USA 2014 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Seth Rogen, Evan Goldberg Drehbuch: Seth Rogen, Evan Goldberg, Dan Sterlin Kamera: Brandon Trost Darsteller: James Franco, Seth Rogen, Lizzy Caplan, Randall Park, Diana Bang u.a. |
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Ikonographie eines Cyberkriegs? |
Ein Jammer, dass es gerade diesen Film getroffen hat. Einen Film, der weit mehr als eine durchschnittliche Komödie ist, der Biss, Witz, pubertäre Anarchie und politischen Esprit hat und der zudem eine herrlich doppelbödige Kritik westlicher Leitmedienkultur ist.
Aber vor den Details erst einmal Film zurück, ganz an den Anfang, als die Hackergruppe »Guardians of Peace« Ende November 2014 Sony Pictures zu erpressen begann. Offensichtlich waren die »Guardians« bis in die Herzen von Sonys IT-Welt eingedrungen. Was immer sich hinter den realen Kulissen abspielte – Sonys Mitarbeiter sollen wieder mit Schreibmaschinen geschrieben haben und sich öfters als zuvor in den Teeküchen zu einem Plausch getroffen haben – die virtuelle Dynamik selbst begann immer filmreifer zu werden. Leaks über Gehälter, Versicherungsnunmmern von Angestellten Sonys und strategische Papiere über neue Filmprojekte begannen zu kursieren und nach den Geldforderungen legten die Guardians kräftig nach: nicht mehr um Geld ging es nun, sondern um die Forderung nach der Aussetzung des für den 25. Dezember 2014 geplanten Releases von The Interview. Sollte dieser Forderung nicht nachgekommen werden, stellten die Erpresser einen neuen 11. September in Aussicht. Sony ließ sich jedoch nicht so leicht in die Bresche schlagen und gab den Kinobesitzern stattdessen freie Hand, selbst zu entscheiden. Erst als die größten Kinoketten sich gegen eine Ausstrahlung des Film entschieden, knickte Sony ein und reagierte mit einem Vertriebsstopp auf allen Kanälen. Weder sollte der Film am 25. Dezember in den USA noch woanders starten (der Deutschlandstart war für den 5. Februar anvisiert); auch DVDs soll es nicht geben. Diese Komplettradierung deutet auf einen versicherungstechnischen Passus hin, mit dem zwar nicht die immensen Werbekosten und prognostizierten Gewinne, aber immerhin die 44 Millionen Produktionskosten gerettet wären. Was für Sony nach einer pragmatischen Minimallösung aussieht, bereitet dann aber doch auch schwere Kopfschmerzen: ist unsere westliche Selbstzensur 2014 radikaler als während des Zweiten Weltkriegs, als Filme wie Chaplins Der große Diktator oder Lubitschs Sein oder Nichtsein einfach so erscheinen konnten?
Denn Seth Rogens und Evan Goldbergs The Interview ist mit diesen Komödien durchaus vergleichbar. Auch The Interview richtet sich vordergründig und auf komödiantische Weise gegen einen Diktatur noch während die Diktatur in voller Blüte steht. Rogens und Goldbergs Kritik ist allerdings nur eine Facette dieser intelligenten, immer wieder völlig durchgeknallten Komödie. Vor allem im ersten Drittel des Films richtet sich die Kritik mehr gegen die eigenen medialen Leitwerte als irgendwen anders. In einem heißen Ritt durch den Alltag der auf Berühmtheiten fixierten Interview-Show »Skylark Tonight« schauen wir dem Produzenten Aaron Rappaport (Seth Rogen) und seinem Star-Interviewer Dave Skylark (James Franco) dabei zu, wie sie sich von Star zu Starlet hangeln. Ist es im einen Moment noch Eminem (fantastisch von Eminem selbst gespielt), der sich explizit zu seinem Schwulsein bekennt und alle Quoten knackt, beginnt schon um nächsten Moment die Suche nach dem noch größeren Quotenkick.
Bis Aaron irgendwann von Selbstzweifeln übermannt auf die Idee kommt, mal etwas ernstes zu machen und auf die groteske Idee kommt, ein Interview mit Nordkoreas großem Führer Kim Jong-un zu versuchen. Als er erfährt, dass Kim u.a. Fan auch von seinem Interviewformat ist, gelingt ihm tatsächlich der große Coup.
Erst diesem medienkritischen ersten Teil folgt die Fahrt nach Nordkorea, unter Aufsicht des CIA, der die beiden Freunde dazu »animiert«, es nicht nur bei dem Interview zu belassen. Doch auch dieser Handlungsstrang wird schon im nächsten Moment torpediert. Rogen und Goldberg aktivieren für diesen Teil nahezu alle Register der klassischen Screwball-Comedy, bereichern sie aber noch um das bereits in vielen Frat Pack-Produktionen etablierte und von Rogen und Goldberg in Bad Neighbors und This Is The End noch radikaler eingesetzte Instrumentarium der »narrativen Zeitbombe«. Handlungslinien werden wie Fährten über mehrere Ebenen ausgelegt und immer wieder mutwillig zur Explosion gebracht, um einem bis dahin verborgenen Handlungselement überraschend Raum zu geben. Ist das so gut wie in The Interview gelöst, gleicht der dadurch erzeugte erzählerische Rausch einer echten Einstiegsdroge.
Verpuffte der relativ selbstreferentielle, auf das eigene Star-Dasein fokussierte This Is The End relativ schnell, scheint mit der überraschenden globalen Bedeutungsaneignung der politischen Komponente von The Interview nicht einmal in vagen Gedankenspielen jemand gerechnet zu haben, denn fast täglich dringen inzwischen neue Nachrichten aus der Brainstorm-Küche, die normalerweise vor einem Projekt aufgesucht wird. Den einen Tag denkt Sony nun an eine Auswertung des Films über einen Streaminganbieter wie Netflix, den nächsten Tag soll es Youtube sein, über den The Interview vertrieben werden soll und am 24. Dezember sind es dann plötzlich beide Varianten: ausgesuchte Kinos in den Staaten sollen den Film genauso zeigen wie ein noch nicht bekannt gegebenes Video-on-Demand-Portal. Würde es den ursprünglichen Hack nicht geben, der Sony nach wie vor wie einen gehörnten Ehemann aussehen lässt, könnte man fast an eine geniale Marketingkampagne glauben. Mehr noch, als sich wie in jedem guten Metafilm, langsam auch die Wahrheiten der »Täter« nach und nach relativieren: inzwischen gibt es ernsthafte Zweifel, dass wirklich Nordkorea hinter den Guardians steht, und als ob diese von Nordkorea selbst unterstützten Zweifel gleich wieder unterminiert werden müssten, ist Nordkorea nur einen Tag später plötzlich vom Internet abgeschnitten. Und dann melden sich auch noch die legendären »Anonymous«-Aktivisten über Twitter und bekennen, dass sie die lächerlichen Firewalls von Sony schon lange vor den Guardians gehackt hätten. Sie drohen nun damit, den Film selbst zu veröffentlichen, sollte Sony es nicht tun.
Kaum zu glauben, oder?! Diese auf fast kongeniale Weise den eigentlichen Film um eine weitere Metaebene bereichernde Begleitkampagne aus der realen Welt. Das, was The Interview im Kern kritisiert, widerfährt nun dem Film selbst, die Realität instrumentalisiert die Filmidee, richtet sie einerseits gegen ihn, um sie im nächsten Moment für ihn einzusetzen. Die Kritik an den Leitmedien ist ebenso betroffen wie die Kritik an dem totalitären System in Nordkorea. Eine wirklich unabhängige Kritik an dem Film selbst ist im Grunde kaum mehr möglich, zu verfahren sind die Plot-Ebenen, zu stark wirken die Zentrifugalkräfte aus der realen Welt, um noch einigermaßen besonnen zu urteilen.
Aber immerhin eins steht fest. Was auch immer noch passieren sollte – schon jetzt ist klar, dass der Vergleich mit früheren Selbstzensurmaßnahmen Hollywoods hinkt, dass auch Lubitsch und Chaplin hier nichts zu suchen haben. Die klassische Zensur ist in einem Raum, in dem jeder so ziemlich alles vom anderen weiss, aber dennoch nicht weiss, was genau er weiss, nicht mehr möglich. Was sich im Moment abspielt, ist vielmehr eine erste Ahnung davon, was die Cyberpunk-Literatur seit den 1980ern bereits explizit heraufbeschworen hat – das schier unglaubliche Potential eines Cyber-Kriegs.
Mittlerweile scheint die politische Aufregung, die Ende 2014 rund um die Nordkorea-Komödie The Interview entbrannte, in den Weiten der schnelllebigen Informationswelt verraucht zu sein. Beinahe zumindest, wenn in den letzten Tagen nicht eine weitere kuriose Nachricht die Runde gemacht hätte: Erneut meldete sich die nordkoreanische Regierung zu Wort und warnte dieses Mal die Berlinale-Veranstalter nachdrücklich davor, den Film während des heute startenden Festivals zu zeigen. Der Witz an der Sache: Eine Vorführung von The Interview war nie geplant, einzig der deutsche Kinostart fällt mit dem Eröffnungstag der Filmfestspiele zusammen.
Dies ist das vorerst letzte Glied in einer erstaunlichen Ereigniskette, in deren Verlauf der kontrovers diskutierte Hollywood-Streifen zunächst unter Verschluss gehalten werden sollte, der öffentliche Druck allerdings solche Ausmaße annahm, dass Sony Pictures nicht anders konnte, als die Komödie doch noch unters Volk zu bringen. An Weihnachten lief The Interview schließlich nicht nur in ausgewählten US-Kinos an, sondern war auch auf diversen Internetplattformen – unter anderem YouTube und Google Play – kostenpflichtig erhältlich. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich das Studio schon nach wenigen Tagen über einen 15-Millionen-Dollar-Erlös im Video-on-Demand-Geschäft freuen konnte, während in den Lichtspielhäusern deutlich weniger Einnahmen zu Buche standen. The Interview mutierte in Kürze zu Sonys erfolgreichstem Onlinefilm und stellte damit eher unfreiwillig unter Beweis, dass sich legales Streaming auch für Kinowerke eignet. Wobei man in diesem Fall die Wirkung des medialen Trubels gewiss nicht unterschätzen darf.
Nach all den Diskussionen, die häufig ohne Kenntnis des Endprodukts geführt wurden, ist es nun aber an der Zeit, sich dem Film selbst zu widmen. Einer Komödie, die gewiss anarchisch ausfällt, jedoch nicht die Sprengkraft besitzt, die das politische Säbelrasseln suggeriert. Denn ähnlich wie in ihrer letzten gemeinsamen Regiearbeit, dem zügellosen Weltuntergangsspaß Das ist das Ende, sind die langjährigen Freunde Seth Rogen und Evan Goldberg vor allem an wilder Buddy-Unterhaltung interessiert, die in alle Richtungen austeilt. Unsere Hauptfiguren sind zwei amerikanische Fernsehmacher, der selbstverliebte Late-Night-Moderator Dave Skylark (James France) und dessen Kumpel Aaron Rapaport (Seth Rogen), der ihre erfolgreiche Promi-Sendung produziert. Da Letzterer von ernsthaftem Journalismus träumt, lässt sich das Duo nicht zwei Mal bitten, als es die Möglichkeit erhält, den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un (Randall Park), einen glühenden Fan ihrer Show, in seinem Palast zu interviewen. Bevor Dave und Aaron nach Pjöngjang aufbrechen, tritt allerdings die CIA an sie heran und verlangt von ihnen, den Despoten aus dem Weg zu räumen.
Eine abgedrehte Prämisse, die vom Start weg Dynamik verspricht, in Wahrheit aber erst einmal für reichlich Leerlauf sorgt. Denn abgesehen von einigen selbstironischen Spitzen hauen Rogen, Goldberg und Drehbuchautor Dan Sterling dem Publikum zahlreiche lauwarme Anal-Witzchen um die Ohren, die auch in der fünften Variation nicht wirklich komisch sind. Dankenswerterweise geht es jedoch nicht fortlaufend im Fäkal-Modus weiter. Selbst wenn die Macher, wie aus anderen Werken bekannt, ihrer pubertären Energie immer wieder freien Lauf lassen, schalten sie mit der Ankunft in den heiligen Hallen Kim Jong-uns humortechnisch mehrere Gänge hoch.
Anders als zu vermuten war, tritt der Diktator selbst zunächst nicht als lächerliche Fratze des Bösen in Erscheinung, sondern wirkt vielmehr wie ein naiver Kumpeltyp, der an einem handfesten Vaterkomplex leidet und damit sofort Daves Mitleid erregt. Auf die Spitze getrieben wird das Spiel mit Klischees und Erwartungen in einer irrwitzigen Panzer-Sequenz, bei der der US-Moderator und Kim, Katy Perrys Hit „Firework“ intonierend, kreuz und quer durch die Gegend fahren und sich rasch verbrüdern. Die Verblendungsmechanismen des nordkoreanischen Regimes werden im weiteren Verlauf ebenso durch den Kakao gezogen wie das über Jahrzehnte kultivierte Image Amerikas als Weltpolizist und die nicht selten dämlichen Erzeugnisse der westlichen Popkultur.
So erfrischend das vorbehaltlose Austeilen auch sein mag, nähert sich der Film irgendwann bekannten Mustern an. Denn am Ende müssen die Amerikaner doch für Ordnung sorgen und das Böse in die Schranken weisen. Hochanzurechnen ist Rogen und seinen Mitstreitern allerdings, dass sie ihre Große-Jungen-Attitüde auch hier nicht ablegen und einen herrlich schrägen Showdown aus dem Boden stampfen, der eine duellartige Interviewsituation mit einer weiteren Katy-Perry-Einlage, Splatter-Momenten und Panzer-Action verschmelzen lässt. Was so schon absurd genug klingt, wirkt auf der Leinwand erst recht überzogen, ist dafür aber schreiend komisch.