CH/Ö/D/L 2023 · 110 min. · FSK: ab 0 Regie: Margarethe von Trotta Drehbuch: Margarethe von Trotta Kamera: Martin Gschlacht Darsteller: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Resch, Basil Eidenbenz, Luna Wedler u.a. |
![]() |
|
Nicht mehr als ein blasses Spiegelbild wirklichen Lebens... | ||
(Foto: MFA+) |
»Wir brauchen die Darstellung des Mannes durch die Frau, die Selbstdarstellung der Frau.« – Max Frisch, Montauk
»Warum machst Du das? Ich bin sehr bestürzt, Du.« – Max Frisch an Ingeborg Bachmann, 5. Juli 1958, Teilabschrift durch Frisch, in: »Wir haben es nicht gut gemacht.« – Ingeborg Bachmann / Max Frisch – der Briefwechsel, 2022
Wer noch Margarethe von Trottas hervorragendes, so komplexes wie konzentriertes Porträt über Hannah Arendt (2012) als Referenz für ein »Biopic« von Trotta vor Augen hat, dürfte mit Trottas Film über die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, ihr Leben und vor allem auch ihre Beziehung zu Max Frisch nicht glücklich werden.
Das liegt vor allem daran, dass der ziemlich genau 50 Jahre nach Bachmanns frühem, durch Tablettenabhängigkeit verursachtem Unfalltod am 17. Oktober 1973 in die Kinos kommende Film sich auf den Abschnitt in Bachmanns Leben konzentriert, der durch ihre Beziehung mit dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch von 1958 bis 1962 geprägt war. Eine Beziehung, die eigentlich als »offene Beziehung« angedacht war, aber sehr schnell Grenzen für beide Seiten aufzeigte, die sowohl für Bachmann als auch Frisch sehr schmerzhaft waren. Lange Zeit und auch von Bachmann in ihrer Literatur und in öffentlichen Aussagen so inszeniert, galt Bachmann als das »Opfer« in dieser Beziehung; eine Sichtweise, die erst durch die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Bachmann und Frisch im Jahr 2022 relativiert wurde, in dem nicht nur die Eigendynamik von Bachmanns Autodestruktivität deutlich wurde, sondern auch, dass ihr Tablettenkonsum nicht erst durch die Trennung von Frisch ausgelöst worden ist, sondern eher zu der Trennung selbst beigetragen hat. Und vor allem, dass Frisch bei Weitem nicht der »Popanz« gewesen ist, als der er in der Forschungsliteratur oft hingestellt wurde, auch wenn die Trennung von ihm bei Bachmann wohl Auslöser einer existenziellen Krise war – dass es dabei aber weniger um Max Frisch als um Bachmanns eigene »Aporien« ging.
Trotta scheint diesen auch literarisch wertvollen Briefwechsel nicht in ihr Drehbuch aufgenommen zu haben, weil er wohl zu spät für ihr Projekt erschien. Deshalb sehen wir hier die über Jahre sehr prominent aufbereitete Geschichte der Schönen und des Biests, der Traumfrau Bachmann und des tumben Toren Max Frisch. Eine Fiktion, wie wir heute wissen. Aber selbst ohne den Abgleich mit der neuen Faktenlage wirft Trottas Film mehr Fragen auf, als dass er befriedigende Antworten gibt.
Denn Trottas von Vicky Krieps verkörperte Bachmann scheint in Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste einfach so vom Himmel zu fallen. Wir erfahren nichts von Bachmanns literarischem Leben vor Frisch, den Ronald Zehrfeld so plump und dicklich spielt, wie er nur in seinem autofiktionalen Roman »Montauk« erschien. Trotta erzählt aber auch nichts von Bachmanns privatem Vorleben, der ebenfalls schon offenen Liebesbeziehung zu Henry Kissinger, die Kissinger neben seiner Ehe und Bachmann neben anderen Beziehungen geführt hatte und deren Details anders als etwa in der sehr ähnlichen, literarisch und persönlich nach Befreiung schreienden Lebenslinie der DDR-Autorin Brigitte Reiman nicht durch Tagebuchaufzeichnungen belegt sind.
Das hätte Trotta dann allerdings auch mehr Freiheiten erlaubt, um mit diesem Vorleben zu spielen und neue und bislang eher weniger ausgetretene Pfade zu begehen. Stattdessen hält sie sich an die nur allzu bekannten Lebensmuster Bachmanns, die fast schon pop-literarisch inszenierte Tragödie des tragischsten Liebespaars der deutschen Literaturszene, mit allem, was man glaubt, dazugehören muss: Die Eifersucht von Frisch auf Bachmanns Affäre mit Enzensberger und Bachmanns Leiden an der entstehenden Beziehung Frischs zu Marianne. Erschwerend kommt hinzu, dass Trotta selbst in diesen sehr konkreten emotionalen Momenten stets die Leerstelle und die Stilisierung sucht. Sei es durch plumpe Auslassungen, schwere, hölzerne Dialoge und die immer wieder ins Bild gestellte Italienliebe von Bachmann, die stets in starkem Kontrast zu der Biederkeit von Frischs Schweizer Heimat geschnitten wird. Die Abtreibung und der Suizidversuch von Bachmann, in den oben erwähnten Briefen wohl eher als mythische Fabulationen von Bachmann zu dechiffrieren, sind hier großes, pathetisches Leiden und gleiten fast genauso in eine kitschige, weinerliche Ästhetik ab, wie ihr »Rachesex« in der titelgebenden Wüstenepisode.
Dadurch verliert Trottas Bachmann auch das, was Trotta wohl vor allem erzählen wollte, die faszinierende Geschichte einer Frau, die nicht nur literarisch ihrer Zeit voraus war, sondern auch in ihrer emanzipativen Forderung nach offener Liebe und Beziehungen jenseits der moralischen Schranken ihrer Zeit stand und Neuland betrat, das bis dahin nur von der sich gerade etablierenden Beatnik-Generation in den USA betreten worden war.
»Mörder meiner selbst!« wirft Bachmann Frisch vor, den sie an anderer Stelle als Hund bezeichnet, der einfach nur regelmäßig seine Beute braucht. Frisch erwidert: »Manchmal sind nicht nur die Mörder sondern auch die Ermordeten schuldig.« Schuld war am Ende wohl keiner. Eine Grauzone, die in den Briefen zwischen beiden zu schillern und leuchten beginnt, bei Trotta aber schmerzhaft fehlt.