USA 2007 · 148 min. · FSK: ab 12 Regie: Sean Penn Drehbuch: Sean Penn Kamera: Eric Gautier Darsteller: Emile Hirsch, Marcia Gay Harden, William Hurt, Jena Malone, Brian u.a. |
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Weg von der Zivilisation |
Es dauert einige Momente bis der Regisseur Sean Penn seinen Hauptdarsteller zwischen den Aufnahmen der unberührten Wildnis ins Bild lässt. Und doch handelt dieser Film nicht von der Wildnis selbst, sondern ihrem Stellenwert im Leben des idealistischen College Absolventen Christopher McCandless. Der Schriftzug des Filmtitels wächst aus einer Postkartenschriftart überdimensional auf die Größe der gesamten Leinwand und suggeriert dem Zuschauer in den ersten Minuten die vermeintliche Übermacht der Natur über den Menschen.
Doch Penn belässt es nicht bei dieser simplen Aussage um die Geschichte des 23-jährigen McCandless zu erzählen, einem Materialismus-scheuen unbeugsamen Einzelkämpfer, der seinen Wunschtraum die Natur alleine zu genießen, mit dem Leben bezahlt. Penn scheint die Komplexität der auf wahren Begebenheiten beruhenden (und von dem Autor Jon Krakauer in einen Bestseller verwandelten) schicksalhaften Odyssee des jungen McCandless lediglich zur momentanen Täuschung auf simple Art und Weise zu beantworten. Denn die folgenden beinahe zweieinhalb Stunden schildern vielmehr McCandless eisernen, und ja, selbstzerstörerischen Willenmit einer Intensität, die in die Knie zwingt.
In einer frühen Schlüsselszene wird bewusst, was den einfach gestrickten Amerikaner in einen ständigen Konflikt mit seinen Eltern bringt und schließlich in seiner ewig dauernden Flucht endet. Nach seiner Hochschulverabschiedung verweigert McCandless das Angebot der Eltern ihm einen neuen Wagen zu schenken. Er sei nicht an Dingen, Dingen, Dingen interessiert, betont er ausdrücklich und umschreibt damit den Wunsch nach ultimativer Freiheit, der ihn kurz darauf bewegt, den Studienplatz an der Elite-Universität Harvard auszuschlagen, die dafür angesparte Summe von 24 000 Dollars wohltätig zu spenden und sich von heute auf morgen, ohne ein Wort des Abschieds auf den Weg zu machen.
Ohne einen Cent begibt sich McCandless 1990 auf seine Reise in die Unabhängigkeit. Neben gewöhnlichen Camping Utensilien mit ein paar Werken seiner Lieblingsautoren Tolstoi, London und Thoreau ausgestattet, dauert die darauffolgende Tramperfahrt zwei Jahre. Während er sich mit Gelegenheitsjobs in Fast Food Restaurants das (doch) notwendige Kleingeld verdient, beim Wildwasserrafting auf dem Colorado River seine Risikobereitschaft auslebt und sich auf Güterzügen als blinder Passagier seiner persönlichen Frontier näherbringen lässt, wächst der immer stärker werdende Wunsch nach seinem endgültigen Reiseziel: Alaska.
Doch nicht nur angehende Selbständigkeit und Berührung mit der (fast) unberührten Natur (hierbei konterkarieren gerade die Bilder der betonierten Flussbetten vor Los Angeles die des Colorado) kennzeichnen die zwei Jahre vor der schließlichen Abgeschiedenheit am Fuß des Mount McKinley im nördlichsten US Bundesstaat. Bewegend intensive Freundschaften prägen paradoxerweise das Leben des sprunghaften Idealisten auf seiner Abschiedsreise.
Die von Jon Krakauer mühsam recherchierten und rekonstruierten letzten Berührungen McCandless mit der Zivilisation verblüffen generell in ihrer Konstellation den Verlauf seines Ausreißerdaseins und werden von Penn gekonnt aufgegriffen, effektvoll inszeniert und mithilfe zahlreicher Flashbacks in den chronologischen Ablauf geschnitten. Und genau hier gewinnt der Film seine überwältigende Stärke: den ständigen, sich zu einem schicksalhaften Höhepunkt aufbauenden Kontrast zwischen der Gesellschaft und der endgültigen Eigenständigkeit verschärfen den tieferen selbstzerstörerischen Charakter McCandless. Mit einer enervierenden Sturheit zerstört der junge Sympathieträger die intensiven Begegnungen mit anderen Außenseitern der Mainstream Gesellschaft und schafft es ausnahmslos jedes mal diese sogar dazu zu bringen, ihn seinem Lebenstraum sprichwörtlich näherzubringen. Ob nun alternde Hippi-Nomaden ihn aufgrund seiner Einfühlsamkeit nahezu verehren, er einem jungen Mädchen in einer Trailer Gemeinschaft am Rand der Wüste als die erste Liebe gilt oder ihm von einem verwitweten Rentner die Adoption (!) angeboten wird, sie alle ahnen sein Schicksal und lassen ihn doch gewähren. Wie könnte man einem belesenen und gutaussehenden jungen Mann seinen einzigen Wunsch ernsthaft aus dem Kopf zu schlagen versuchen, scheinen sich die gut gecasteten Nebendarsteller zu fragen und auch der Zuschauer im auf einmal ungemütlich bequemen Kinsosessel gerät darüber ins Grübeln.
Die Tränen in den Augen des talentierten Emile Hirsch, beim Anblick eines Rudels wilder Rentiere, vermitteln am besten jene Sehnsüchte nach unberührter Wildnis. Wenn sich aber diese Tränen aufgrund der unangenehm clever gewählten Montageschnitte mit den Tränen seiner Mitmenschen, die beim schweren Abschied stets Gefühle zeigen, zu mischen beginnen, steuert der Film auf seine wohl wichtigste Aussage hin. Dass alle Schönheit dieser Welt nichts bedeutet, hat man keinen mit dem man sie teilen kann: Happiness is only real when shared kritzelt der lebensschwache McCandless in einem Anflug letzter Katharsis in eines seiner Büchlein kurz vor seinem Hungertod.