Großbritannien/F/D 2011 · 99 min. · FSK: ab 12 Regie: Tanya Wexler Drehbuch: Jonah Lisa Dyer, Stephen Dyer Kamera: Sean Bobbitt Darsteller: Maggie Gyllenhaal, Hugh Dancy, Jonathan Pryce, Felicity Jones u.a. |
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Auf jede Befreiung folgt eine neue Gefangennahme |
Eigentlich könnte man (und frau) regelmäßig verzweifeln angesichts der Persistenz gängiger geschlechtspezifischer Sozialisation. Seien es Macht- oder Einkommensverhältnisse, interne Haushaltsabläufe- und Erziehungsmuster – es scheint, als seien gegenwärtig die Frauen ebenso wenig interessiert wie die Männer, weiterhin gegen die klassischen Genderstrukturen aufzubegehren. Ist es Desinteresse, Mutlosigkeit oder einfach Faulheit? Die auf Genderfragen spezialisierte Sozialpsychologin Helga Bilden konstatierte schon 1990 etwas entmutigt, dass die nicht auszutreibende Frage nach den geschlechtsspezifischen Unterschieden fast zwangsläufig auf die Konstruktion eines männlichen und weiblichen Sozialcharakters hinausläuft. Damit reproduzierten wir die polarisierende gesellschaftliche Konstruktion der zwei Geschlechter einfach. Erstaunlich wenig hat sich seit ihrer Feststellung geändert. Nicht einmal die virtuelle Realität – lange Zeit als dekonstruktivistische Wunderwaffe gehandelt – hat zerstört, was kaputt gehört.
Dass die Dinge möglicherweise nicht ganz so entmutigend sind und man gesellschaftliche Entwicklungen vielleicht mit größeren Atemzügen durchstreifen und bewerten sollte, zeigt schön und berührend, wenn auch manchmal ein wenig klischiert Tanja Wexlers viktorianischer Kostümfilm In guten Händen.
Was heute Twitter und Facebook sind, war damals der Strom, die Elektrizität, die mehr und mehr in den Dienst einer zunächst unkontrollierten gesellschaftlichen Entwicklung gerät: erste Telefonate überschreiten ebenso Grenzen wie die noch in den Kinderschuhen steckende moderne Medizin. So nimmt es auch nicht Wunder, dass eine historisch verbriefte Standardbehandlung für an Hysterie »erkrankte« Frauen – die auf dem gynäkologischen Stuhl ärztliche verordnete und vollzogene Masturbation – wegen Tennisarmkomplikationen der Technik überantwortet wird und der erste Vibrator das Licht der Welt erblickt. Die hier angedeuteten Gegensätze zwischen viktorianischer Prüderie und fast krankhaft instrumentalisierter Sexualität werden von Wexler lustvoll in eine wechselhafte Liebesgeschichte eingebettet, an der exemplarisch vorgeführt wird, was es damals, vor nicht einmal 150 Jahren, nämlich noch nicht gab: Frauen, die zur Wahl oder zur Universität gehen durften, dafür eine Armut, die gerade noch durch koloniale Spiegelungen schwärzerer Realitäten gerechtfertigt werden konnte, aber schon in den Bann erster, zarter, sozialistischer Diagnosen geriet. Und nicht anders als heute die neuen Medien, waren es auch in den 1880ern neue Technologien, die das Fundament für grundlegende Reformen der Gesellschaft bilden.
Dass Wexler die im realen Kern viktorianischer Zeiten angelegte Groteske dabei nicht zum Klamauk entgleitet, liegt vor allem an ihrem – wenn auch mitunter etwas holzschnittartigen – soziologischen Blick, der sich unter anderem auf die Details damaliger Moden und Rituale richtet und einem immer wieder intelligenten Drehbuch, das mehrschichtig und dennoch leicht genug agiert, um zu unterhalten. Auch das Ensemble überzeugt bis in die Nebenrollen, allen voran die beiden antagonistischen Frauentypen damaliger und (irgendwie) auch heutiger Zeiten: die „Mystische“, die gerettet werden will, hier Emily (Felicity Jones) und ihre „Realo“-Schwester Charlotte (Maggie Gyllenhaal), die Feministin und Sozialistin, die den Vibrator-Erfinder Joseph Mortimer Granville (Hugh Dancy) vor kaum zu lösende berufliche und emotionale Rätsel stellen. Aber bei aller versöhnlich- und berührend-romantischer Komödie bleibt dann doch so etwas wie ein bitterer Nachgeschmack, denn einmal mehr wird aus dem Blickwinkel der Geschichte technologischer Entwicklung schließlich deutlich, dass jeder Befreiung gleichsam eine neue Gefangenschaft innewohnt.