USA 2011 · 131 min. · FSK: ab 16 Regie: Angelina Jolie Drehbuch: Angelina Jolie Kamera: Dean Semler Darsteller: Zana Marjanovic, Goran Kostic, Rade Serbedzija, Vanessa Glodjo, Nikola Durick u.a. |
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Händchenhalten im Bürgerkrieg |
»Sind wir so schlimm, dass man uns alle töten muss?« – »Das ist Politik.« (Dialogausschnitt aus dem Film)
Sind wir so dumm, dass man uns mit solchen sinnlosen Dialogen quälen muss – das ist Hollywood. Angelina Jolies In the Land of Blood and Honey ist wie sein Titel: Es ist der Kitsch über das kleine Glück im großen Krieg, es ist banales Polit-Mainstream-Thesenkino, das aus lauter gutem Gewissen am Ende die primitivsten ethnonationalistischen Ideologeme wiederkäut, wie sie selbst ein Milosevic nicht in solcher Undifferenziertheit vertreten hat.
Natürlich kann man jetzt sagen, Angelina Jolie habe alles richtig gemacht. Handwerklich sowieso, und dann hat sie sich mit der französisch-deutschen Cutterin Patricia Rommel auch noch eine herausragende Schnittmeisterin geholt, die schon ein anderes Polit-Melodram, Das Leben der Anderen, mit klugen Kürzungen, Dramatisierungen und Musikeinsatz um mindestens zwei Klassen besser machte. Natürlich ist es nie falsch, auf Kriegsverbrechen wie Massenvergewaltigung hinzuweisen, natürlich haben die Opfer Mitleid und Solidarität, die Täter Strafe und unsere Verachtung verdient. Aber man kann all dieses Richtige auf eine Weise tun, wo man dann am Ende doch wieder alles falsch macht.
Es gibt so ein paar Sprüche, die sterben nie. Dazu gehört der Satz von dem Begründer der französischen Nouvelle Vague, von Jean-Luc Godard, es gehe im Kino nicht darum, politische Filme zu machen, sondern darum, politisch Filme zu machen. Die Berlinale, das sagt sie jedenfalls gern von sich selbst, ist ein sehr politisches Filmfestival. Und das ist auch richtig. Genauso richtig ist aber auch das Gegenteil – dann wäre die Berlinale sehr sehr unpolitisch. Es kommt eben einfach darauf an, was man unter politischem Film versteht. Politische Filme, das sind Thesen und Manifeste, einfache Wahrheiten, in deren Dienst sich Kino besonders leicht stellt, die aber, ob wahr oder nicht, sehr schnell sehr langweilig werden. Denn was passiert mit einem Film, wenn er einfach Thesen und Ansichten verkündet. Im schlimmsten Fall wird er zu Propaganda.
Angelina Jolies Film über Massenvergewaltigung im bosnischen Bürgerkrieg, der auf der Berlinale lief, ist ein wichtiges Thema, aber ein schrecklicher Film. Ist das nun politisch? Und kontaminiert eine hundsmiserable Ästhetik womöglich am Ende das politische Anliegen? Auf der Berlinale liefen viele Filme über das Erdbeben von Japan, über Fukushima und die Folgen. Wer hätte nicht Mitleid mit den armen Menschen. Aber ist Mitleid politisch? Es laufen auch eine Menge Filme über
die Arabellion. Sie alle sympathisieren mit den Demonstranten. Aber schlägt hier die Berlinale nicht die Schlachten von gestern? Ist es politisch, Mubarak auf der Leinwand noch zum zehnten Mal zu stürzen? Vielleicht wäre es, wenn schon, viel politischer, zu zeigen, dass Mubarak nicht für alles Schlimme in Ägypten verantwortlich gemacht werden kann, dass er ein guter Freund genau der westlichen Regierungen war, die ihn jetzt verdammen. Und dass die Demonstranten auch nicht immer nur
Gutes im Schilde führen, nicht immer unsere Unterstützung und Sympathie verdienen.
Aber solche Fragen sind nicht so schööön wie die Filme, die die Berlinale zeigt. Sie sind unbequem, und darum werden solche Filme nicht gemacht. Oder die Berlinale zeigt sie nicht. Womöglich ist es aber eigentlich sehr unpolitisch, immer nur längst gewonnene Schlachten noch einmal zu gewinnen, längst verjagte Diktatoren und Mörder wie HuiBuh das Schlossgespenst noch einmal über die Leinwand zu jagen
– zur Erbauung des wohlig geschauerten Publikums. Politik im Kino – das meint nicht Manifeste, nicht Thesen, und schon gar nicht dass Filme auf der richtigen Seite stehen. Politik im Kino ist eine Haltung, die von Neugier und Fragen geprägt ist, vom Willen zur Kritik, nicht von Versöhnlichkeit und fertigen Antworten.
Bosnien, 1992: Der jugoslawische Bürgerkrieg ist in vollem Gang und schlägt auf Bosnien über. Dort lernen sich die Malerin Ajla und der Polizist Danijel kennen. Zunächst ist die Begegnung noch unbeschwert, doch schon zu Beginn, dringt die politische Realität des zerfallenden Bundesstaats mit Gewalt in ihr Privatleben ein – ein Bombe explodiert. Die beiden werden ein Liebespaar, doch nach Maßstäben der widerstreitenden ethnischen Nationalismen wird diese Liebe zwischen der bosnischen Muslimin und dem bosnischen Serben schnell ein Politikum und verboten. Zunächst noch widerstrebend wird Danijel Soldat im Regiment seines Vaters, eines fanatischen Generals. Ajla wird seine Gefangene – unter vergleichsweise angenehmen Umständen, denn Daniel kann sie schützen. Als er nach Sarajewo abkommandiert wird, wo sich der Belagerungsring geschlossen hat, ändert sich Ajlas Lage. Sie versucht zu fliehen, wird entdeckt und in ein Internierungslager gebracht, wo Vergewaltigung und Todesgefahr an der Tagesordnung sind. Sie flieht ein zweites Mal, und wird nach einiger Zeit wiederum gefangen, diesmal von Danijel. Der macht sie zu seiner persönlichen Gefangenen. Unter dem Vorwand, als Porträts zu malen lebt sie in einer Einzelzelle – mit Bad und besseren Essen, und regelmäßigem Besuch durch Danijel. Leidenschaft und Gewalt vermischen sich untrennbar, das gegenseitige Misstrauen nimmt zu – beider Liebe ist längst vergiftet. Als schließlich Danijels Vater von Ajlas Existenz erfährt, lässt er sie vergewaltigen – was Danijel durch einen Mord am Täter rächt, der unentdeckt bleibt. Bald darauf hat die NATO, geführt von US-Präsident Clinton, in den Konflikt eingegriffen und Danijel muss mit seiner Einheit zum Einsatz. Ajla verrät der bosnischen Seite den Schlupfort seiner Einheit – das Versteck wird bombardiert, doch Danijel überlebt eher zufällig das Massaker. Zurück in Ajlas Zelle bringt er sie um, und stellt sich kurz darauf UN-Einheiten mit der Bemerkung: »Ich bin ein Kriegsverbrecher.«
Kalkül und Gefühle seien nicht mehr zu unterscheiden, hieß es im diesjährigen Katalog der Berlinale, wo In The Land Of Blood And Honeynach seiner Premiere in Sarajewo in einer Sondervorstellung als deutsche Premiere gezeigt wurde. Das ist zwar anders gemeint, aber verräterisch, und trifft den Film recht gut. Man möchte den Machern das Engagement und das ehrliche Bemühen, den Erlebnissen bosnischer Vergewaltigungsopfer gerecht zu werden, ungern absprechen, so wenig, wie man sich vom fragwürdigen Image und filmfernen öffentlichen Auftritten Angelina Jolies zu einem Vor-Urteil über ihre Fähigkeiten als Regisseurin verleiten lassen möchte – und muss doch zugeben, dass dieser Film alle schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Als Filmkünstlerin malt Jolie, die Frau die Lara Croft gespielt hat, und Mrs. Smith und Salt, und die sich mit comicbreitem Grinsen und Dreiwettertaftfrisur längst von ihren Rollen zum Kunstprodukt »Angelina« hin gelöst hat, nur mit zwei Farben: Schwarz und Weiß. Schon physiognomisch sind die männlichen Charaktere leicht in Gut und Böse zu unterscheiden, die Frauen im Film sind fast sämtlich bosnische Muslima, nur einmal sieht bosnische Serbinnen – eine Gruppe grell geschminkter und offenkundig betrunkener Prostituierter. Um auch keine Zweifel über die jeweiligen Gesinnungen aufkommen zu lassen, sagen die Figuren explikative Dialogsätze auf, die den Klischees entsprechen: »Wir müssen sie alle ausrotten.« Die bosnischen Serben sind hier rassistisch, sprechen vom Amselfeld, von »bösem Blut« der Moslems, sie saufen, singen, morden und empfinden Lust am Töten. Allein Danijel und sein Vater werden ein wenig differenzierter gezeigt. Der Vater – dies ist die einzige Szene, die sich der serbischen Sichtweise annähert – erinnert an ein Massaker im Jahr 1944 durch eine bosnisch-kroatische Waffen SS-Einheit, der ein Teil seiner Familie zum Opfer fiel. Der Sohn ist der einzige Serbe, den man ein wenig genauer kennenlernt, und der mit »menschlichen« Zügen, mit Skrupeln und »guten Seiten« ausgestattet wird – was am Ende aber nur dazu dient, seine anderen Seiten noch schockierender zum Vorschein treten zu lassen.
Politisch ist dies einmal mehr ein Film, der die Schlachtfelder von Bosnien parteiisch kartographiert: Dies ist wieder ein Film, der die unbequeme Tatsache verschweigt, dass es auch kroatische und bosnische Lager und Vergewaltiger gab, der vereinfacht alle Bosnier serbischer Herkunft getreu nationalserbischer Ideologien kurzerhand zu »Serben« stempelt, um dann zwischen »bosnischen Serben« und Serben keinen Unterschied mehr zu machen, der aus der Quantität eine Qualität macht, der von »serbischen Tschetnik-Milizen« redet, und kroatischen Ustascha-Milizen schweigt, und der dieses einseitige, in vielem polemische Bild mit einer großen Gefühlskitschsoße übergießt, die im großen Krieg immer wieder vom kleinen Glück erzählt, mag es auch noch so verlogen sein. Und die nichts mehr scheut, als das genaue Hinsehen: So etwa werden Gewalt und Vergewaltigung kaum und wenn dann aus Tätersicht gezeigt -und in ähnlichen softpornographisch-voyeuristischen Bildern, wie der einvernehmliche Sex. So kann es kein bisschen überraschen, dass sich auch Verbände der bosnischen Opfer über den Film beschwert haben.
In the Land of Blood and Honey ist ein Propagandamelodram, und dass der Film Propaganda für die möglicherweise richtige Sache ist, macht ihn nicht ehrlicher oder gar besser. Hier weiß jemand von Anfang an viel zu genau, was richtig und falsch ist, hier hat eine Filmemacherin nicht die geringsten Skrupel gegenüber ihrem Gegenstand, der solche Skrupel, der Dezenz und Zögern, und den Verzicht auf vorschnelle Urteile noch mehr verdient hätte, als viele andere Filme.
Das an-sich faszinierende und hochaktuelle Motiv der Liebe zwischen Opfer und Täter, dessen sadomasochistische Abgründe immer noch Liliana Cavanis The Nightporter (Der Nachtportier) am besten ausgeleuchtet hat, wird hier also zugunsten politischer Parteinahme und einem Loblied auf Clintons umstrittenen Militäreinsatz verschenkt. So ist In the Land of Blood and Honey – ein Lehrbeispiel für kalkulierte Politexploitation, die sich um Details, Zusammenhänge und Differenzierung kein bisschen schert, sondern allein den Narzissmus des eigenen guten Gewissens pflegt.