In a Violent Nature

Kanada 2024 · 94 min. · FSK: ab 18
Regie: Chris Nash
Drehbuch:
Kamera: Pierce Derks
Darsteller: Ry Barrett, Andrea Pavlovic, Cameron Love, Reece Presley, Liam Leone u.a.
In a Violent Nature
Genre, verdichtet auf das Nötigste...
(Foto: Capelight)

Blutrausch im Naturidyll

Chris Nash versucht sich an einem avantgardistischen Zugriff auf das Slasher-Kino. Das Resultat ist effektvoll blutig, läuft aber ins Leere

Schon in der ersten Einstel­lung ist alles angelegt. Der Blick durch ein Fenster, doch das Fenster hängt schief. Es ist aus dem Lot gebracht, hängt gerade noch so zwischen den brüchigen, morschen Holz­latten, den Über­resten einer Ruine im Wald. Ein gespens­ti­sches Bild, aus der Zeit gescherter Raum. Es könnte ebenso gut der übrig­ge­blie­bene Rahmen eines alten Röhren­fern­se­hers sein, den Regisseur und Autor Chris Nash dort in Szene setzt und dessen 4:3-Format er in seine eigene Ästhetik überträgt. Nash zeigt seinem Publikum, dass dort etwas nicht mehr so ist, wie es einmal war, dass eben sinn­bild­lich etwas schräg ist. Als sei dort etwas Altes noch in Spuren zu finden, aber die Zeit und Natur­kräfte haben alle Erin­ne­rungen und Geheim­nisse schon über­wu­chert. Übrig bleibt ein Relikt und das, was hinter dem Rahmen liegt, was wir durch ihn hindurch sehen können, ist ebenfalls nur: Natur. Gestrüpp, Bäume, Blätter, Moos, verdorrte Äste. Archai­sches. So nach­denk­lich beginnt dieser neue Blick auf die Tradi­tionen des Slasher-Kinos, das mit Fran­chises wie Halloween, Freitag, der 13. oder A Nightmare on Elm Street einst erfolg­reiche Blüte­zeiten erlebte.

Und ein anderes Relikt wird sich ins Bild schieben, hat sich die Kamera aus dieser stati­schen Einstel­lung erstmal in Bewegung gesetzt. Ein Medaillon hängt dort an einer Stange. Eine Hand greift danach, nimmt es mit und beschwört damit das Unheil. Wer dort eigent­lich ist und spricht, zu wem die Hand gehört, das bleibt noch unklar. Da sind nur Stimmen zu hören. Ein weiteres Wesens­merkmal, das den gesamten Film bestimmen wird. In a Violent Nature ist ein Spiel mit Perspek­tiven, Präsenzen und Horror­kon­ven­tionen. Entschei­dendes wird plötzlich verschoben oder in seiner Sicht- und Unsicht­bar­keit verkehrt. Die bedroh­liche Präsenz, die man sonst nur sche­men­haft oder punktuell als Bedrohung gezeigt bekommt, wird hier zum Prot­ago­nisten. Das heißt: dem Killer bei der Arbeit zusehen. Auf Wander­schaft mit dem Bösen. Ein Blick über die wuchtigen Schultern, einen bulligen Nacken und entstellten Hinter­kopf, später dann von einer alten Feuer­wehr­maske bedeckt. Jede ikonische Horror­film­ge­stalt braucht schließ­lich ihren Wieder­erken­nungs­wert. Gleich zu Beginn, kaum ist das Medaillon entwendet worden, erhebt sich der Mörder aus seinem Grab. Hände schaufeln sich aus der Erde. Zurück von den Toten. Verfluchtes Land. Eine Ursünde wurde begangen – auch das kennt man als Motiv aus vielen Slas­her­filmen, ehe der beschwo­rene Mörder zur Rache und Bestra­fung schreitet. Geschichten wollen nicht ruhen. Fortan wird der Untote, Johnny heißt er, durch den Wald ziehen und mit Haken, Äxten, Steinen und anderem Werkzeug Jagd auf die jungen Touristen machen, die sich in sein Revier verirrt haben.

Frag­wür­diger Hype

Nun wurde In a Violent Nature zu einer kleinen Mogel­pa­ckung hoch­ge­schrieben. Ein Slasher aus Sicht des Killers, so wurde die Formel des Films oft zusam­men­ge­fasst. Dabei trifft das weder vollends auf das insze­na­to­ri­sche Konzept zu noch taugt es zur Sensation an sich. Schließ­lich ist das Wechseln in die Perspek­tive des Bösen schon unzählige Male bemüht worden, mal mehr und mal weniger radikal. Ja, es scheint zu den wesent­li­chen Stil­mit­teln des Slasher-Genres zu gehören, immer wieder zwischen Täter und Opfer zu wechseln. John Carpen­ters Halloween etwa wäre vermut­lich weniger ikonisch, hätte es die Eröff­nungs­se­quenz aus der Egoper­spek­tive nicht gegeben. Das Spiel mit dem Publikum, dessen Ängsten, Schaulust und ambi­va­lenten Iden­ti­fi­ka­tionen wurde längst und zahlreich beschrieben und von diversen Kritikern und Wissen­schaft­lern erforscht. Zudem wurde das Perspek­ti­ven­spiel künst­le­risch schon bedeutend konse­quenter und exzes­siver vollzogen, man denke nur an Gerald Kargls ANGST von 1983 oder Franck Khalfouns Maniac-Remake aus dem Jahr 2012, in dem die Kamera fast durchweg zu den Augen des Mörders wird. Eine solche Konse­quenz ist bei In a Violent Nature nicht zu finden, weshalb es zu diffe­ren­zieren gilt! Es stimmt; die Kamera verengt sehr oft ihre Sicht auf die Realität, in der sich der Killer bewegt. Sie verschmilzt jedoch weder mit dessen Augen noch macht sie sich mit ihm gemein.

Die Kamera formt vielmehr eine weitere Entität, die den Mörder wie in einem Third-Person-Rollen­spiel durch die Wildnis verfolgt. In langen Einstel­lungen und Plan­se­quenzen sind diese Wande­rungen und mörde­ri­schen Aktionen gedreht. Mal wandert die Kamera auf Kopfhöhe dem Rastlosen hinterher, mal begibt sie sich in die Luft, in eine Topshot-Perspek­tive, um von oben zerstö­re­ri­sche Wege nach­zu­zeichnen. Mal wählt sie verschro­bene Winkel und Ecken in Bodennähe, um auf die Welt zu schauen. Oder sie klebt geduldig an der mecha­ni­schen Apparatur eines Holz­spal­ters, welcher zweck­ent­fremdet werden wird und die Schnitt­ar­beit dort übernimmt, wo die gnadenlos blut­rüns­tige, geduldig aushar­rende Kame­ra­ein­stel­lung das Schneiden oder Wegblenden verwehrt. In a Violent Nature formt zudem eine Zumutung daraus, dem Morden hin und wieder seinen flüchtig reiße­ri­schen Effekt zu rauben. Statt­dessen: ein Film der Anstren­gungen, der Dauer. Strecken, die in Echtzeit zurück­ge­legt werden müssen, Steine und Gerät­schaften, die gewuchtet, Körper die mühsam den Weg entlang­ge­schleppt oder malträ­tiert werden. Und es entbehrt nicht einer recht zynischen Sicht­weise, wie trostlos und nüchtern das alles insze­niert ist.

Wesent­liche Slasher-Zutaten

Die Engfüh­rung der Perspek­tive hat einen Vorteil: Sie erspart dem Publikum einen Großteil der meist austauschbar platten Dialog­schnipsel, die sich die Opfer in derlei Genre­filmen sonst um die Ohren werfen. Nur Einzel­teile davon gibt es zu hören, manchmal auch nur in der Ferne, wo die Figuren gerade vorbei­ziehen. Das Genre, verdichtet auf das Nötigste. Die Eindring­linge in der Welt, das sind hier eher die Menschen, die zur symbo­li­schen Schlacht­bank schreiten, weniger der Schlächter, wie man es aus anderen Vertre­tern gewohnt ist. Die beschrie­benen Kame­ra­po­si­tionen und langen, unge­schnit­tenen Bewe­gungen erzählen dabei von einem Modus der Fremd­steue­rung. So, als würde das Töten überhaupt nicht zur Debatte stehen. Als hätte man den Mörder aufge­zogen, als würde eine innere Mechanik in ihm rattern, die ihn nur von A nach B treibt und keine Alter­na­tiven mehr erlaubt. Als würde man nur einem Doku­men­tieren des Unaus­weich­li­chen zusehen. Nicht zuletzt das Genre will es so. Die Wildnis offenbart, was in der Wildnis eben so geschieht. Anima­li­sches, Viehi­sches, Trieb­haftes, nichts Ratio­nales. Das Töten erhält so etwas Zwang­haftes, aber auch etwas Leeres, eine Gleich­gül­tig­keit – und mögen die spek­ta­kulär in Szene gesetzten Kills noch so drastisch und extrem anzusehen sein. Untermalt sind sie mit unschein­baren Natur­geräu­schen. Keine Musik. Die Gewächse und Tiere des Waldes inter­es­sieren sich nicht für das Leid der Nieder­ge­met­zelten. Ihre ruhige, idyl­li­sche Welt wird sich weiter­drehen. Male­ri­sche Land­schafts­be­trach­tungen treffen auf grau­samste Gewalt. Noch so eine Irri­ta­tion in der Form, aber was soll dort eigent­lich irritiert werden? Der Voyeu­rismus des Publikums? Die Alltäg­lich­keit von Gewalt? Die Nostalgie, die diesem Genre inzwi­schen ebenso anhaftet? Soll dort etwas über die mensch­liche Natur gesagt werden?

Viele lose Enden

Es ist ja, wie gesagt, nicht so, als würde der Perspek­tiv­wechsel so konse­quent erfolgen, dass sich damit tatsäch­lich etwas Neues in Gang setzen ließe. Denn diese Kamera springt, auch zu der Realität der Opfer, und hebt sich somit gar nicht allzu sehr vom Gewohnten ab. Sie bleibt so wankel­mütig und unent­schlossen wie alles in diesem Film. Schon nach einer Vier­tel­stunde kreist sie um die Gruppe, stellt jede Figur einmal vor, während am Lager­feuer die Grusel­ge­schichte vorge­tragen wird, die den erzäh­le­ri­schen Nährboden für den anschließenden Splatter bereitet. Später dann heftet sie sich an eine Prot­ago­nistin und deren Über­le­bens­kampf. Die glei­tenden, sorg­fältig choreo­gra­fierten Fahrten weichen plötzlich schnellen, chao­ti­schen Schnitten. Filmische Panik, chao­ti­sche Flucht. Und damit ist der Horror nicht vorbei. Quasi ein weiterer Film wird sich anschließen, im letzten Akt von In a Violent Nature, der von einer Verharm­lo­sung von Traumata und einer Bedrohung erzählt, die sich nicht abschüt­teln lässt. Viel­leicht beginnt in diesen letzten Minuten der eigent­lich inter­es­sante Film. Doch in der reich­li­chen Stunde davor, die in ihrer bemühten Kunst­fer­tig­keit mitunter äußerst zäh anzusehen ist, erschließt sich kaum eine klare Idee. Schluss­end­lich führen alle Fährten ins Nichts. Die Ernüch­te­rung mag sich einstellen, weil all das als Slasher-Hommage mit leichten expe­ri­men­tellen Ansätzen viel­leicht doch genüg­samer und kleiner gedacht ist, als es der Hype, der in den vergan­genen Monaten entbrannte, hin und wieder vorgau­kelte. Viel­leicht verhebt sich hier aber auch ein Regisseur ein wenig am Schein seiner durchaus faszi­nie­renden Aufnahmen. Chris Nash unter­wan­dert schließ­lich Erwar­tungen und Konven­tionen und taucht sie in die ober­fläch­lich gedachte Ästhetik eines Slow-Cinema-Kunst­films, ohne damit wirklich etwas substan­ziell zu durch­kreuzen. Denn sie sind ja trotzdem da, die Formeln und Effekte, und sie werden Stück für Stück abgegrast. Nur die Bilder sind hier und da andere, ihr entschleu­nigter Rhythmus ist verwan­delt, wenn­gleich auch jenen Bildern, streng genommen, eine eigene Vision fehlt.

In einem Director’s Statement, das der Verleih zur Verfügung stellt, werden allerlei Vorbilder und Refe­renzen aufge­zählt. Von Freitag, der 13. über Regis­seure wie Gus Van Sant bis Terrence Malick und Gerald Kargl. Und genau so fühlt sich der Film auch an: wie eine Ansamm­lung von Anleihen und ästhe­ti­schen Refe­renzen, eine Parodie, die sich Versatz­stücke nimmt und in einen neuen Kontext, eine andere, andäch­tige Stimmung verpflanzt, aber damit doch nur eine Variation des Vertrauten anstellt. Er taucht es in eine aufge­setzte Schwere und Behä­big­keit, die am Ende das eigene Genre unter­schätzt. In a Violent Nature ist eine eigen­wil­lige, bisweilen sehr hübsch foto­gra­fierte und gerade in den blutigen Körper­ef­fekten eindring­liche Seherfah­rung, aber eine, die in ihrer Vision blass und leblos bleibt. Ein offenes Expe­ri­ment ist das. Nicht unsym­pa­thisch in seinem Wagemut. Aber wie das bei offenen Expe­ri­menten so ist: Es besteht eben auch die Gefahr, dass man hinterher am selben Punkt steht wie zuvor.