Polen 2012 · 96 min. Regie: Malgorzata Szumowska Drehbuch: Malgorzata Szumowska, Michal Englert Kamera: Michal Englert Darsteller: Andrzej Chyra, Mateusz Kosciukiewicz, Lukasz Simlat, Maja Ostaszewska, Maria Maj u.a. |
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Verführerisches Taufbecken |
Der katholische Priester Adam (Andrzey Chyra) wurde von Warschau die polnische Provinz versetzt. Auf die Frage, ob die Arbeit in diesem kleinen Nest nicht wie eine Strafversetzung für ihn sei, antwortet er lapidar, dass regelmäßige Versetzungen bei der Katholischen Kirche üblich wären. Tatsächlich ist Adam schnell beliebt im Ort. Er ist offen, unkompliziert und sucht die Nähe zu den Menschen. In seiner ersten Predigt berichtet er, dass er erst mit 21 Jahren zu Gott gefunden hat. Inzwischen weiß er, dass jeder Mensch einen ganz reinen Punkt in sich trägt, der nur Gott gehört. Unter seiner schwarzen Priesterrobe trägt er ein jugendliches T-Shirt. Zu diesem jugendlichen Esprit passend, baut Adam ein Gemeindezentrum für schwer erziehbare Jungen auf. Mit den Jungs trinkt er auch einmal ein Bier. Doch bei aller Lockerheit umgibt Adam eine unbestimmte Aura der Schwermut und der Eindruck, dass er etwas zu verbergen hat.
Regelmäßig joggt Adam durch den Wald. Dabei wirkt er äußerst angespannt, fast wie ein Getriebener. Tatsächlich ist dieser Sport Adams persönlicher Exorzismus, mit dem er sich von den dunklen Trieben zu befreien versucht, die den reinen Punkt in seinem Inneren beflecken. Fast immer spricht in Malgorzata Szumowskas Im Namen des... das Gezeigte für sich. Doch an dieser Stelle haben die Regisseurin und der Drehbuchautor Michal Englert explizit gemacht, wie sie zu deuten ist: Zu einem späteren Zeitpunkt beichtet einer der Jungen Adam, dass er Oralverkehr mit einem anderen jungen Mann hatte. Daraufhin verordnet ihm der Priester Joggen als Strafe, da dies so wie beten sei. Damit auferlegt er dem Jungen das gleiche Verdrängungsprogramm, dass er selbst routiniert vollführt. Adam bestraft im Äußeren, was er in sich selbst ablehnt.
An einer Stelle beichtet Adam seiner in den USA lebenden Schwester über Skype, dass er zwar kein Pädophiler, aber ein Schwuler und deshalb ein Kranker sei. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits restlos betrunken. Wenn das Joggen und das Masturbieren in der Badewanne nicht mehr helfen, muss zu härteren Mitteln gegriffen werden. Alles ist recht, solange es das verbotene Begehren verdrängt. Oft wirkt Adam so, als glaube er seine Gefühle mit Gewalt in seinen Körper zurückdrücken zu können, zurückdrücken an einen Ort, wo sie keinen Schaden mehr anrichten können. Dabei macht die Szene, in der Adam sturzbetrunken mit einem Bildnis des Papstes in der Hand tanzt ganz klar, dass der Schaden gerade in der Verdrängung liegt.
Adams Begehren richtet sich auf einen seiner Schutzbefohlenen, den sensiblen Lukasz (Mateusz Kościukiewicz). Lucas spürt Adams heimliche Gefühle und erwidert sie. In einer der schönsten Szenen des Films versteckt sich Lukasz vor Adam in einem Maisfeld. Bald jagt der Priester dem Jungen durch das Feld hinterher. Doch Lukasz bleibt immer in Bewegung, rast durch das Feld, wobei er wie ein Affe schreit. Nach einiger Zeit erwidert Adam Lukasz' animalische Schreie und fängt seinerseits wie ein Affe zu brüllen an. Es ist der erste Moment im Film, in dem Adam völlig frei wirkt. Der Schutz des Maisfeldes und der Vorwand eines infantilen Spieles erlauben ihm, all seine unterdrückten Gefühle heraus zu lassen und einfach wie ein Tier zu balzen. Er schüttelt alle seine Schuldgefühle ab und gibt sich ganz seinem Gefühlen und seinem Begehren hin. Die Frage ist, ob dieser Zustand über dieses kurze Spiel hinaus eine Zukunft hat, ob Adam und Lukasz eine gemeinsame Zukunft haben können.
Beide sind einsame Seelen: Lukasz ist mit seiner Sanftmut innerhalb der groben Dorfjugend ein Fremdkörper; Adam verzweifelt an der Unvereinbarkeit seines Glaubens und seiner Gefühle. Das Dorf zeigt eine verrohte Gesellschaft, die sich selbst überlassen endgültig abdriften könnte. Dem gegenübergestellt ist ein verknöcherter Katholizismus, der den Menschen das Seelenheil verspricht, aber vielen kaum Luft zum Atmen lässt. Diese Atmosphäre geistiger Erstarrung und innerer Kargheit wird von dem Drehbuchautor und Kameramann Michal Englert in adäquate Bilder übersetzt. Diese sind wunderschön durchkomponiert und zugleich sehr statisch. Es gibt fast keine Zooms oder Kamerabewegungen. Ein statisches Einzelbild folgt auf das nächste. Es entsteht der starke Eindruck einer in ihrer Erstarrung mehr kristallinen, als lebendigen Gesellschaft, welche alle von der Norm Abweichenden gnadenlos ausgrenzt.
Nicht nur Homosexualität gilt in Im Namen des... als krank. Auch ein geistig zurückgebliebener Junge wird von seinen Altersgenossen ständig schikaniert. Nur sein Bruder steht diesem Jungen bei. Dieser Bruder ist der von Mateusz Kosciukiewicz äußerst sensibel gespielte Lukasz. Dieser junge Schauspieler und der herausragende Andrzey Chyra als Adam tragen einen erheblichen Teil dazu bei, dass der Film über das offensichtliche Thema Homosexualität und Katholische Kirche hinaus zu einem Plädoyer für Selbstverwirklichung und Freiheit inmitten eines repressiven gesellschaftlichen Umfeld wird. Die Botschaft von Im Namen des... lautet, dass man sich von durch seine eigene Sozialisierung selbstauferlegten inneren Blockaden lösen soll, um das Leben zu leben, das einem wirklich entspricht.