USA/F 2013 · 105 min. · FSK: ab 6 Regie: Ethan Coen, Joel Cohen Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen Kamera: Bruno Delbonnel Darsteller: Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman, Garrett Hedlund, Justin Timberlake u.a. |
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Die Katze wurde ins Spiel gebracht, um die »dünne Geschichte« anzureichen, so die Coen-Brüder |
»Lord I’m one, Lord I’m two, Lord I’m three, Lord I’m four, Lord I’m 500 miles from my home«, säuselt es von der Bühne eines kleinen New Yorker Clubs, irgendwo in Greenwich Village der 1960er Jahre. Die drei Folk-Musiker Jim, Jean und Troy blicken sanftmütig in die Ferne, während sie diese Zeilen hauchen. Als langsam das gesamte Wollpullover-Publikum schunkelnd in das Lied einsteigt und Lagerfeuerromantik verbreitet, blickt nur eine Person völlig irritiert um sich: Llewyn Davis, der Titelheld von Inside Llewyn Davis, dem neuen Film von Joel und Ethan Coen. Llewyn Davis ist selbst Folk-Sänger, hat aber wenig übrig für volkstümelnde Schmonzetten und möchte lieber mit der Gitarre seinen Weltschmerz poetisch kundtun. Dass man mit solchen Liedern nicht so schnell Erfolg hat, erfährt der Musiker am eigenen Leib: Geld hat er keins, eine Wohnung schon gar nicht – nur einen wunderlichen Manager, der sich nicht um ihn kümmert.
Oscar Isaac, der im Film selbst musizieren und singen durfte, verkörpert Davis mit resignierter Melancholie; seine Darstellung wird fraglos dadurch glaubwürdiger, dass er auch im echten Leben als Musiker arbeitet. Schon in Nicolas Winding Refns Drive durfte Isaac einen Charakter spielen, dem das Schicksal einen Schlag nach dem anderen verpasst. In Inside Llewyn Davis will dem Protagonisten zwar niemand tatsächlich ans Leder, dieser hat dafür aber mit materiellen Nöten und Frauenproblemen zu kämpfen. Da hilft es nicht, dass er Jean, die Freundin von Jim, geschwängert haben soll. Carey Mulligan hat im Film als Jean leider wenig mehr zu tun, als Davis mit allen erdenklichen Schimpfwörtern zu bombardieren, Justin Timberlake hingegen kann als Jim sein komisches Talent beweisen und als verträumter Erfolgssänger auftreten, dessen Bart ebenso weich wie seine Stimme sein dürfte.
Besonders weich erscheinen auch alle Konturen der Bildkomposition, die sich in das artifizielle Konzept des Films eingliedert. Denn das New York der 1960er Jahre, das die Coen-Brüder mit Production Designer Jess Gonchor entwerfen, ist so überzogen detailgetreu ausgestattet, dass man keine Sekunde vergisst, wie entrückt die historische Scheinwelt tatsächlich ist; die Figuren der Coens laufen durch ein Freilichtmuseum der Filmgeschichte. Der Effekt ist hier ähnlich stark wie bei A Serious Man oder No Country for Old Men, bei denen Gonchor ebenfalls Drehorte und Szenenbilder mitbestimmte. Doch Inside Llewyn Davis ist an keiner Stelle so eindringlich wie die anderen beiden Filme. Gerade die erste Hälfte des Films besteht aus einer Reihe seichter Gags, die nicht sonderlich bissig das damalige Folk-Revival kommentieren und oft nur albern geraten.
Der Ton des Films schlägt aber um, als Davis mit einer Mitfahrgelegenheit nach Chicago reist, um dort einen Auftritt im berühmten Gate of Horn zu ergattern. Die lange Autofahrt wird zu einer schauderhaft surrealen Erfahrung, nicht zuletzt dank der beiden Begleiter: Ein pöbelnder Jazz-Musiker und sein wortkarger Chauffeur mit Lyriker-Ambitionen. So eine Konstellation mag nach schräger Coen-Komödie klingen, die Bilder sind jedoch überwiegend von Tristesse durchdrungen, die den gesamten Ausflug anhält.
Allmählich entfaltet Inside Llewyn Davis einen tragikomischen Blick auf das Leben, der absolut keine klaren Antworten parat hält. Wenn Davis einmal seinen Vater im Pflegeheim besucht und ihm eine ehrlich anrührende Seemanns-Ballade vorspielt, bleibt bis zum Schluss offen, ob der Vater wirklich auf den Lebensentwurf seines Sohnes scheißt – trotz aller Andeutungen. Hier zeigen sich die Inszenierungskünste der Coens, die noch nie einen so phlegmatisch dahin treibenden Film gedreht und dabei treffend das Leben eines talentierten aber unbeachteten Musikers geschildert haben. Mit bitterer Ironie zeigt das Ende, wie unterschiedlich ähnliche Biographien verlaufen können: Davis verlässt den Nachtclub, während eine gebückte Jungengestalt die Bühne betritt, um mit Bob Dylans gepresster Stimme loszulegen. Zwei Unbekannte, von denen einer Weltruhm erlangen würde. Und trotz solcher pointierter Momente bleibt alles zu leicht verdaulich, als ließe man sich von der seichten »Peter, Paul and Mary«-Nummer berieseln, gegen die der Titelheld doch so verzweifelt ansingt.
Kann ja sein, dass ich irgendwas einfach nicht begreife. Auch Kritiker haben Grenzen. Aber was bitte, soll an diese Film eigentlich so toll sein? Außer, dass man Filme von den Coen-Brüdern offenbar prinzipiell lustig finden muss. Finde ich ja auch, meistens jedenfalls. Aber Inside Llewyn Davis... ja, das ist nicht nur ein überschätzter Film, es ist, ich wage die Behauptung, einer der schlechtesten Filme dieses oft genug genialen Brüderpaares.
Aber der
Reihe nach...
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John Goodman ist im Trailer fast genauso lang zu sehen, wie im kompletten Film, und auch sonst sollten alle, die keine Hardcore-Fans der Coen-Brüder sind, hinterher jedenfalls nicht sagen, wir hätten sie nicht gewarnt. Was auf den ersten Blick wirkt wie ein zweiter Aufguss von The Big Lebowski, ist recht öde, und noch nicht mal halb so witzig, aber doppelt so gewollt. Einzig Set und Dekoration des Films sind großartig.
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Am Anfang ist Hopfen und Malz verloren. Jedenfalls für Llewyn Davis. Der ist Folk-Musiker, der in einer Dreierband vor sechs Leuten im New Yorker East Village schlechte Musik macht, sich mit dem Wirt um die – welche eigentlich? – Gage streitet und beim Luftschnappen ordentlich ein paar aufs Maul bekommt – was nicht nur an der schlechten Musik liegt.
Solche Figuren nennt man dann in Kritiken gern »sympathische Loser«. Wirklich? Sympathisch? Wer würde mit Llewyn Davis denn gern einen Abend verbringen? Mal ganz ehrlich?
Manche nennen ihn dann auch einen Anti-Helden. Besser wäre Non-Held. Davis hat einen Vollbart, wie ihn derzeit in Berlin am Prenzlauer Berg jeder zweite Jüngling zwischen 28 und 38 trägt, auch sonst ist er ein Hipster par excellence: Arrogant, destruktiv, humorlos, intellektuell, aber nicht intelligent.
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Was war eigentlich Folk, bevor ihn Bob Dylan für die Massen aufbereitete? Ein Hobby für ältere Damen und der Zeitvertreib einiger passionierter Nerds – jedenfalls, wenn man den Coen-Brüdern folgt. Inside Llewyn Davis portraitiert einen dieser erfolglosen Musiker, die 1961 vor 20 Leuten in Nachtclubs singen, immer in der – meist vergeblichen – Hoffnung auf den Durchbruch.
Man kann nun nicht sagen, dass dieser Llewyn Davis (Oscar Isaac) sehr sympathisch wäre. Ein Schnorrer, Schwindler und Versager, dem der Film durch zehn Tage seines Lebens folgt. Nacht für Nacht sucht er einen neuen Platz zum Schlafen und landet dann meist bei befreundeten Musikern wie Jim (Justin Timberlake). Was macht ein erfolgloser New Yorker Musiker ohne ein Zuhause auch sonst? Das ist so eine der Fragen, die uns hier über den Film helfen sollen. Oder: Was passiert, wenn er fast jede Nacht auf einer anderen Couch schläft (nicht viel) und dabei die Frau eines Freundes schwängert – dazu gehören ja nun mindestens zwei, man sieht es aber im Film sowieso nicht, sondern hört nur einem Gespräch zu über die Abtreibung. Carey Mulligan spielt diese Jane so müde und schlafwandelnd und uninteressant, wie sie noch nie war.
Llewyn Davis lebt für die Folkmusik, doch der große Durchbruch lässt auf sich warten. Oscar Isaac spielt den Titelhelden prägnant als Stadtneurotiker auf Woody Allens Spuren, der Frauen und Freunde schlecht behandelt. Überhaupt sind hier die Coens wie schon im – ungleich besseren, auch witzigeren – A Serious Man im Allen-Terrain: Nostalgie, Musik, Akademikermilieu, New York. Dies ist ein ungewöhnlicher Coen-Film, weil er in jeder Hinsicht dezent ist: Der Witz ist so zurückgenommen wie der Plot. Die Machart allerdings ist perfekt: Von der heruntergekommenen Ausstattung der Studentenwohnungen in Greenwich Village bis hin zu eleganten Kamerafahrten die zeigen, wie der Titelheld immer aufs Neue (Vorsicht: Running Gag) vergeblich versucht, einen orange getigerten Kater wieder einzufangen, und die Stanley Kubrik auch kaum besser hätte filmen können.
Die Presseagentur schreibt dazu: »Doch Llewyn kann seine Gefühle nur in der Musik und nicht im echten Leben äußern, und so lässt er sich weitertreiben – von New York bis Chicago und wieder zurück, ganz wie die Figuren in den Folksongs.« Man könnte auch sagen: Und wenn er nicht gestorben ist, dann pendelt er noch heute.
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Vor allem ist dies aber immerhin ein wunderschönes Portrait des winterlichen New York und des Lebens Anfang der Sechziger, als vieles, wie man hier sehen kann, noch um einiges unkomplizierter war. Lange plätschert das Alltagsleben der Figuren sehr angenehm so vor sich hin, dann übernimmt die subtile schwarze Komödie über das Musikerbusiness die Führung. Wenn wieder mal ein Folk Song über die volle Dauer ausgespielt wird, ist man ganz auf der Seite des Plattenproduzenten, der cool zusammenfasst: »I don’t see a lot of money here.«
Dann aber spielt am Ende Bob Dylan in Llewyns Club und so gewannen die Coens in Cannes doch noch einen Preis, diesmal war es der »Große Preis der Jury«.
Witzigkeit kennt keine Grenzen in diesem grundsätzlich so sinnlosen wie langweiligen Film über einen Haufen fast durchweg unsympathischer Figuren. Und mehr über die Folk-Szene – das will auch keiner wissen. Noch nicht mal die Coen-Brüder, die von einer Musik erzählen, die es nie gab, so wenig wie Llewyn Davis. Wie gesagt: Hopfen und Malz verloren. Ein völlig uninteressanter belangloser Film, eine Beleidigung des Verstandes der Zuschauer – egal was man jetzt darüber
erzählt.
Am Ende ist wieder Anfang. Da hilft es auch nicht mehr, dass Llewyn Davis endlich ordentlich ein paar aufs Maul bekommt. Sagen Sie nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt.