Irrational Man

USA 2015 · 95 min. · FSK: ab 12
Regie: Woody Allen
Drehbuch:
Kamera: Darius Khondji
Darsteller: Joaquin Phoenix, Emma Stone, Parker Posey, Jamie Blackley, Betsy Aidem u.a.
Typische Handbewegungen der »Campus-Novel«

Mord als Mittel zur Erlebnissteigerung

Abe Lucas heißt die Haupt­figur dieses Films. Zu Beginn des Films sitzt er mit Sonnen­brille und Hawaii-Hemd am Steuer seines Cabrios und fährt an der ameri­ka­ni­schen Ostküste entlang. Der Mitt­vier­ziger mit Hips­ter­bart tritt gerade einen neuen Job an: Als Philo­so­phie-Professor an einer etwas verschla­fenen Elite-Univer­sität.

Abe ist nicht nur ein Star-Professor, ihm eilt auch ansonsten der Ruf voraus, »etwas Viagra ins philo­so­phi­sche Depart­ment« zu bringen. Der unver­hei­ra­tete Mann redet gern, trinkt oft zuviel, ist ein bisschen weltfremd, und inter­es­siert sich außer für Philo­so­phen und Lebens­weis­heiten aller Art auch für Frauen jeden Alters – darin seinem Regisseur Woody Allen bekannt­lich nicht so unähnlich. Im Seminar zitiert er den Philo­so­phen Immanuel Kant, einen seiner Helden: Der Mensch sei vor Fragen gestellt, die er weder beant­worten noch vermeiden könne. Bald wird er am eigenen Leib erfahren, was Kant damit eigent­lich meint. Doch zunächst einmal geht alles seinen Gang: Kaum hat er sich einge­richtet und seine ersten Kurse begonnen, da macht Abe auch schon seinen jungen Studen­tinnen und den Profes­so­ren­gat­tinnen Kompli­mente, beginnt eine Liebes­af­faire mit der begabten, hübschen rothaa­rigen Studentin Jill (doppel­bödig gespielt von Emma Stone) und wird gleich­zeitig von seiner etwas frus­trierten Kollegin Rita Richards (Parker Posey gibt sich schrill und schräg) mit eindeu­tigen Absichten verfolgt.

Der neue Film von Woody Allen ist vor allem in seiner ersten Hälfte eine typische ameri­ka­ni­sche »Campus Novel« im Film­ge­wand. Der Mikro­kosmos einer ameri­ka­ni­schen Elite-Uni mit ihren skurrilen Gestalten, deren Schrullen, Inter­essen, Leiden­schaften und dem grund­sätz­li­chen behag­li­chen Wohlleben aller Betei­ligten in der intel­lek­tu­ellen Blase eines Elfen­bein­turms. Abe wird von Joaquim Phoenix mit viel Selbst­ironie und erkenn­barer Lust an der Karikatur gespielt, in der Nachfolge seines Films I’m Still Here, wo er sich selbst spielte – aber als einen Joaquim Phoenix, der sich selbst im Drogen- und Sexrausch verloren hat, seine Film­kar­riere aufgibt und Rapper wird. Halb Hollywood war diesem »Hoax« auf den Leim gegangen und hatte Phoenix' erbar­mungs­wür­digen Auftritten als verwirrt faselnder Sonnen­bril­len­träger in mehreren Late-Night-Shows Glauben geschenkt. Erst nach zwei Jahren löste Joaquim Phoenix das Rätsel, in dem sich Leben und Spiel bis zur Unkennt­lich­keit vermischten. Dies nun ist eine weitere unge­wöhn­liche Rolle für diesen Schau­spieler, zugleich ein leichter, heiterer Auftritt.

Abe hat auch eine Menge solcher Macken – wie etwa eine starke Depres­sion, massive Schreib­hem­mung und eine ähnliche sexuelle Blockade. Bald erkennt sein Umfeld im vermeint­lich fröh­li­chen sexuell potenten, sozial char­manten Genie die dunklen Seiten. Er findet sein Leben sinnlos, und sucht nach »der bedeu­tenden Tat«, die ihm einen Wert gibt.

Eines Tages eröffnet sich dann aber für Abe eine wunder­bare Gele­gen­heit, um aus seiner persön­li­chen Leidens­spi­rale heraus­zu­finden. Er begeht einen Mord. An einem völlig Unbe­kannten. Aus philo­so­phi­schen Gründen, die er intel­lek­tuell mit Kant, Kier­ke­gaard und Dosto­je­wski unter­füt­tert. Mord als Mittel zur Erleb­nis­stei­ge­rung. Und weil Abe sich selbst als Genie sieht, muss es natürlich ein »perfekter Mord« sein. Das ist jene Tat, nach der er gesucht hat. Und die Univer­sitäts-Satire mischt sich mit Thril­le­r­ele­menten und span­nendem Suspense.

Alles lässt sich zunächst für Abe auch gut an, plötzlich ist der Mann seine Depres­sion los, und sein Leben ergibt für ihn selbst wieder Sinn: Er ist unbe­schwert und ein besserer Liebhaber denn je. Doch bald entpuppt sich die Tat als weniger perfekt als geglaubt, und Abe versucht, deren Folgen unter Kontrolle zu bringen – was nur neue Kompli­ka­tionen hervor­ruft.

Hier, bei der allmäh­li­chen, aber um so siche­reren Entfes­se­lung eines Chaos aus Schuld und Sühne, ist Woody Allen ganz in seinem Element. Wie immer sind Dialoge eine besondere Stärke Allens. Es gibt kurze sarkas­ti­sche One-Liner für Philo­so­phiein­ter­es­sierte wie: »Just what the world needs, another book about Heidegger and fascism.« Und es gibt Screwball-Momente. Es gibt auch Slapstick wie die Ausfüh­rung des Mords selbst.

Allens neuer Film kehrt zu jenen Themen zurück, die er bereits in Verbre­chen und andere Klei­nig­keiten, Match Point und Cassan­dras Traum behandelt hatte – gibt es eine Handlung, die einen Menschen für immer verändert. Zugleich erzählt er im Prinzip vom Drama eines hoch­be­gabten, groß­ge­wor­denen, aber nie erwach­senen Kindes: Abe ist ein Filou, ein Trottel, eine typische Woody-Allen-Figur der weniger sympa­thi­schen Sorte, die sich in ihrem eigenen Leben und den Folgen seiner Taten gründlich verhed­dert.

Um ihn herum bewegt sich ein ganzes Rudel von Frauen, die auch alle nicht richtig sympa­thisch wirken – dazu sind sie einfach etwas zu simpel gestrickt, zu naiv oder zu notgeil – eine Männer­phan­tasie. All das ist natürlich vor allem ein großar­tiger »gespielter Witz« ein sarkas­ti­scher Spott über Intel­lek­tu­elle, Wissen­schaftler und über den kulti­vierten Teil der Mensch­heit.

Abe selbst ist ein Leidender, ein Getrie­bener, er weiß nicht weiter und scheitert außer an der Gesell­schaft auch vor allem an den eigenen hohen Ansprüchen.

Zugleich wirft Woody Allen hier natürlich einige sehr ernst­hafte Fragen auf – nämlich die, ob und wann man Gewalt anwenden darf? Darf man zum Beispiel etwas Schlechtes tun, um etwas Gutes zu bewirken? Abes Zufalls-Opfer war nämlich, daran lässt der Film keinen Zweifel, ein sehr schlechter Mensch. So recht­fer­tigt der Professor die Tat vor sich selbst.

Aber man hätte sich gewünscht, Allen würde solche eigenen Fragen, und das über­grei­fende Thema seines Films, nämlich die Doppel­moral der Menschen, selber etwas ernster nehmen. Und er würde es sich nicht ganz so einfach machen – denn sein Spott über Intel­lek­tu­elle hat auch etwas Wohl­feiles.

So ist Irra­tional Man, der pünktlich zu Allens 80. Geburtstag in die deutschen Kinos kommt, zwar eine furiose, flotte Komödie um ernst­hafte Moral­fragen. Sehr unter­haltsam, und fraglos einer der besseren Allen-Filme der letzten Jahre. Aber die Witze sind auch etwas dünn, und bleiben an der Ober­fläche. Die Frage, was Ernst Lubitsch oder Billy Wilder aus einem solchen Stoff gemacht hätten, sollte man lieber nicht stellen.