Deutschland 2022 · 148 min. · FSK: ab 16 Regie: Edward Berger Drehbuch: Lesley Paterson, Edward Berger, Ian Stokell Kamera: James Friend Darsteller: Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Moritz Klaus, Aaron Hilmer, Edin Hasanovic u.a. |
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Nichts für Gamer... | ||
(Foto: Netflix/24 Bilder) |
»Alles, was übrigblieb, war manchmal ein Abend voll Schwermut, die Schwermut, die jeder Mensch fühlt, weil alles vergeht und er das einzige Tier ist, das es weiß und das ebenso weiß, daß das ein Trost ist, obschon es ihn nicht versteht.«
– Erich-Maria Remarque, »Schatten im Paradies«
Es ist der große Antikriegsroman nicht nur der deutschen Literatur und seit seinem Erscheinen 1928 ein Klassiker der Weltliteratur. Für Erich Maria Remarque bedeutete »Im Westen nicht Neues« allerdings auch ein unbeschwertes Leben in der Schweiz und später in den USA, nachdem sein Roman bei den Nazis auf den Index und auch er selbst damit in Ungnaden gefallen war. Die amerikanische Verfilmung (All Quiet On the Western Front) seines Romans im Jahr 1930 wurde dann fast genau so berühmt wie der Roman und ermöglichte Remarques Folgeromanen nicht nur eine zügige Übersetzung ins Englische, sondern auch weitere filmische Adaptionen seiner weiteren Romane, u. a. die beiden Folgeromane »Der Weg zurück« und »Drei Kameraden«, die mit »Im Westen nichts Neues« eine Trilogie der verlorenen Generation der im Ersten Weltkrieg beteiligten Soldaten abbildete.
Da die bislang zweite und ebenfalls amerikanische Verfilmung seines großen Erfolgs aus dem Jahr 1979 nicht einmal in Ansätzen den Erfolg der Verfilmung von Lewis Milestone hatte, erscheint nicht nur angesichts eines bis Februar 2022 nicht mehr denkbaren Krieges in Europa eine Neuverfilmung durchaus sinnvoll, da der Pathos der alten Verfilmung kaum mehr mit unserem Gegenwartsgeschmack kompatibel ist und Antikriegsromane und -filme ja so wichtig sind wie die Zeitzeugen eines jeden Krieges, um die Sinnlosigkeit deutlich zu machen und vor einer Wiederholung zu warnen.
Auch deshalb wurden der von Netflix produzierten Verfilmung noch vor dem Kinostart Oscar-Chancen eingeräumt, der Film für Deutschland ins Oscar-Rennen geschickt, was mit neun Nominierungen – und damit deutlich über den Erwartungen – belohnt wurde. Und angesichts einer erheblich positiveren Rezeption im anglophonen Raum überraschte es dann auch nicht, dass Im Westen nichts Neues am Ende mit vier Oscars gewürdigt wurde – als bester internationaler Film, für die beste Kamera, die beste Filmmusik und das beste Szenenbild.
Regisseur Edward Berger, der auch am Drehbuch mitgewirkt hat, unterzieht Remarques Roman und der bahnbrechenden ersten Verfilmung einige signifikante Änderungen. Zwar wird auch hier der Erste Weltkrieg aus der Sicht des 17-jährigen Soldaten Paul Bäumer (Felix Kammerer) erzählt, der mitten aus dem Schulalltag begeistert an die Schützengräben der Westfront zieht und zunehmend ernüchtert fast seine ganze Schulklasse an seiner Seite sterben sieht. Berger führt wie im Quelltext auch hier mit der chauvinistischen Propaganda des Lehrpersonals in die Handlung ein, verzichtet aber auf den Heimaturlaub von Bäumer, in dem Bäumer erkennt, dass er mit seiner Kriegstraumatisierung und seinen Zweifeln allein auf weiter Flur steht und Teil einer verlorenen Generation ist, für die Remarque in seinen beiden folgenden Romanen großartige Porträts verfasste. Und die gewissermaßen auch ein früher Prototyp des verstörten und unverstandenen Kriegsversehrten sind, den wir dann vor allem in späteren amerikanischen Vietnamfilmen wir Scorseses Taxi Driver, Coppolas Apocalypse Now und Ciminos Deer Hunter wiedertreffen.
Diesen »Entfremdungsbesuch« liefert uns Berger jedenfalls nicht, dafür hat Berger allerdings eine neue Erzählebene in seine Verfilmung geflochten. Er verzahnt die letzten, völlig sinnlosen Kriegstage an der Westfront mit ihren noch sinnloseren Toten mit dem Bemühen von Matthias Erzberger (Daniel Brühl) als Bevollmächtigten der Reichsregierung, einen Frieden mit den Alliierten auszuhandeln, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Während wir also Paul und seinen älteren, besten Freund Katczinsky (Albrecht Schuch) ihrem Schicksal entgegenstolpern sehen, sehen wir Erzberger im berühmten Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne logieren. Diese Neuschreibung macht zwar deutlich, dass dieser Frieden im Kern ein schlechter Frieden, ein Diktatfrieden ist, der den nächsten Krieg bereits im Keim enthält, doch die Idee, damit auch Spannung und eine komplexere Handlung zu erzeugen, erfüllt sich leider nicht.
Stattdessen wirkt dieser Handlungsstrang schablonenartig überinszeniert und aufgesetzt, wird ja nicht erst an dieser Stelle erzählt, dass das gemeine Volk verheizt wird und die Oberschicht es gut hat. Gleichzeitig verliert sich auch die Kriegshandlung mit ihren Schlachtszenen – obwohl erstklassig und abschreckend inszeniert – mehr und mehr in Wiederholungen ohne dramatischen Mehrwert. Man merkt zwar, dass Berger mit neuen, gruseligen Details dem Grauen mit jeder Szene etwas hinzufügen will, doch wird damit beim Zuschauer eher ein Abstumpfen erzeugt. Denn dem Grauen mangelt es letztendlich an psychologischer Dichte, wird in den immer wieder zu viel erklärenden Dialogen eigentlich nie das deutlich, was Remarques ganzes Werk durchzieht, der ja nicht nur die Sinnlosigkeit des Krieges anprangert, sondern angesichts des gnadenlosen Vergehens von Leben die Sinnlosigkeit des Daseins an sich betont, eine Sinnlosigkeit, die den Krieg ja erst erzeugt. Remarque ging in in seinem überragenden Lost-Generation-Roman »Drei Kameraden« dann ja sogar soweit, dass nicht einmal die Liebe Trost genug ist, um das Leben ertragen zu können. Auch das wird in »Im Westen nichts Neues« bereits angedeutet. Unter anderem über das morbid-poetische Ende, mit dem der Titel des Romans und auch der Film erst Sinn macht, denn an jenem für den jungen Helden in Remarques Roman entscheidenden Tag ist es an der Front eigentlich so ruhig, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkt, »im Westen sei nichts Neues zu melden«. Die Verfilmung aus dem Jahr 1930 setzt dieser Tragik noch die berühmte »Schmetterlingsszene« hinzu und schafft damit fast so etwas wie Gottfried Benn in seinem berühmten Gedicht Schöne Jugend.
Von dieser Ambivalenz finden wir bei Bergers Verfilmung nichts, doch gerade diese Ambivalenz, die etwa Sam Mendes in seinem Film über den Ersten Weltkrieg, 1917 (2019), ebenfalls sucht und zumindest am Ende auch findet, braucht es, um die wunde Seele des Wahnsinns Krieg wirklich zu spüren, zu leiden und eine Wut, eine Abscheu davor zu entwickeln.
Bergers Bilder und sein Film hingegen, seine Inszenierung lassen einen trotz des Grauens am Ende unberührt. Denn was wir hier sehen, hat jeder schon oft gesehen, ist sowohl dramaturgisch als auch filmästhetisch nichts wirklich Neues, überrascht und überzeugt allein der mit wummernden Heavy Metal-Sentenzen unterlegte Soundtrack von Volker Bertelmann. Wäre es vielleicht sinnvoller gewesen, so wie Michael Cimino in seinem Deer Hunter, weniger vom Krieg im Krieg als vom Krieg in der Heimat und in den Köpfen zu erzählen, was dank Remarques Trilogie ja durchaus möglich gewesen wäre. Und damit auch der heutigen Gamer-Generation, die virtuelle Kriegsschauplätze tatsächlich zur Genüge kennt und bei diesen Bildern eher müde lächeln dürfte, Anreiz für einen Kinobesuch zu geben.
Literatur:
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Roman. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2013, ISBN 978-3-462-04581-9.
Erich Maria Remarque: Der Weg zurück. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, ISBN 978-3-462-04630-4.
Erich Maria Remarque: Drei Kameraden. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2014, ISBN 978-3-462-04631-1.
Erich Maria Remarque: Schatten im Paradies. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2018, ISBN
978-3-462-05235-0.
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Nach einer kurzen Kinoauswertung Ende September 2022 ist Bergers Film seit Ende Oktober 2022 auf Netflix abrufbar.