Frankreich/Kanada 2005 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Laurent Cantet Drehbuch: Laurent Cantet, Robin Campillo Kamera: Pierre Milon Schnitt: Robin Campillo Darsteller: Charlotte Rampling, Karen Young, Louise Portal, Ménothy Cesar u.a. |
Der Süden ist gefährlich und verführerisch zugleich, um das zu erfahren, muss man nur ins Kino gehen. Einem speziellen Aspekt der Sehnsucht nach südlichen Gefilden widmet sich jetzt In den Süden, der neue, verstörende Film des französischen Regisseurs Laurent Cantet, der vor drei Jahren mit L´emploi du temps einen hervorragenden Film über die Arbeitsverhältnisse der new economy gedreht hatte: Dem Suchen und Finden der Liebe in der Fremde, vulgo: dem Sextourismus.
Eigentlich könnte der Film auch »Im Westen« heißen, denn er spielt auf Haiti, doch seine Hauptfiguren sind gar keine Franzosen, sondern Amerikaner, in diesem Sinne stimmt die Himmelsrichtung also auch geographisch. Aber viel mehr als dies ist mit dem Titel die Idee des Südens gemeint, die das französische Kino in letzter Zeit schon öfters fasziniert hat, etwa vor einem Jahr in Claire Denis' großartigem L’intrus: Sonne, Strand, Hitze, Aussteigen, auch die Faszination für das Exotisch-Andere, für fremde Kulturen, fremde Haut. Schon wenn sich die – vor allem französischen – Schriftsteller des 19. Jahrhundert auf Orientreise begaben, suchten sie im Schatten der Pyramiden künstliche Paradiese nicht zuletzt bei dunkelhäutigen Knaben und leicht bekleideten Mulattinen. Heute heißt das schlicht Sextourismus, hat – von der Kulisse für die geistreichen Zynismen Michel Houellebecqs einmal abgesehen – seine Poesie verloren und ist stattdessen zum Massenprodukt geworden.
Mit moralischer Verurteilung und den tiefen Rinnen des Geschlechterdiskurses ist man da heute schnell zur Hand – Cantet hingegen versucht, es sich schwerer zu machen. Die Sextouristen in diesem Fall sind nämlich Frauen, die sich, selbst 40 Jahre und aufwärts, in Haiti den Sex holen, den sie daheim nicht bekommen. Und manchmal auch die Liebe, oder jedenfalls, was sie dafür halten. Man mag es pessimistisch finden, aber es ist vielleicht nur genau beobachtet, wenn In den Süden zeigt, dass es hier keine unschuldigen Verhältnisse gibt, dass Ausbeutung – ökonomische, sexuelle, kulturelle – Lebensbedingung ist – selbstverständlich (?) auch bei den Haitianern untereinander. Der Film, der auf drei Kurzgeschichten des haitianischen Autors Dany Laferrière basiert, spielt übrigens in den 70er Jahren, als die Stunde der Komödianten und alle Graham-Greene-Romantik zwar schon längst seit einiger Zeit passé waren, aber immer noch die blutige, viel zu stabile Diktatur des »Baby Doc« Duvalier und seiner Tonton Macute-Schergen das Land dominierte – vor mehreren Umstürzen und der US-Invasion, die seither geschahen.
Im Zentrum stehen aber die verschiedenen Damen, vor allem zwei von ihnen, die sich in den gleichen Jüngling »verlieben.« Treffend zeigt Cantet den Machismo, der auch unter Frauen verbreitet ist, wenn nur die Machtverhältnisse stimmen, die subtilen Hierarchien und den ebenso nur oberflächlich verhüllten Rassismus, die die Ordnung des Urlauberlebens bestimmen. Er untersucht (Sex-)Tourismus als geistige Lebensform, und zeigt, was es der totzitierte Satz vom Privaten, das politisch wird, praktisch bedeutet: Sehnsucht kann kolonialistisch sein. »We all change, when we are here.« sagt eine der Frauen. Unweigerlich denkt man an Szenarien aus den Romanen Michel Houellebecqs. »Wenn es nicht ab und zu ein wenig Sex gebe, woraus würde dann das Leben bestehen?« schrieb der. Sextourismus sei »die Zukunft der Welt«, die einzige noch mögliche Form des Austauschs. Der reine Sex (ohne Liebe) wird wie der totale Konsum (ohne Ziel) und die Reise in ferne Gefilde, die Weltreise (ohne Grenze) zur Erfüllung und Gestalt der säkularen Religion des schrankenlosen Kapitalismus. Der Sextourist vereint sie in sich, ist seine fleischgewordene Gestalt. Er macht sich die Erde und ihre Bewohner aufs Neue untertan. Der Tourist wird damit zum sanften Terrorist.
»Tourists never die«, sagt ein Haitianer am Ende dieser impressionistischen, mörderischen Kino-Reise. Mit seinen einfachen, klar kadrierten Bildern, seinem Erzählen ohne große Mätzchen und Manierismen, sowie einer gewohnt glänzenden Charlotte Rampling in der Hauptrolle ist In den Süden ein kleines Meisterwerk nüchterner Beobachtung.