USA 1999 · 160 min. · FSK: ab 6 Regie: Michael Mann Drehbuch: Michael Mann, Eric Roth Kamera: Dante Spinotti Darsteller: Al Pacino, Russell Crowe, Christopher Plummer u.a. |
Zu Beginn eine Drohkulisse: In schneller Abwechslung sieht man das Außen einer arabischen Landschaft und ihrer Wohnviertel, die ein Auto durchkreuzt und die Sicht einer der Insassen – ein Leinentuch ganz nah, das seine Augen verbindet.
Dieser Auftakt ist eine totale und – wie sich herausstellt – doppelte Verwirrung des Zuschauers: Indem man sich in die Lage eines Entführungsopfers versetzt glaubt, einfach nur Bruchstücke der Wirklichkeit sehen kann, wird man so vom Regisseur schon im ersten Bild, das die zeitweilige Blindheit eines Sehenden zeigt, darauf hingewiesen, dass Sichtweisen immer eingeschränkt, Perspektiven kaum je objektiv sind. Aber auch, wenn sich nach wenigen Minuten herausgestellt hat, um was es sich hier tatsächlich handelt – das geheime Sondierungstreffen des Top-Journalisten Lowell Bergman (Al Pacino) mit einem Islamistenführer für eine TV-Sendung – befindet man sich auf einer völlig falschen Fährte. Denn nicht um Terrorismus in fernen Ländern geht es in Michael Manns The Insider, sondern um Verbrechen vor der eigenen Haustür, tief im Herzen des amerikanischen Freiheitstraumes.
Abrupter Schnitt: Irgendwo in den USA, normale Büroräume, in ihnen ein angespannt wirkender Mann, genervt, mißtrauisch, voller Geheimnis. Die Kamera beobachtet seinen Abschiedsblick auf die Kollegen und verfolgt ihn mit seiner vollbepackten Aktentasche bis er das Gebäude verläßt. Für alles könnte man ihn halten, und erst recht nach dem Auftakt denkt man zuerst an Schlechtes: ein Industriespion vielleicht, gar ein Attentäter? Zuhause mixt er sich erst einmal einen Drink (Wer tagsüber Whiskey trinkt, muß ein schlechter Mensch sein, oder?) Weiterhin schwitzt er stark und ist offensichtlich nervös. Er hat Familie, zwei Töchter, um die er sich liebevoll kümmert. Und doch sind auch die kleinen Risse in dieser wohlgeordneten Idylle spürbar: die Krankheit der Tochter, eine gewisse Entfremdung zwischen dem Ehepaar, und das, was Dr. Jeffrey Wigand (Russel Crowe) offensichtlich belastet.
Glückliche Familie – unglückliche Familie: Deutlich – bald erleben wir auch Pacino im Kreis seiner Familie – parallelisiert der Regisseur diese beiden Männer, konfrontiert Ähnlichkeiten und unterschiedliche Welten. Haben wir es hier also mit dem Duell zweier Männer zu tun? Im Nachhinein entpuppen sich die jeweils ersten Auftritte der beiden Hauptfiguren als geschickte Schachzüge des Regisseurs. Sie dienen zum einen dazu, diese auf den ersten Blick sehr ungleichen Männer zu charakterisieren, eine Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu betonen. Zugleich wird die Spannung erhöht, weil fast alles offen bleibt.
In seiner ersten, inhaltlich dichten und stilistisch genialen Stunde erzählt der Film von der zögernden, allmählichen Annährung zwischen diesen beiden ungleichen Männern. Die Kamera sucht Details, aufdringlich nahe Ausschnitte der Gesichter, Gegenstände die etwas bedeuten. Dann: Telefone klingeln, es wird aufgelegt, Faxe gehen hin und her.
Mit Ruhe, Neugier, genauer Beobachtungsgabe und Sensibilität zeigt Mann, wie hier um den heißen Brei herumgeredet wird. Wie einer »Nein«
sagt, aber ganz deutlich »Ja« meint. Lange bleiben die Zuschauer darüber im Ungewissen, um was es eigentlich geht. Dann wird klar: Der Wissenschaftler ist ein potentieller Kronzeuge gegen die Machenschaften der Tabakindustrie, der Journalist will ihn zum Reden bringen und zugleich schützen. Doch Dr.Wigand gerät zunehmends tiefer hinein in die Zwickmühle der Loyalitäten gegenüber seiner alten Firma, den Bedürfnissen der Öffentlichkeit und den Interessen seiner Familie. Seine
Ideale sind durchschnittlich: »Coming home. Feeling good at the end of the day.« Aber er entscheidet sich zwischen good guy und bad guy moralisch, und wenn man ihn mit Polizeikolonne, am Soldatenfriedhof vorbeifahren sieht, wird’s zum ersten Mal a bisserl arg pathetisch. Auch sie sind gestorben, haben sich geopfert, mußten noch mit viel mehr bezahlen als Du – für unser Land. Nein trotz allem etwas too much.
Trotzdem gelingt die Moral nicht zum Nulltarif – »ordinary
people under extraordinary pressure« sagt Bergman einmal –, und so muss Wigand die bitteren Folgen tragen: Haus, Geld und Familie gehen verloren, am Ende scheint selbst seine Integrität zerstört.
Der Film zeigt immer wieder Wigands Verlassenheit. Die zu eng sitzende Kravatte, das Schwitzen, der verdruckste Gesichtsausdruck – das sind Bilder für den Druck, dem er ausgesetzt ist. Irgendwann, als seine überforderte Frau schon einen Quasi-Nervenzusammenbruch erlitt, korrupte FBI-Agenten seinen Computer entführt haben und alltägliche Verschwörung wie berechtigte Paranoia überhand nehmen, sieht man ihn wie auf einem Bild von Edward Hopper vor seinem Haus sitzen: verzweifelt, gefangen im eigenen Leben.
»I dont like permanent accusation. Think: I am a journalist.« – Vertrauen, Mißtrauen zwischen beiden Männern wechseln sich ab. Bergman erzählt von sich: seinem Studium bei Herbert Marcuse, den Kämpfen der New Left nach 68, dem gestörten Vater-Verhältnis, seinem Verständnis von Journalismus: Er eröffnet Wigand die Öffentlichkeit, danach wird alles anders werden. Keine Gnade für den »cheap scepticism« der Medienverächter. The Insider zeigt, warum die Macht der Medien nötig ist.
Er zeigt aber ebenso, wo die Grenze liegt: »Is this Alice in Wonderland?« – auch auf den Journalisten wird Druck ausgeübt, die Ökonomie scheint wieder einmal alles zu diktieren, und Bergman ist gezwungen nicht weniger als sein Kronzeuge allein gegen alle anzutreten und viel zu riskieren. So entpuppt sich The Insider als eine Geschichte, die in geradezu archaischer Klassik von Recht und Gerechtigkeit handelt, vom hohen Preis den es kostet, moralisch zu
handeln, und davon, was trotzdem dafür spricht, diesen Preis zu zahlen. Mal Psychostudie, mal Horrorfilm, ist The Insider, der auf wahre Geschehnisse in den 90er Jahren zurückgeht vor allem ein Medienthriller.
Erstaunliche, sehr realistische Einblicke in die US-Medienlandschaft bekommt man geboten, in dieser Hinsicht ist der für sieben Oscars nominierte Film ebenbürtig mit den Klassikern des Genres: All The President´s Men und Network. Doch das Hohelied auf den »investigative journalism« ist gebrochen, denn gegen die allgemeine Korruption von Politik, Wirtschaft und Medien, gegen die Diktatur des Infotainment, die noch mit der klassiscen Lügenphrase des Liberalismus – »It’s a free country« – entschuldigt und verteidigt wird, kann Bergman nur siegen, indem er den Markt gegen sich selber
nutzt, die Macht der Medien gegeneinander ausspielt.
Am Ende steht zweierlei: das Pathos, mit dem Wigand jetzt Lehrer ist, und über sein zerstörtes erstes Leben hinwegkam: er bildet die Jugend, ist ein toller Held, dem alle wißbegierig zugucken. Und Al Pacinos Schritt aus der Drehtür, westernmäßig in der Menge verschwindend.
Zumindest das sieht man gern. Daneben ist The Insider aber eben auch eine ernstgemeinte, ernstzunehmende Geschichte über Integrität: »What got broken here, doesn’t go back together again.« Humpty Dumpty ist unten angekommen, und aller Trost und das wettergegerbte Gesicht des lonesome Cowboy Al Pacino, dessen Pathos alle ärgern wird, denen er schon in Any Given Sunday auf die Nerven ging, mag nicht so recht über die verlorene Unschuld der Medien hinwegtäuschen. In diesem Sinn hat auch The Insider ein angenehm offenes Ende.