Frankreich/Belgien 2017 · 119 min. · FSK: ab 12 Regie: Lucas Belvaux Drehbuch: Lucas Belvaux, Jérôme Leroy Kamera: Pierric Gantelmi d'Ille Darsteller: Émilie Dequenne, André Dussollier, Guillaume Gouix, Catherine Jacob, Anne Marivin u.a. |
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Parteigänger des Populismus |
Wir sind noch einmal davongekommen. Als dieses Jahr im Juni Emmanuel Macron die Wahl in Frankreich gewann, wurde erst einmal überall aufgeatmet; die rechtsnationale Marine LePen war abgeschlagen. Nicht nur die Franzosen atmeten auf, es war eine Erleichterung für ein vom Populismus in die Zange genommenes Europa. In die Zeit des in mehreren Gängen erfolgenden Wahlkampfs fiel die Veröffentlichung eines Films, der Aufklärung über die Machenschaften populistischer Parteien
in Frankreich schaffte: Chez nous, auf deutsch Das ist unser Land!.
Der seit langem in Frankreich lebende Belgier Lucas Belvaux untersucht hier einen exemplarischen Fall von Parteisoldaten-Rekrutierung im Kreise des rechten Front National, ohne diesen jedoch beim Namen zu nennen. Das muss er auch nicht. Die Parallelen sind offensichtlich. Catherine Jacob spielt die Politikerin und Parteivorsitzenden der Rechten, hier Agnès
Dorgelle genannt, mit einer verblüffenden Mimesis: Frisur und Figur gleichen dem Vorbild perfekt, auffällig ist auch im Original der Tonfall, in dem sie spricht, mit leicht nasalen Unterton, das unmittelbar der LePen abgehört wurde.
In ihre Fänge gerät die unbescholtene Pauline Duhet (Emilie Déquenne, bekannt aus den Filmen der Dardenne-Brüder), die als formbare, naive, aber herzensgute und stets um das Beste bemühte Krankenschwester agiert. Sie kommt aus kommunistischem Hause, was für die revolutionsfreudigen Franzosen keine Seltenheit ist, und möchte sich von ihrem als alter Polit-Grantler herumschimpfenden Vater emanzipieren. Auf ihrer Suche nach je ne sais quoi kommen ihr zwei Männer in den Weg: zum einen ihr Patenonkel und Mentor Dr. Berthier (André Dussolier), der sie für höhere Aufgaben in der Politik bewegen und, wir ahnen es schon, für die Partei der Dorgelle gewinnen will; zum anderen ein Boxer, dem sie in ihrer Jugend mal verfallen war, und mit dem sie, aus Mangel an Alternativen, oder weil es für das Drehbuch so toll aufgeht, wieder eine Liebesbeziehung eingeht. Problem nur, dass er ein schlagkräftiger Neo-Nazi ist.
Die Handlung des Films, das wird in der Figurenkonstellation deutlich, ist allzu vorhersehbar. Interessanter ist eine andere Ebene, die sich in den kleinen Details, in Mirkohandlungen, Blicken und auch Kameraeinstellungen offenbart. Es ist die Ebene, in der Belvaux das Seziermesser anlegt, um aufklärerisch die Mechanismen des Populismus herauszuarbeiten. Diesen sieht Belvaux im übrigen gar nicht auf die Rechten beschränkt. »Mit Emmanuel Macron haben wir jetzt mit etwas viel Versteckterem, weniger Offensichtlichem als bei LePen zu tun, mit einem Populismus der Mitte«, erläutert er im Interview. Und dieser arbeite nicht sehr viel anders als der Populismus generell, ist nur für die Allgemeinheit leichter erträglich. Für seinen Film hat Belvaux intensive Recherchen unternommen. Vor allem das Internet war eine wichtige Quelle. »Die Populisten versuchen gar nicht, zu kaschieren, was sie denken und tun, alles liegt offen da.« Die Erkenntnisse flossen in seinen Film ein, um sie herum baute er sein Drehbuch, das daher auch ein wenig holzschnittartig rüberkommt und übertrieben erscheint. Das Gegenteil ist der Fall – Belvaux ließ vieles, was er herausgefunden hat, nicht in seinen Film fließen – »das hätte mir niemand abgenommen«.
Es ist auch so schon beunruhigend genug, was aus dem recherchierten Hintergrund in die Handlung drängt. Vertraute Personen (der Patenonkel) agieren als Spindoktoren im Auftrag der Partei. Ziel ist, eine unbescholtene Person (die Krankenschwester) zu finden, die in der angestrebten Wahlregion verwurzelt ist, für Heimatliebe steht und für das »einfache Volk«. Sie wird nun vor den Partei-Karren gespannt, darf als Marionette oder Soldatin die Partei repräsentieren, darf »das Gesicht« der Kampagne sein – aber weder denken noch sprechen. Eines der beunruhigendsten Szenen ist so auch, wie bei einer Wahlkampfveranstaltung Pauline auf einer Pressekonferenz von Dr. Berthier und der Parteivorsitzenden Dorgelle mundtot gemacht wird.
Auch der Nebenstrang der Liebesbeziehung zum Neo-Nazi ist voller Recherche-Ergebnisse. »Die Rechtspopulisten suchen anfänglich die Nähe zu den Schlägertypen, um sie für bestimmte schmutzige Arbeiten einzusetzen. In dem Moment aber, wo die Partei an die Öffentlichkeit geht, muss diese Nähe wieder unsichtbar gemacht werden. Die Neo-Nazis müssen von der Bildfläche verschwinden.« Folglich wird Pauline dazu gedrängt, die Beziehung zu ihrer Jugendliebe, in welcher sie nur den Menschen mit einer starken Schulter zum Anlehnen sieht, wieder aufzugeben. Das ist dann selbst für sie zu viel.
Lucas Belvaux hat mit Chez nous einen sehr aufrechten, geradlinigen und aufklärerischen Film gemacht, der Erkenntnisse in Handlung verpackt. Das ist auch immer wieder faszinierend: den Mechanismen der Politik bei der Arbeit zusehen. Ganz und gar stark ist das erste Bild, mit dem Belvaux in seinen Film hineinführt. Ein Flug über Autobahnkreuze und das Land, eine verlorene und triste Landschaft, in der die Brauntöne dominieren. Wir befinden uns in Pas-De-Calais, in der nördlichen, an Belgien angrenzenden Region Frankreichs, die früher einmal vom Kohleabbau lebte. Heute ist die Region aufgelassen und eine der Hochburgen des Front National: noch in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl erhielt die Partei über fünfzig Prozent – Belvaux hat mit seinem Film direkt in den Rachen der Bestie geguckt. Und als solches ist der Film ein brisantes, beunruhigendes und unhintergehbares Zeitdokument.
»Guten Abend. Ich werde Sie dressieren. Für die Fotos solltest du dir die Haare etwas aufhellen.« Es ist Wahlkampfzeit, da ist jedes Mittel recht. Und wer für eine neofaschistische Partei antritt, der sollte schon blonde Haare haben, auch in Frankreich. Passt ja auch besser zum blauen Blazer-Jackett.
Dieser Film ist scheinbar eine Komödie, eine Gesellschaftssatire, aber sie ist viel zu wahr, um wirklich lustig zu sein. Immer wieder taucht dieser Film ein in die scharfsinnige unserer, auch unserer deutschen politischen Verhältnisse. Er zeigt zum Beispiel, wie moderner Wahlkampf gemacht wird: Flugblätter und Plakate, das reicht nicht mehr. Der Wahlkampf findet auch im Internet und in den sozialen Netzwerken statt: »Wir müssen überall präsent sein. Bedenkt: Wenn ihr eine Mitteilung an 20 Leute schickt. Und die Hälfte von denen schickt sie wieder an 20 Leute, erreicht ihr 200 Personen. Wenn auch nur die Hälfte sie wiederum an 20 Leute weiterleitet, dann erreicht ihr 2.000. Darauf 20.000. Darauf 200.000. Das ist beeindruckend, oder? Und man kann es nicht wie ein Plakat abreißen.«
Und der Film zeigt, wie die Rechtsradikalen wirklich sind: »Seid präsent in jeder Straße, in jeder Gasse, in jedem Viertel. Wir durchkämmen sie. Genau, wie im Krieg. Das ist der Krieg der Ideen, der Krieg der Worte. Und um ihn zu gewinnen, müssen wir die Herzen gewinnen und die Köpfe gewinnen.«
Pardon: »Rechtsradikale« sagt man ja gar nicht mehr, auch nicht »Rechtsextremisten«. Man nennt sie »Populisten«, vielleicht gerade noch Rechtspopulisten. Aber in Wahrheit sind sie Rattenfänger und Hetzer: »Nutzt die Vorfälle aus über die in den Lokalnachrichten berichtet wird«, sagen sie: »Unsoziales Verhalten, der Einbruch bei der Alten, die kaum tot war. Das ist fast schon zu schön um wahr zu sein. Also tut euch keinen Zwang an. Schlachtet sie aus, streut Salz in die Wunde.
Die Leute sind angewidert. Nutzt das aus. Und vergesst nie, dass immer irgendein Mikro in der Nähe ist. Also: Niemals eine rassistische Äußerung. Sagt Gesindel, dann weiß jeder sofort, wovon ihr sprecht ... Fundamentalisten, Dschihadisten, Islamisten – das ist alles ok.
Aber nicht Kameltreiber, die Kanaken, die Ratten, oder dreckige Ausländer – niemals. Wenn die anderen Leute solche Ausdrücke verwenden, dann lasst ihr sie das machen – wir sind ja hier
schließlich nicht die Moralapostel.«
Das ist unser Land!, der neue Film des in Frankreich lebenden Belgiers Lucas Belvaux, ist hochaktuell. Belvaux begann als Schauspieler, zum Beispiel in Filmen von Claude Chabrol. Aber bereits seit fast 20 Jahren führt Belvaux vor allem Regie. Sein neuer Film ist ein spannendes, hochaktuelles politisches Drama: Halb Satire, halb semi-dokumentarisches Politkino, ist die Wirkung in jedem Fall entlarvend.
Als Spielfilm legt er die Rhetorik und die Tricks der Rechtspopulisten offen. Gestern haben sie laut ausgesprochen, was die Leute sich nicht zu sagen trauten. Heute behaupten sie, ihre Sprache zu befreien, angebliche Tabus zu sprengen, das behauptete Einheitsdenken zu durchbrechen.
Und sie hören den bisher Sprachlosen zu. Sie lassen sie spüren, dass sie für sie da sind, dass sie auf ihrer Seite stehen. »Es lohnt sich nicht mal, vom Programm zu sprechen. Sagt einfach nur: Ja,
ich weiß!«
Ein Film, der den Rechtspopulisten die Maske vom Gesicht reißt, und zeigt was dahinter steckt.
In seiner Heimat kam er Anfang des Jahre heraus, pünktlich zum anschwellenden Präsidentschaftswahlkampf und sorgte prompt für einen Skandal. Der neofaschistische »Front National« fühlte sich angesprochen und offenbar genau getroffen, und beschwerte sich über den Angriff auf die Partei.
Belvaux’ Hauptfigur ist die Krankenschwester Pauline, die zuerst sympathisch ist und sehr unpolitisch. Sie wird von einer rechtsradikalen Partei, die dem »Front National«, aber auch
deren deutschen Sympathisanten zum Verwechseln ähnlich sieht, regelrecht gecastet.
Verführung ist das Thema dieses Films. Aus einer normalen, allseits beliebten Frau wird die Kandidatin einer rechtsradikalen Partei. Sie verwandelt sich von der netten Hausfrau von nebenan zu einer Hetzerin und Rassistin. Sio gelingt Lucas Belvaux ein tolles, spannendes und hochaktuelles politisches Drama, das für einen deutschen Zuschauer erschreckend ist. Denn wir begegnen in dem Film genau
dem Personal, das wir auch aus Deutschland kennen: Den smarten Frauen im blauen Blazer, mit Kurzhaarfrisur und scharfmacherischen Reden; den alten Männern mit rotem Kopf und braunem englischen Tweedjacket und ihren Gedanken von vorgestern; den jungen Karrieristen, die sich früher liberal nannten und heute Patrioten.
Und dazwischen in der zweiten Reihe die stiernackigen Dumpfbacken, die Skinheads, die Rassisten, Schläger und Flüchtlingsheimanzünder.
Das
ist unser Land! ist ein packender Film über die schmutzigen Tricks des sogenannten Populismus. Und über ihre Sprüche: »Frankreichs Werte sind nicht die des Islam. Und deshalb stehen wir aufrecht zum Kampf bereit. Damit die Republik sich niemals in ein Kalifat verwandelt.«