Inside Man

USA 2006 · 129 min. · FSK: ab 12
Regie: Spike Lee
Drehbuch:
Kamera: Matthew Libatique
Darsteller: Denzel Washington, Clive Owen, Jodie Foster, Willem Dafoe, Christopher Plummer u.a.
Washington & Foster

Drinnen gegen draußen

Wer hier drinnen, und wer draußen ist, bleibt vorerst unklar – der neue Film von Spike Lee (Do the Right Thing, Malcolm X, 25th Hour) ist ein Thriller in der ehrwür­digen Tradition des »Heist-Movies«; Rififi trifft Hundstage. Doch dieser Thriller hat Tiefgang, und am Ende ist nicht nur alles anders, als es schien, auch im Gewand des Genre­films und in wunder­barem Stil setzt Spike Lee noch seine Desil­lu­sio­nie­rung des ameri­ka­ni­schen Traums fort, und bietet scharfe Kritik an Rassismus und sozialen Verhält­nissen.

Geschmeidig gleitet die Kamera über die Szenerie, hebt und senkt sich, verharrt zitternd einen Augen­blick wie ein Panther vor dem Sprung, spürbar nicht »fest­ge­stellt«, sondern aus der Bewegung heraus. Solche Kame­ra­be­we­gungen sind charak­te­ris­tisch für die Filme Spike Lees, der eben längst nicht nur in politisch enga­gierter, unab­hän­giger Regisseur ist und seit über 20 Jahren das Aushän­ge­schild des »New Black Cinema« in den USA, sondern zual­ler­erst ein Meister des Filme­ma­chens. Inside Man ist einer jener Filme, bei denen man sich schon von der ersten Minute an gut aufge­hoben fühlt, man kann sich leiten lassen von diesem Film, dem Film und seinen flir­renden Bildern vertrauen. Weil sie nie mehr verspre­chen, als sie halten.

Die ersten Bilder von Lees neuem Film zeigen – über­ra­schender- und wunder­ba­rer­weise zum Hindi-Song »Chaiyya Chaiyya« von A.R. Rahman – das Gerüst einer Achter­bahn, ein verwir­rendes Geflecht aus Streben, das die dahinter stehende Ordnung ganz gut verbirgt. Es ist nicht irgend­eine Achter­bahn, sondern der legendäre hölzerne »Cyclone« aus den besseren Tagen von Coney Island, dem alten Verg­nü­gungs­viertel von Lees Heimat­stadt New York, das schon länger nicht den aller­besten Ruf hat. Sofort kennen wir den Ort, sind wir drin. Der Verweis auf Coney Island ist kein zufäl­liges Zeichen. »Dreamland« und »Luna Park« heißen hier die Attrak­tionen. Coney Island ist ein klas­si­sches Symbol der ameri­ka­ni­schen Unter­hal­tungs­in­dus­trie. Spike Lee kehrt damit für einen kurzen ersten Augen­blick nach Brooklyn zurück, wo seine ersten Filme spielen, und wovon er immer wieder erzählt, doch er zugleich ist es ein bestimmter Ort Brooklyns: Die billige, aber zauber­haft schöne Unter­hal­tung, die Attrak­tion für Kinder, zugleich das kollek­tive Unter­be­wusst­sein der USA – all das ist Coney Island, und damit auch, wie heute das Kino, ein Labo­ra­to­rium der Ängste und Wünsche dieser Gesell­schaft. In Coney Island spielte auch Darren Aron­ofskys Requiem for a Dream. Das könnte auch ein Titel für diesen Film sein, und ist auch sonst nicht ein völlig zufäl­liger Einfall: Denn der Kame­ra­mann dieses Film war Matthew Libatique, mit dem jetzt gerade Spike Lee arbeitet, der, unge­wöhn­lich für einen Regisseur wie ihn, mit wech­selnden Kame­ra­leuten arbeitet, und doch immer seinen Lock behält, bestimmte charak­te­ris­ti­sche Einstel­lungen und Kame­ra­be­we­gungen. Lees/Liba­ti­ques Kamera führt uns dann weiter von Coney Island und Brooklyn nach Manhattan, ins Börsen- und Banken­viertel um die Wall­s­treet. Später dann bringen Schnitte eine andere Form vom Bewegung auf die Leinwand; sie sind schnell, aber nie so schnell, dass der Zuschauer den Überblick verliert.

Schon diese Anfangs-Einstel­lungen ziehen den Betrachter nicht nur ins Geschehen. In der Art, wie sie elegant und lässig eine Atmo­s­phäre erzeugen, sie signa­li­sieren auch worum es geht. Denn Inside Man, der im besagten Finanz­di­strikt von New York spielt, ist selbst ein Film wie eine Achter­bahn­fahrt: Voller Auf und Abs, mitreißend und rasant, mitunter erschre­ckend, und dabei höchst vergnüg­lich.

»Passen Sie gut auf, alles was ich sage hat eine Bedeutung« – dieser Satz fällt in den Anfangs­mi­nuten, und damit hat Lee das Maß gesetzt, das auch seine Zuschauer nicht unter­schreiten dürfen. Im Zentrum steht der Überfall auf eine Privat­bank. Dies ist der Ort, und wenn der Überfall vorbei ist, ist auch der Film zu Ende. Zu Beginn erzählt der Gangster Dalton Russell (Clive Owen), der offenbar gerade noch im Gefängnis sitzt, und sich selbst für überaus gescheit hält, und dies im Folgenden auch beweist von seinem Plan: Er werde den perfekten Raub begehen, »nun, weil ich es kann«, verkündet, er, und macht sich gemeinsam mit drei Kollegen an die Tat. Die vier riegeln die Bank ab, nehmen über 50 Geiseln. Die Polizei ist schnell alarmiert und umzingelt unter Leitung von Detective Keith Frazier (Denzel Washington) das Gebäude. Nun beginnt ein Nerven­krieg, der seinen beson­deren Reiz neben der glän­zenden, dabei unkon­ven­tio­nellen Insze­nie­rung Lees und bis in die Neben­rollen exzel­lenten Darstel­ler­leis­tungen vor allem durch den höchst irri­tie­renden Verlauf der Geisel­nahme erhält.

Von Anfang an ist klar: Da stimmt was nicht, da kommt noch was, und es ist so einiges, was da noch kommt. Es beginnt damit dass die Gangster, offenbar mehr als gut vorbe­reitet, und von Anfang an auf eine Geisel­name einge­stellt, ihre Geiseln einschüch­tern – »Anyone else here, smarter than me?« – zwingen, alle Privat­sa­chen abzugeben, und – »Strip down to your underwear.« – ihre Kleidung auszu­ziehen. Sie bekommen iden­ti­sche, sack­ar­tige schwarze Plastik-Kleidung. Nicht nur, dass dieses demü­ti­gende Verfahren erste Erin­ne­rungen an die Verhält­nisse von Guan­ta­namo wachruft – und weil es Gangster sind, die da tun, »darf« Spike Lee so etwas im Main­stream­film unter­bringen –, ist das inter­es­sant. Man versteht auch sofort, was die Täter wollen. Sie anony­mi­sieren ihre Opfer, berauben sie äußerer Iden­ti­täts­merk­male, um sich dann, irgend­wann später unter ihnen verste­cken zu können, um Täter und Geiseln unun­ter­scheidbar zu machen. Und unter den Geiseln haben sie überdies Verbün­dete, über die auch der Kino­zu­schauer unsicher ist. Verwir­rung pur – und uns geht es da nicht anders, als den Geiseln drinnen, und der Polizei vor der Bank. Darin, dass wir nicht klüger sein dürfen, als die Prot­ago­nisten, liegt der Reiz dieses souverän insze­nierten Thrillers.

Weitere Verun­si­che­rungen: Der Chef der Bank Arthur Case (schon im Namen ein Gerichts­fall: Chris­to­pher Plummer), der in einem Hoch­hau­büro mit Art-Deco-Möbeln und Buddha-Statue residiert, reagiert ganz und gar nicht buddhis­tisch gelassen, sondern zeigt die nackte Angst und heuert eine extrem einfluss­reiche poli­ti­sche Lobby­istin Madeline White (und auch dieser Name ist bei Lee wie alles kein Zufall) an, um mit den Geisel­neh­mern abseits der Polizei zu verhan­deln, und so ein schmut­ziges, zunächst nicht näher defi­niertes Geheimnis zu bewahren, dass in einem der Banksafes ruht: »I prefer, that nobody ever touches my safe deposit box.«

Jodie Foster spielt jene bitchy Miss White, die die Mächtigen, die mit ihr auf Geschäfts­essen gehen, hinter ihrem Rücken als »cunt« bezeichnen. Sie selbst charak­te­ri­siert sich: »I got were I am by collec­ting friends, not enemies.« Zwischen ihr und Frazier, den beiden Intel­li­gen­testen vor der Bank, entspinnt sich ein eigenes, beson­deres Katz-und-Mausspiel. Es ist eine besondere Lust Washington bei der Routine des Verhan­deln, Pizza Delivery in die Bank, Weiter­ver­han­deln zuzusehen. Am Rande des Knall­char­gen­tums, ließt die Selbst­ge­fäl­lig­keit seiner Figur mit der eigenen zusammen. Er trägt einen Panama-Hut und einen ganz dünnen Schnurr­bart, grinst ständig, antwortet lakonisch-cool: »Were you scared in it?« – »No, I am from Brooklyn.«

Das Drehbuch, ein phäno­me­nales Debüt für Autor Russell Gewirtz, ist an den Haaren herbei­ge­zogen und überaus konstru­iert – seine Genia­lität liegt darin, dass das gar nichts ausmacht. Es verknüpft hier Rififi und das Heist-Genre­thema des perfekten Verbre­chens mit dem des Banküber­fall-Nerven­kriegs aus A Dog Day Afternoon (dt. Hundstage) und einem Para­noi­a­thriller a la Three Days of the Condor. Inside Man ist wie schon dieser Titel überaus komplex und viel­schichtig. Das mag, wie US-Medien, (die Lee tradi­tio­nell bashen, weshalb man hier auch auf negative US-Kritiken nichts geben sollte) nicht müde werden, zu wieder­holen, »der main­strea­m­igste Spike-Lee-Film aller Zeiten« sein, aber im Gewand dieses packenden Gangs­ter­stoffes schmug­gelt Spike Lee – wie Cronen­berg in A History of Violence – sein poli­ti­sches Enga­ge­ment mit Leich­tig­keit: Er zeigt die Korrup­tion der Reichen und Mächtigen, den insti­tu­tio­nellen und sozialen Rassismus, er klagt die Alltags­praxis der US-Polizei an, die hyste­risch agiert, Geiseln mit Verbre­chern in einen Topf wirft, die Rechte braver Bürger mit Füßen tritt.

Eine der vorab frei­ge­las­senen Geiseln ist ein Sikh mit einem Turban. Als die Poli­zisten seine schwarze Kleidung herun­ter­reißen, schreit einer: »It’s a fuckin' Arab.« Auch sonst macht sich Inside Man ein Vergnügen aus kultu­rellen Verwir­rungen. Frazier verwech­selt Albanien und Armenien – ein Witz, der vielen Ameri­ka­nern vermut­lich noch nicht einmal auffällt –, ein Jude wird nach Diamanten gefragt. Vor allem hier ist Inside Man stark, und das alles ist auch ein Kommentar zum »War against Terror«, zur Paranoia im New York nach dem 11. September und der Absur­dität der poli­ti­schen Reak­tionen.

Gerade die Geiseln in der Bank geben Lee Gele­gen­heit nebenbei etwas über die gegen­wär­tige US-Gesell­schaft, ihre Rassen­span­nungen und sozialen Span­nungen zu erzählen. Ein kleiner schwarzer Junge, das ein ultra­ge­walt­tä­tiges Compu­ter­spiel mit Titel »Kill that Nigger« spielt, ist Anlass für bitter-sarkas­ti­sche Lektionen über Medien. Manche nehmen Spike Lee jetzt übel, dass er seinen Ursprüngen im »New Black Cinema« trotzdem nicht treu genug bleibe. Aber das sind aber alberne und neben­säch­liche Gedanken. Außerdem bleibt er ihnen treu. Nicht freilich, indem jeder Weiße, der durchs Bild läuft, gleich ein Bad Guy ist, indem jeder Schwarze einmal rassis­tisch beleidigt, oder von einem Poli­zisten grundlos geschlagen wird. Aber so war es ja noch nie bei Lee. Er bleibt seinen Ursprüngen treu, indem er Macht zeigt, indem er uns ganz subtil auf die andere Seite zieht, die jenseits der Macht. Spike Lee bleibt auch hier auf der Straße, bleibt bei den normalen Menschen. Um manches hingegen geht es gar nicht. Um Psycho­logie etwa. Darum glaubten manche, auch kluge US-Kritiker, man könne dem Film flache Charak­tere vorwerfen, oder, dass die Grup­pen­kon­stel­la­tion im Gegensatz zu Klas­si­kern des »Heist-Genres« nicht auf ihre inneren Brüche hin drama­ti­siert sei. Aber Spike Lee will David Mamet keine Konkur­renz machen. Ihn inter­es­sieren die Probleme alter Männer nicht. Auch »Whodunnit«-Rätse­leien sind ihm egal. Anstelle dessen geht es um das System und um Typi­sie­rungen. Reprä­sen­ta­tion statt Indi­vi­dua­lität, Sozio­logie statt Psycho­logie.

Auch darum schmiedet der Film am Ende ein klamm­heim­li­ches Bündnis zwischen Poli­zei­de­tektiv und Gangster, die einander viel ähnlicher sind, als sie zunächst glauben (wollen). Sie machen sich keine Illu­sionen: »When there is blood on the streets, buy property.« Denn die wahren Gangster, damit darf man bei diesem Regisseur rechnen, sind die die Bankräuber, sondern die Bank­be­sitzer: »It was 60 years ago, I was young and ambitious. I sold my soul and I try to buy it back ever since.« Man sagt Lee gern anti­se­mi­ti­sche Neigungen nach. Hier beweist er das Gegenteil. Ein Teil seiner – guten – Gangster entpuppen sich als Juden, die einen alten Nazi-Freund fertig­ma­chen. »I was stealing from a man, who treated us away for a few dollars.« Es dürfte keines­wegs Zufall sein, dass sich diese verbor­gene Vergan­gen­heit mit der von Präsi­denten-Großvater Prescott Bush deckt, der als Vorstands­mit­glied der Privat­bank Brown Brothers Harriman von Geschäften mit Nazi-Deutsch­land vor und während des Zweiten Welt­kriegs, noch nach US-Kriegs­ein­tritt profi­tierte.

Und auch für einen harmlos-tref­fenden Joke auf Kosten von Peter Jackson und seinen Tolki­nisten ist noch Zeit: – »Follow the ring!« sagt Owen und grinst. Und wir mit ihm. Spannend, dabei immer wieder auch sehr witzig, voll scharfer Dialoge, ist Spike Lee ein glän­zender Film gelungen, in dem trotz einer Menge Action kein bisschen Blut fließt – auch mal angenehm unkon­ven­tio­nell –, voll rätsel­haftem, verhal­tenen Thrill, lässig, rhyth­misch, cool und schön.