mit klanglichen Nuancen und dynamischen Schattierungen. Es wird einmal öffentlich präsentiert und dann gelöscht. Weiter sucht er neue Orte auf für seine „The17“-Experimente.
Die Kunst des Chors „The17“ und ihres „Dirigenten“ Bill Drummond liegt im kontinuierlichen Energieaustausch. Sein temporäres Musikpersonal benötigt nur Stimme und Körper als Instrument. Er entfacht eine Klangexplosion, die von Länge und Wirkung sich nicht um die Bedingungen in Werkhallen oder Schulzimmern schert. Obwohl manches Soundexperiment wie ein Wutausbruch daher kommt, spielt am Schluss Stille die zentrale Rolle. Diese ist in dem Fall nicht kontaminiert wie nach einem verheerenden Vorfall, eher entgiftet sie. Drummond motiviert auch die Zögerlichen mit Elan, logisch, denn nicht jeder ist davon begeistert, in seiner kleinen spontanen Combo mitzusingen, aber er stürzt sich so mit Verve in die Sache und startet ohne zu Zögern sofort mit seinen Anweisungen durch, dann „one, two, three, four“, ohne mit einem heiklen Einsatz oder vielen Fragen die Spontanität verpuffen zu lassen.
Sicher öffnet ihm sein berühmter Name auch den Zugang zu Musikinterventionen. Doch Drummond, der alte Punk, ist im weitesten Sinne fast ein Präraffaelit, der rechtzeitig feststellte, dass die Popmusik mit Kommerzialisierung und Musikdateirippen im Niedergang begriffen war. So ist sein furioses „The17“-Chorprojekt ein Zeichen gegen den unverhohlenen industrialisierten Musikbetrieb. Vielleicht hätten dem puristisch gelungenen Film einige kritische Fragen zur Vergangenheit ganz gut getan. Aber dann kommt schon der nächste Score und die scharfen Halbtonakzente von „The17“ bringen fast das Licht zum Klingen. Und durch diesen verwegenen Ex-Punk empfindet man in der Kargheit der Musik seines Chors eine Schönheit, die einen manch Luxus an Orchestern nicht geben kann.