In Liebe, Eure Hilde

Deutschland 2024 · 125 min. · FSK: ab 12
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch:
Kamera: Judith Kaufmann
Darsteller: Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner, Alexander Scheer, Emma Bading u.a.
In Liebe, Eure Hilde
Alles ganz normal: Picknick am See
(Foto: Pandora)

Die Gegenwärtigkeit der Gestrigkeit

Andreas Dresen erzählt so souverän wie subtil über den Widerstand im Dritten Reich. Und so alltäglich, als wäre es heute. Politischer geht es kaum.

Andreas Dresens In Liebe, Eure Hilde hat im Wett­be­werb der dies­jäh­rigen Berlinale keinen Preis gewonnen. Das mag verwun­dern, denn Dresens Film ist so gegen­wärtig und politisch relevant gewesen wie kaum ein anderer Film des dies­jäh­rigen Wett­be­werbs. Doch gerade das ist viel­leicht auch seine größte Schwäche – um zumindest einen Preis zu gewinnen. Denn Dresens Film stellt jeden Zuschauer vor den vers­tö­renden Spiegel einer Vergan­gen­heit, die in den ersten zwanzig Minuten so insze­niert ist, als wäre es unsere Gegenwart. Und jeder weiß nach diesen zwanzig Minuten, dass das, was dann passiert bzw. passieren wird, auch morgen in unserer nahen Gegenwart passieren wird und dass es wohl bald an der Zeit ist, dass auch wir uns entscheiden, wie wir handeln werden. Schweigen und viel­leicht leben oder sich wehren und viel­leicht sterben.

Dresen, der sich in seinen späteren Filmen immer öfter konfron­ta­tiver Themen ange­nommen hat, sei es in Wolke 9 (2008), Halt auf freier Strecke (2011), Gunder­mann (2018), Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush (2022), begibt sich auch in In Liebe, Eure Hilde auf schwie­riges Terrain. Denn zum einen ist die filmische Verar­bei­tung von Wider­stand im »Dritten Reich« fast schon ein alter Hut und ein fast schon autarkes, wild­wu­cherndes Genre, zum anderen wählen sich Dresen und seine Dreh­buch­au­torin Laila Stieler eine Wider­stands­gruppe aus, der zwar in der DDR, aber kaum in der BRD gedacht wurde und die vor allem nicht die charis­ma­ti­schen Leit­bilder hatte, wie es viel­leicht die mit Personen klar umris­senen Wider­stands­herde Weiße Rose, Georg Elser oder Stauf­fen­berg hatten. Denn die Rote Kapelle, von der Dresen und Stieler berichten, war eigent­lich keine »klas­si­sche« Wider­stands­gruppe, sondern nur der Fahn­dungs­name, unter der die Gestapo gegen Gruppen ermit­telte, die Wider­stand gegen den Natio­nal­so­zia­lismus leisteten. Dazu gehörten die Freun­des­kreise um Harro Schulze-Boysen, Arvid Harnack, Ilse Stöbe und weitere Gruppen in Berlin/Bran­den­burg, sowie unab­hängig von diesen auch Gruppen in Paris und Brüssel, die Leopold Trepper im Auftrag des sowje­ti­schen mili­täri­schen Nach­rich­ten­dienstes aufgebaut hatte. Es war also keine zentral gelenkte oder unter einheit­li­cher Führung operie­rende Gruppe, sondern ein Netz einzelner Gruppen und Personen aus unter­schied­li­chen Regionen, die sich auf ca. 400 Personen beliefen.

Um diesem Konglo­merat des Wider­stands ein Gesicht zu geben, erzählt Dresen von einem Liebes­paar, das im Umfeld von Harro Schulze-Boysen operierte, Hilde Coppi (Liv Lisa Fries) und Hans Coppi (Johannes Hegemann). Diese fast unschein­bare, weil alltäg­liche Konstel­la­tion ist dann auch die große Stärke von Dresens Film. Denn sie ermög­licht ihm, das ganz normale Leben eines Freun­des­kreises zu zeigen. Die Treffen am See, Picknicks, das Schwimmen im See, der Alltag in der Stadt, die kleinen Freuden des Alltags.

Weil Dresen diesen Bildern in den ersten Minuten keine histo­ri­sche Kontur gibt, keine der klas­si­schen, bekannten Marker setzt, meint man sich fast in der nahen Gegenwart zu befinden, kann das alte Motorrad, auf dem Hans und Hilde verliebt durch die Land­schaft fahren, auch einfach nur ein Oldtimer-Modell sein.

Doch schon bald wird natürlich deutlich, wann und wo sich dieser Film und diese Geschichte befinden, im Jahr 1942. Es herrscht Krieg in Deutsch­land und es gibt Menschen, die diesen Krieg nicht wollen und das System ablehnen, in dem sie sich zwar lieben können, aber in dem sie nicht leben wollen. Doch auch hier gelingt es Dresen, alle großen, heroi­schen, helden­haften, rühr­se­ligen, aber auch fast alle grausamen Momente, die Wider­stands­filmen sonst eigen sind, in ein alltags­ar­tiges Tableau zu über­führen, das schon fast erschre­ckend alltäg­lich ist. Selbst die Gefäng­nis­wärter:innen sind hier keine der üblichen, bösen Über­zeu­gungs­täter:innen, sondern Menschen wie du und ich bzw. wie Hans und Hilde. Dadurch zeigen Dresen und Stieler nicht nur, wie zufällig man oft im Wider­stand landet, sondern auch wie zufällig man oft zum Täter wird.

Gleich­zeitig rela­ti­viert Dresen damit nichts und niemanden. Vielmehr zeigt er, wie schnell der »richtige Zeitpunkt« verstrei­chen kann, Wider­stand zu leisten, und wie schwer es ist, sich aus dem Phlegma des eigenen Alltags und des Alltags­blicks zu befreien und zu handeln.

Das ist nicht nur großartig und subtil geschrieben und insze­niert, sondern auch von einem groß­ar­tigen Ensemble beein­dru­ckend gespielt. Dabei ist Dresen dann auch fast so etwas wie ein perfekter »Fami­li­en­film« gelungen, denn sowohl jungen Erwach­senen als auch älteren Erwach­senen sollte bei diesen Bildern, bei dieser Geschichte ein Schauer des Erkennens und Erwachens über den Rücken laufen, der In Liebe, Eure Hilde dann fast zu so etwas wie einer perfekten Hand­lungs­an­wei­sung für kommende Tage macht.