Deutschland/USA 2018 · 114 min. · FSK: ab 16 Regie: Damian John Harper Drehbuch: Damian John Harper Kamera: Bogumil Godfrejow Darsteller: Eric Hunter, Max Thayer, Nikki Lowe, Matthew T. Metzler, Ava Del Cielo u.a. |
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Seltenes Bild der Ruhe |
Ihre Welt befindet sich in einem Dauer-Kriegszustand. Vor zwei Generationen noch kehrte der Großvater traumatisiert aus Vietnam zurück, jetzt sein Enkel aus dem Irak. Gabriel hatte sich freiwillig gemeldet, um dem Kampf zuhause zu entkommen, den er nicht ohne »Außenpolitik« hätte heil überstehen können. Er war in Drogendeals verwickelt, hoffnungslos süchtig. Der Krieg hat ihm sozusagen den Arsch gerettet.
Jetzt kehrt er für ein paar Tage dorthin zurück, wo er aufgewachsen ist: in einen trostlosen Ort am Rande der Navajo Nation Reservation, New Mexico. Der Meltingpoint der indigenen Kultur und des White Trash, am Rand der Wahrnehmungszone des weißen Amerikas, ist das hintergründige Thema für Damien John Harpers virtuosen Neo-Western. Schusswaffen sind allgegenwärtig, Drogensucht, Vergewaltigung und aufgebrochene, kaputte Familienstrukturen. Das Tempo ist auf Speed, die Figuren kämpfen um das, was ihnen noch bleibt: ihr bisschen Leben.
Harper, ein Münchner HFF-Absolvent, wurde in Colorado geboren und zeigte bereits in seinen frühen Filmen, die teilweise noch ganz dokumentarisch angelegt waren, seine Begabung, einen unausweichlichen narrativen Sog zu entfalten. Er hat mit strengen Point-of-View-Shots herumexperimentiert, dabei immer von dem anderen Amerika der Ausgeschlossenen, Randständigen und Vergessenen erzählt. Jetzt exerziert in In the Middle of the River mit gleicher erzählerischer Verve eine immer wieder ins Schwarz der Nacht abtauchende, ganz und gar nihilistische Rape & Revenge-Tour, auf der jeder hinderliche Stein brachial weggekickt wird, um notfalls alles zu opfern. Gedreht wurde mit Laien, die wie nebenbei zeigen, dass in der Sprache der Navajos mühelos die Probleme der Moderne ausgehandelt werden können.
In zwei atemlosen Stunden taucht die fiebrige Handkamera von Bogumil Godfrejow, der im übrigen mit AutorenfilmerInnen wie Barbara Albert und Hans Christian Schmid gearbeitet hat, in das kaputte Seelenleben der Figuren hinein. Der Plot beschreibt eine große Verwundung: die Zwillingsschwester von Gabriel ist tödlich verunglückt, Gerüchte erzählen vom Missbrauch durch den »Pädo-Opa«. Um den Tod der Schwester zu rächen, sammelt Gabriel Indizien auf: Geht der Opa nicht auch besonders liebevoll mit der Urenkelin um?
Daneben stürzt die hastig zurückgelassene Vorgeschichte auf den Heimkehrer ein: seine ehemalige große Liebe, die er verlassen hat, als er in den Irak ging, und die ihn jetzt mit Vorwürfen konfrontiert und nicht nur bei Boxwettkämpfen ihre Aggressionen loswird; sein kleiner Bruder, der in die Drogensucht abdriftet und bei Deals sein Leben riskiert, mit Waffen kokettiert und sich überhaupt die falschen Freunde ausgesucht hat. Harper lässt den Film auf diese Welt wie einen Verstärker wirken, bringt sie zum Thrill bis zu einem stilechten Friedhofs-Showdown am Grab der Schwester.
Harper hat seinen Western-Thriller mit einer Milieu-Studie gemixt, ein Psychogramm eines abtriftenden Amerikas unter Donald Trump geschaffen – »Make America great again« ist einer der markanten Sätze, die gleich zu Beginn fallen. Das ist aber nur der Sehnsuchtshorizont eines Wahlversprechens. Die Menschen des Landes befinden sich in der titelgebenden »Mitte des Flusses«, dort, wo einem das Wasser bis zum Hals steht und die Strömung so stark ist, dass sie einen mitreissen kann, man überspült wird, mit aller Wucht.
Mit diesem untergehenden Amerika geht Harper streng ins Gericht, wenn er es im Dauer-Kriegszustand zeichnet. Aber er hält auch Versöhnung bereit. Der Opa ist ein Menschenrechtler der ersten Stunde, der Enkel entsagt den Drogen, um Politik zu studieren und sich als Aktivist einen Namen zu machen. Das große Ziel: Präsident von Amerika werden. Bis dahin muss aus der Geschichte gelernt werden: von der Kolonialisierung Amerikas, von Vietnam, dem Irakkrieg. Die inneren Blessuren benennen. Die Risse in der Familie genau ansehen. Das Reden wird es richten.